Hamburg. Heute sprechen eine Gerichtsmedizinerin und ein Kulturanthropologe über das größte Rätsel der Menschheit.

Es ist wohl das größte ungelöste Rätsel der Menschheit – die Frage, was nach dem Tod kommt. Gläubige geben darauf eine andere Antwort als Atheisten, Wissenschaftler betrachten das Thema anders als Sterbende. Aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln nähern sich dem Thema auch die Gerichtsmedizinerin Carolin Schröder und der Kulturanthropologe Prof. Norbert Fischer.

Sie haben beide täglich mit dem Tod zu tun. Haben Sie sich daran gewöhnt?

Carolin Schröder: Bei uns in der Rechtsmedizin gehört der Tod zum täglichen Geschäft. Man gewöhnt sich daran, auch an den Umgang mit den Leichen und mit den Angehörigen. Aber jeder Tod ist etwas Besonderes, jeder Fall anders – und deshalb gehen wir da mit sehr viel ­Respekt ran.

Prof. Norbert Fischer: Im kulturwissenschaftlichen Kollegenkreis tauschen wir uns natürlich aus, aber im täglichen Leben – bei Verwandten, Bekannten und Freunden – stößt man gelegentlich auf Stirnrunzeln und die Frage: Was, du beschäftigst dich mit dem Thema Tod?

Die Wissenschaftler

Wie beeinflusst der Tod Ihr eigenes Leben?

Fischer: Mein Leben ist schon sehr davon geprägt, weil ich praktisch täglich an den Tod denke – nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht. Es ist ja auch viel Emotionalität im Spiel, wenn es um Sterben, Tod und Trauer, um das Abschiednehmen geht. Das Thema lässt sich nicht rein rational behandeln, deshalb schwingt immer die Frage mit, wie es einem selbst mit der Aussicht geht, unter die Erde zu kommen.

Unter die Erde kommen – das können wir uns noch vorstellen. Aber was kommt nach dem Tod? Das ist wohl das größte Rätsel der Menschheit, oder?

Fischer: Wir hatten über viele Jahrhunderte hinweg relative Gewissheit, was nach dem Tod passiert – durch die christlichen Religionen, den Katholizismus, vor allem mit seinen klaren Jenseits-Vorstellungen und dem Übergang in ein anderes Leben, dem Engel als Wegbegleiter auf der Himmelsleiter und den Lebenden, die noch nach dem Ableben etwas für das Seelenheil ihrer Toten tun konnten. Der Protestantismus sieht es etwas anders, hat aber auch feste Vorstellungen vom jenseitigen Leben. Die allgemeingültige Gewissheit ist heute verschwunden. Dafür gibt es ein buntes Spektrum an Vorstellungen, was nach dem Tod kommt – bis hin zur Vorstellung, es kommt gar nichts, dass also mit dem biologischen Tod auch die eigene Existenz vollkommen erlischt und allenfalls in der Erinnerung der Hinterbliebenen weiterlebt.

Wie sehen Sie das als Rechtsmedizinerin?

Schröder: Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt her muss man sagen: Wir wissen sehr gut, was nach dem Tod kommt: Der Körper fängt an, sich selbst zu verdauen. Dann kommen Bakterien und Tiere und bringen Fäulnis und Verwesung. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, bleibt vom Körper nichts mehr übrig. Nichtsdestotrotz haben wir uns auch schon häufiger die Frage gestellt, was nach dem Tod kommt und was von uns bleibt, wenn der Körper weg ist. Ich habe darauf keine Antwort. Es beeindruckt mich aber, wie unterschiedliche Kulturen das interpretieren und was Beinahe-Verstorbene, die reanimiert und wieder ins Leben zurückgeholt wurden, berichten.

Sie sprechen die Nahtoderfahrungen an. Viele Menschen, deren Herz still stand und die fast tot waren, berichten hinterher fast übereinstimmend von einem schönen Erlebnis, von einem weißen Licht, auf das sie zusteuerten, davon, dass sie sich mit längst verstorbenen Eltern oder Großeltern wiedervereinigt fühlten.

Schröder: Das ist leider wissenschaftlich sehr gut belegbar zu erklären als Halluzinationen eines absterbenden Gehirns. Es sind Kurzschlussverbindungen zwischen Synapsen, die dem Menschen diese Bilder suggerieren. Für den Sterbenden ist dieses Erleben aber sehr von Vorteil, weil es ihm die Angst nimmt.

Aber auch kleine Kinder schildern Begegnungen mit Großeltern, die sie nie kennengelernt haben, und was Menschen berichten, bei denen keine Hirnaktivität mehr messbar war.

Schröder: Ein Sterbender hat immer einen Rest Gehirnaktivität. Wir kennen das von Menschen, die einer Hirntoddiagnostik unterzogen werden, da gibt es durchaus noch Aktivität auf nervaler Ebene, bis der Körper wirklich vollständig erloschen ist. Dadurch kann es bei Sterbenden zu solchen Erscheinungen kommen. Manche Schilderungen sind auch mit Vorsicht zu genießen – je nachdem, wie man danach fragt, erzählen die Betroffenen entsprechend.

Was passiert eigentlich beim Sterben?

Schröder: Das hängt von der Todesursache ab, es kann sehr schnell vonstatten- gehen, die Sterbephase kann aber auch lange andauern. Letztlich ist es ein Herz-Kreislauf-Versagen – sei es durch einen Stich ins Herz oder zum Beispiel eine Tumorerkrankung, durch die der Körper seine Lebensfunktionen verliert.

Gibt es eine Phase des Übergangs?

Schröder: Wir kennen das als Agonie, als Sterbephase, in der die Lebensfunktionen langsam erlöschen. Es ist aber nicht so, dass man sehen könnte, wie die Seele den Körper verlässt.

Sind wir uns dennoch einig, dass der Mensch mehr ist als nur sein Körper?

Fischer: Die Kulturen und Religionen zeigen das. Natürlich machen sich Menschen Vorstellungen davon, was sein wird. Die sind vielfältig ausgeschmückt. Der Dichter Rainer Maria Rilke hat mal gefragt: Macht es eigentlich Sinn, hinter dem Tod ein Licht leuchten zu lassen? Er meinte: Macht es Sinn, sich da überhaupt etwas vorzustellen? Aber offensichtlich ist die Vorstellung nun mal tröstlich, dass es nach dem Tod etwas gibt. Keine Frage, dass die naturwissenschaftlichen Erklärungen vom Ableben überprüfbar sind. Trotzdem machen sich sehr viele Menschen Gedanken, was nach dem Tod sein wird und schmücken das aus. Beispielsweise, indem sie sich neuerdings manchmal Handys mit ins Grab legen lassen.

Ernsthaft? Für den Fall oder Fälle?

Fischer: Genau. Das knüpft an die Scheintod-Debatte im späten 18. Jahrhundert an, als die Toten erstmals in den Leichenhallen mit ausgeklügelten Klingelsystemen ausgestattet wurden, weil man nicht mehr wusste, wann ein Mensch wirklich tot ist. Zuvor hätte man diese Frage Gott überantwortet. Mit dem Aufkommen einer verwissenschaftlichten Medizin im Zeitalter der ersten Krankenhäuser fingen die Menschen an zu überlegen: Wann bin ich eigentlich wirklich tot?

Die allermeisten Kulturen auf der Welt haben die Vorstellung, dass es auf irgendeine Weise nach dem Tod weitergeht. Deutet das darauf hin, dass da etwas dran ist – oder bedeutet es nur, dass alle Menschen Trost suchen?

Fischer: Wohl eher Letzteres. Das hat mit Trost, Hoffnung, Zuversicht zu tun und macht einem das Ableben leichter. Die Bestattungs- und Trauerkultur ist ja erst mit der Sesshaftwerdung der Menschen entstanden. Es ist eine „Urszene der Kultur“, wie ein Kollege einmal gesagt hat. Man hat sich immer Gedanken darüber gemacht, ob die Form der Bestattung mit dem jenseitigen Seelenheil zu tun hat. Es war immer die Idee damit verbunden: Wir tun noch etwas für dich, auch wenn du von uns gegangen bist.

Bevor der Mensch sesshaft war, gab es keine Bestattungskultur?

Fischer: Früheste Zeugnisse der Bestattungskultur gehen auf die Sesshaftwerdung der Menschen zurück. Es wurden besondere Grabplätze geschaffen und markiert.

Was nach dem Tod passiert, ist unterm Strich also reine Glaubensfrage?

Fischer: Eine Glaubens- und Kulturfrage! Die Antwort auf diese Frage ist sehr lange religiös geprägt worden. Das Jenseits wurde ganz unterschiedlich ausgeschmückt. Lange glaubte man – beispielsweise im Katholizismus – an die körperliche Auferstehung. Daher wurde früher auch die Einäscherung abgelehnt. Im Buddhismus, wo die Toten eingeäschert werden, geht es um das Werden einer neuen Existenz.

Würden Sie als Gerichtsmedizinerin zustimmen, dass der Mensch mehr ist als ein Körper?

Schröder: Ich tue mich mit der Frage schwer, weil mir viele Dinge nicht möglich wären, wenn ich wüsste, dass da noch jemand über mir schwebt und mir zuschaut – bei Sektionen beispielsweise oder den Gewebespenden, die wir nach dem Tod durchführen. Ich persönlich denke schon, dass das körperliche nicht das seelisch-geistige Ende ist. Ich finde den Gedanken schön, dass man weiterlebt und frühere Generationen vielleicht auf einen aufpassen. Wissenschaftlich fassbar ist das nicht.

Fischer: Es geht den Kulturwissenschaften nicht im engeren Sinne um naturwissenschaftlich-empirische Nachweise, sondern um Vorstellungswelten und lebensweltliche Konstruktionen, die für die Menschen eine symbolische Bedeutung haben. Wir untersuchen beispielsweise, ob, wie und warum Menschen an eine Existenz jenseits des leiblichen Körpers glauben.

In manchen Kulturen wird der Tod regelrecht gefeiert.

Fischer: Der Tod ist in fast allen Kulturen gefeiert worden – mal weniger aufwendig, mal stärker. Berühmt ist die mexikanische Kultur mit ihrem „Dia de Muertos“, dem „Tag der Toten“. Er wird vom 31. Oktober bis Allerseelen gefeiert – das ist ein Ereignis, das das ganze Land in regional unterschiedlicher Weise in Beschlag nimmt. Um Allerheiligen und Allerseelen herum ist das in deutlich abgeschwächter Form auch in Deutschland in katholischen Regionen zu beobachten, wenn die Menschen auf die Friedhöfe pilgern, die Gräber ausschmücken und sie mit Ewigkeitslichtern erleuchten.

Sie befassen sich mit Trauer- und Gedächtniskultur. Welche interessiert Sie am meisten?

Fischer: Am stärksten fasziniert mich die Form des Gedenkens an früh verstorbene Kinder, also Kinder, die bereits im Mutterleib oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Ich habe viel mit den Betroffenen zu tun. Was mich beeindruckt, ist die unheimliche Emotionalität dieser Trauer, die zugleich eine große Kreativität hervorbringt. Manche Grabstätten werden fast wie ein Kinderzimmer eingerichtet, mit Spielzeug, Plüschtieren und Windrädern . Die Betroffenen trauern über Jahre hinweg, das verdient Respekt. Dies hat die Friedhofskultur im Allgemeinen beeinflusst, sie ist bunter, lebendiger und freier geworden. Das geht auf die Trauer um früh verstorbene Kinder zurück.

Haben Sie persönlich Angst vor dem Tod?

Schröder: Eigentlich nicht. Wenn er kommt, dann kommt er. Es macht keinen Sinn, das Glück im Leben durch Angst zu trüben.

Fischer: Wenn man jeden Tag so nutzt, wie man es sich vorstellt, braucht man eigentlich keine Angst vor dem Tod zu haben. Wenn nichts Unerledigtes, Unerfülltes, Abgebrochenes bleibt, kann ich gut dem Ende entgegengehen.

Die Frage, was nach dem Tod geschieht, bleibt am Ende also offen.

Fischer: Es gibt keine allgemeingültigen Antworten, sondern individualisierte. Aber dass die Frage viele Menschen bewegt, zeigt sich schon daran, dass auch heute noch auf vielen Bestattungsfeiern Led Zeppelins „Stairway to heaven“ oder Bob Dylans „Knocking on heavens door“ gespielt werden – Songs, die den Übergang thematisieren.

Schröder: Wir begleiten im Institut auch die Abschiednahme von Angehörigen – die Mutter, die einen Sohn beim Unfall verloren hat, oder den Vater, dessen Kind gewaltsam zu Tode kam – und erleben ganz unterschiedliche Formen der Trauerkultur. Es ist doch gut, wenn jeder für sich auf die Frage, was nach dem Tod passiert, eine Antwort findet, mit der er umgehen kann.

Nächstes Wochenende: Wie treffe ich gute Entscheidungen?