Hamburg. Da, wo Nils Fischer gerade steht, hat er vor Kurzem an der Lichtschraube gedreht. Fischer steht am Rande eines matschigen Waldwegs, in allen Richtungen sieht er nur Bäume, Äste, Grün. Laub raschelt, Äste knacken, als Fischer einen Schritt auf eine Lichtung zugeht, auf der einige abgesägte Baumstämme stehen. „Hier ein Stumpf, hier ein Stumpf“, dann zeigt Fischer in den Himmel, „Krone weg, Licht kommt, Bäume wachsen“, sagt er. Die dicken Stümpfe waren mal Fichten, 2016 hat Fischer ein paar von ihnen abgesägt und Ahorn gepflanzt. Der braucht mehr Licht. Das meint Fischer, wenn er von der Lichtschraube spricht.
Nils Fischer ist Förster im Klövensteen, einer der acht Hamburger Revierförstereien. 580 Hektar misst die Fläche an der Grenze zu Schleswig-Holstein, um die er sich kümmern muss. Es gibt hier Reitwege, das Naturschutzgebiet Schnaakenmoor und ein Wildgehege mit verschiedenen Tieren, zum Beispiel Frettchen und Uhus. Zudem gibt es Landwirte, Wildschweine, Rehe und Menschen, die sich erholen wollen. Nils Fischer nennt sich Förster, aber eigentlich ist er Manager. Von Tieren. Von Menschen. Und von Bäumen.
Als Fischer seinen Geländewagen langsam über tiefe Schlaglöcher im Waldweg steuert, rutscht das Fernglas in einem Fach über dem Armaturenbrett von links nach rechts. Er sitzt schief hinterm Steuer, eine Hand am Schaltknüppel, eine am Lenkrad. Dann hält er an, greift das Fernglas. Schaut aus dem Fenster. Ein paar Bäume liegen umgeknickt da, von den verheerenden Stürmen im vergangenen Herbst. Wieso die so schlimm waren? „Vorher hatte es lange geregnet, also war der Boden aufgeweicht. Da knicken die Stämme leichter um“, sagt Fischer. Bald will er ein paar Leute vorbeischicken, aufräumen.
Bäume und Sträucher sollen verschieden hoch wachsen
Ein paar Meter weiter steigt Fischer aus, geht ein paar Schritte und fährt dabei mit der Hand über ein paar Sträucher der Traubenkirsche, die sich erst biegen und dann zurückschnellen. Auch hier will er jemanden vorbeischicken, denn hier hätte er lieber Buchen. Die haben eine Lebensdauer von bis zu 300 Jahren, Traubenkirschen sterben nach 80 Jahren. Fischer geht es um „vertikalen Waldaufbau“, bei dem Bäume und Sträucher in verschiedene Höhen wachsen. Der Wald ist dichter. So wird die Biodiversität gefördert, alle sind gesünder, mehr Tierarten finden im Wald ein Zuhause. „Klassische Försteraufgabe“, sagt Fischer. „Rumfahren und gucken, wo die anderen arbeiten können“.
Die anderen, das sind im Forst Klövensteen fünf Auszubildende, ein Forstmeister und fünf Forstwirte, die Bäume pflanzen und Wege bauen. Zudem gibt es für das abgezäunte Wildgehege eine Waldpädagogin, sieben Freiwillige und bald auch zwei Tierpfleger. Dazu sitzt Fischer im Bezirk Altona in Ausschüssen, arbeitet dem Bezirksamt zu und kümmert sich um Presseanfragen. Manchmal will auch das Fernsehen im Wald drehen, letztens war die Sesamstraße da. „Ich bin schon so der Verwaltungskönig unter den Hamburger Förstern“, sagt Fischer.
Auf zwei freie Azubistellen kamen 104 Bewerbungen
Als der Schlaks Fischer, über 1,90 Meter groß, sich hinter seinen riesigen Schreibtisch mit zwei Bildschirmen schwingt, seufzt er und stützt sich mit den Ellbogen auf die dicke Holzplatte. Er bewegt die Maus, schaut auf seine Mails. „Mal schauen, ob hier etwas Wildes passiert ist“, sagt er. „Wenn ich mal eine Woche nicht in meine Mails gucke, habe ich mindestens 200 neue.“ Vor Kurzem hat er zwei Azubistellen ausgeschrieben. Die 104 Bewerbungsmappen, die zurückkamen, stehen in einer Box neben dem Fenster. „Die alle zu lesen, man man man.“
Fischer kommt aus einer Försterfamilie. Sein Vater, sein Opa, beide waren Förster im niedersächsischen Niederhaverbeck. Nach dem Studium der Forst- und Umweltwissenschaft bekam er einen Platz als Revierleiter im Schwarzwald: Jackpot. „Eigentlich muss man nach dem Studium zuerst in die Verwaltung. Das war ein Glücksgriff“, sagt Fischer. Kurze Zeit später ging er aber zurück in den Norden, weil seine jetzige Frau noch da studierte. Seit 2003 ist er Förster im Klövensteen. Mit seiner Frau und den drei Kindern in einem roten Backsteinhaus im Klövensteener Forst – das riesige Grundstück wäre in der Stadt unbezahlbar, sagt der 45-Jährige.
Fischer schießt im Jahr bis zu 20 Wildschweine
Obwohl die meisten bei Förstern wohl auch an die Jagd denken, macht sie nur rund fünf Prozent seiner Arbeitszeit aus, schätzt Fischer. Trotzdem schießt er im Jahr zehn bis 20 Wildschweine und rund 50 Rehe. Gäbe es zu viele Tiere, würden sie in bewohntere Gegenden vordringen – das will die Stadt nicht. Auch die Landwirte wären sauer, weil die Tiere ihnen ihre Nutzfläche kaputt machen. Fischer greift ein, seine Aufgabe: Populationskontrolle. Obwohl Fischer jeden Tag in der Natur ist, misstraut er ihr. Er ist ihr Manager.
An diesem Abend steigt Fischer auf einen der Hochsitze im Klövensteener Forst, er hat ein Halstuch um, denn die Mücken landen im Sekundentakt auf seinem Körper. Er klappt ganz leise die kleine Sitzbank um und setzt sich. Das Gewehr mit Zielfernrohr liegt neben ihm. Er zieht sein Handy aus der Tasche, seine Frau hat ihm geschrieben, es geht um die Kinder. Dann nimmt er das Fernglas aus seinem Schoß und schaut auf die rund zwei Hektar große Gestrüppfläche vor ihm. „Das da hinten ist eine hochschwangere Rehmama, würde ich meinen“, sagt Fischer. „Die ist tabu.“
Zum Einschlafen ist die Wache zu spannend
Irgendwann schaut das Reh hoch und hopst weg. „Irgendwas stimmt hier nicht“, sagt Fischer und setzt das Fernglas an die zusammengezogenen Augenbrauen. Wahrscheinlich sei es der Wind, sagt Fischer, der bewege sich sehr unruhig. Ein weiteres Rehweibchen schaut noch vorbei, sonst passiert nichts in den nächsten eineinhalb Stunden. Es dämmert. Ob er manchmal auch einschlafe? „Nein, dazu ist es dann doch zu spannend“, sagt Fischer.
Etwas schießen wolle er heute eh nicht, denn wenn das Tier einmal da liegt, muss er es auch wegschaffen und am nächsten Tag zur Schlachterei bringen. Das schafft er nicht, morgen hat er anderes zu tun. Wieso ist er dann hier, während seine Familie zu Hause vor dem Fernseher sitzt? „Es ist ab und zu einfach interessant zu wissen, was los ist“, sagt er.
Wer Fischer nach seinen Hobbys fragt, bekommt als Antwort: „Joa, wahrscheinlich der Job. Man muss das schon ein Stück weit leben.“ Die Familie, der Arbeitsplatz, die Natur, das ist alles eins im Leben von Nils Fischer.
Irgendwann habe er sich mal gefragt, warum alle seine Försterkollegen einen Wohnwagen hätten. Fischer kaufte sich auch einen. „Dann sind wir mal losgefahren, und nach zwei Kurven hatte sich mein Sohn in die Windeln gemacht. Wir hielten an. Obwohl wir noch so nah zu Hause waren, habe ich mich gefühlt wie im Urlaub. Da wusste ich auf einmal, warum die alle ein Wohnmobil haben."
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