Hamburg

„Wir setzen EU-Vorgaben und Urteile um“

| Lesedauer: 4 Minuten
Jens Meyer-Wellmann

Umweltsenator Jens Kerstan wehrt sich gegen den Vorwurf der Symbolpolitik. Für welche Straßen Fahrverbote im Gespräch waren

Hamburg.  Seinen größten internationalen Erfolg hat Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan mit Kaffeekapseln verbucht. Oder genauer: mit deren Verbot. Als der streitbare Grünen-Politiker Anfang 2016 im „Leitfaden zur umweltverträglichen Beschaffung“ festlegte, dass die Hamburger Verwaltung künftig auf chlorhaltige Putzmittel und Alukaffeekapseln verzichten solle, sorgte das für weltweite Medienberichte. Ein ­überraschender PR-Erfolg, den der jedenfalls nicht gerade medienscheue Bergedorfer gerne mitnahm. Manche unterstellen ihm daher, auch die bundesweit ersten Dieselfahrverbote, die der rot-grüne Senat jetzt verhängte und die seit Donnerstag gelten, seien reine Symbolpolitik – und Kerstan habe es vor allem auf das erwartbar große Medienecho angelegt.

Tatsächlich kamen am Donnerstag zwar Reporter aus aller Welt nach Hamburg, um sich das erste deutsche Fahrverbot anzusehen und sich Kerstans Erläuterungen anzuhören (siehe Seite 1). Der Umweltsenator aber wies die Vorwürfe, es gehe um Symbolpolitik, strikt zurück. „Wir setzen Vorgaben der EU und ein Hamburger Gerichtsurteil um“, sagte Kerstan im Altonaer Rathaus. Es sei seine Pflicht, die Gesundheit der Bürger zu schützen, so der Grünen-Politiker. Bei der Abwägung der Eingriffe in verfassungsmäßige Eigentumsrechte und das Recht auf Schutz der Gesundheit müsse stets die Verhältnismäßigkeit beachtet werden.

Beschränkungen auf weiteren Straßen wurden verworfen

An der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße habe es aber keine andere Möglichkeit als Durchfahrtsbeschränkungen für ältere Diesel gegeben, um den Grenzwert beim giftigen Stickoxid schnell zu senken, wie es EU und Gerichte verlangen. „Durchfahrtsbeschränkungen waren nie unser Ziel, sind aber unvermeidlich, weil die Autoindustrie betrogen hat und die Bundesregierung sie nicht zur Hardware-Nachrüstung auf eigene Kosten gezwungen hat“, so Kerstan. Sollte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dies doch noch tun, könnten die Hamburger Durchfahrtsbeschränkungen wieder aufgehoben werden, so Kerstan. „Dann können wir die Schilder schnell wieder abbauen.“ Denn ohne den Abgasbetrug und dessen Duldung durch die Bundesregierung hätte man „keinen Meter Durchfahrtsbeschränkungen“ einrichten müssen.

Es gebe auch einige andere Straßen, in denen man die Einführung solcher Beschränkungen wegen der hohen Belastung mit Stickoxiden geprüft habe, sagte Kerstan. Dazu zählten die Nordkanalstraße, die Spaldingstraße, der Högerdamm, die Elbchaussee, die Klop­stockstraße, Neumühlen, Große Elbstraße und Palmaille. Hier seien Verbote aber als unverhältnismäßig verworfen worden. An der Willy-Brandt-Straße und der Ludwig-Erhard-Straße komme die „herausragende verkehrliche Bedeutung“ hinzu. Dasselbe gelte für die stark mit Stickoxiden belastete Habichtstraße, bei der außerdem eine Rolle spiele, dass die nahe Krausestraße, die für den Radverkehr ausgebaut wird, sonst stark unter Ausweichverkehren leiden würde.

Kerstan attackierte besonders CSU-Bundesverkehrsminister Scheuer, der die Hamburger Fahrverbote am Donnerstag im Abendblatt kritisiert hatte. Dem CSU-Mann seien die Gewinne der Autoindustrie wichtiger als die Gesundheit der Bürger und die Rechte der Autokäufer. Deswegen wolle er die Autoindustrie nicht zur Hardware-Nachrüstung verpflichten. Dass der CSU-Minister nun die durch eigene Untätigkeit verursachten Einschränkungen kritisiere, grenze an „absurdes Theater“. Auch sei es für Bürger nicht verständlich, dass der Bund Dieselfahrzeuge noch steuerlich fördere. Kerstan sagte, er sei „sicher, dass unsere Regelung vor Gericht Bestand haben wird“. Jeder Dieselfahrer könne weiterhin jeden Punkt in Hamburg mit seinem Auto erreichen, nur müsse er die nun benannten Strecken meiden.

Karsten Wegge von der Verkehrsdirektion der Polizei betonte, dass die Polizei die Einhaltung der Durchfahrtsbeschränkungen mit Stichproben, Schwerpunkt- und Großkontrollen regelmäßig überprüfen werde. Bußgelder werde man aber noch nicht sofort verhängen. Zunächst gehe es darum, die Autofahrer zu informieren.

Während und nach der Pressekonferenz demonstrierten Anwohner, Greenpeace und der BUND für einen deutlich stärkeren Schutz der Bürger vor der Belastung mit Stickoxiden. CDU, FDP und AfD dagegen kritisierten schon die aktuellen Verbote als vollkommen unsinnig und ungerecht.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg