Hamburg. Natürlich war der Kommentar mindestens geschmacklos, darüber jedenfalls sind sich wohl alle einig. Als die deutsche "Huffington Post" Mitte September 2017 einen Artikel über die AfD-Politikerin Alice Weidel bei Facebook postete, schrieb eine Nutzerin des Netzwerks darunter in einem Kommentar nicht nur, dass Weidel eine „Nazi-Sau“ sei. Sie fügte auch in ausgesprochen vulgären Worten hinzu, dass die heutige Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion bekanntlich homosexuell lebe, sich abends mit Frauen verlustiere, morgens aber „bei der AfD gegen Lesben“ sei.
Als eine andere Nutzerin diesen Kommentar bei Facebook meldete, antwortete das Unternehmen, der Kommentar verstoße „gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards“. Im Januar beschwerte sich die Nutzerin erneut – und bekam dieselbe Antwort. Erst danach erfuhr Weidel nach eigener Darstellung selbst von dem Kommentar – und geht seither mit Hilfe des umtriebigen Rechtsanwalts Joachim Steinhöfel gegen Facebook vor. Am Freitag befasste sich nun das Landgericht Hamburg mit dem Fall.
„Nach deutschem Recht haften Dienste-Anbieter wie Facebook für Inhalte ihrer Nutzer, wenn sie Kenntnis von dem Rechtsverstoß erlangen und diesen nicht unverzüglich löschen“, erläuterte Steinhöfel vorab seine Rechtsposition. Seit Meldung des Kommentars im September 2017 sei Facebook „also wie der Täter selber für die Straftat verantwortlich“ gewesen.
„Facebook löscht immer wieder rechtswidrig legale Inhalte seiner Nutzer. Andererseits bleiben selbst eindeutig strafbare Inhalte online – dieser mindestens sechs Monate“, so Steinhöfel. „Das ist ein komplettes Versagen der Kontrollinstanzen des Unternehmens.“
Ende Januar hatte der Anwalt Facebook abgemahnt. Das Unternehmen antwortete laut Steinhöfel am 1. Februar: „Auf den von Ihnen gemeldeten Inhalt kann in Germany nicht mehr zugegriffen werden. Dadurch wurde dieses Problem unserer Auffassung nach behoben. Falls Sie weitere Fragen haben, besuchen Sie unseren Hilfebereich.“
Mit Hilfe eines so genannten VPN-Tunnels, mit dem der Nutzer über eine geänderte IP-Adresse einen anderen geografischen Standort simulieren kann, ließ sich der Kommentar aber auch weiterhin in Deutschland abrufen, wie Steinhöfel am Freitag vor Gericht darlegte. Damit war er auch in Deutschland weiterhin zu lesen. In dem Verfahren beantragte Steinhöfel nun, Facebook zu untersagen, den Kommentar über die AfD-Politikerin weiter zu verbreiten – bei Androhung einer Strafe von bis zu 250.000 Euro.
Facebooks Anwalt Martin Munz betonte in der mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht am Freitag zunächst, dass es „keine weltweite Jurisdiktion“ gebe, mithin: Ein deutsches Gericht könne nicht die weltweite Löschung eines Beitrags verlangen – sondern lediglich die Nicht-Verbreitung in Deutschland.
Zudem könne Facebook nicht wie eine „Superinstanz“ schwierige Rechtsentscheidungen treffen, also „100 Prozent richtig“ entscheiden, welche Kommentare oder Postings nun strafbar und welche von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Dabei wies der Anwalt darauf hin, dass Weidels Anwalt Steinhöfel gerade in anderer Sache gegen die Löschung eines Beitrags vorgehe.
Zudem betonte der Facebook-Anwalt, dass Facebook außer der IP-Adresse keine Möglichkeit habe, den Standort der Nutzer festzustellen – was Weidel-Anwalt Steinhöfel vehement bestritt. Facebook könne sogar kilometergenau Werbung ausspielen. Schließlich musste der Facebook-Anwalt einräumen, dass er das alles auch nicht sicher wisse, aber davon ausgehe. dass Facebook den Standort nicht ohne IP feststellen könne. Mittlerweile sei der Kommentar nun auch weltweit verschwunden. Allerdings wisse auch Facebook selbst nicht, wie das passiert sei, so der Anwalt des Unternehmens.
Die Vorsitzende Richterin Simone Käfer betonte, dass der Kommentar die Rechte Weidels, die selbst bei der Verhandlung nicht anwesend war, eindeutig verletze. Nach gängiger Rechtsprechung sei Facebook verpflichtet gewesen, den Kommentar zu entfernen.
Urteil für Montag erwartet
Weidel-Anwalt Steinhöfel erweiterte seinen Unterlassungsantrag schließlich zur Klarstellung um die Formulierung, dass er sich auf das „Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ beziehe, und Richterin Käfer kündigte den Urteilsspruch in dieser Sache für den kommenden Montag an.
Schon am Freitag aber machte sie auch in einer Schlussbemerkung noch einmal deutlich, dass sie stark dazu tendiere, der AfD-Politikerin in der Sache Recht zu geben. Auch Anwalt Steinhöfel sagte nach der Verhandlung, er gehe davon aus, dass das Gericht seinem Antrag am Montag folgen werde.
„Dass Facebook diese offensichtlich erkennbare Rechtsverletzung überhaupt verteidigt hat“, so Steinhöfels Fazit, „das wirft ein beschämendes Bild auf den Respekt vor den Persönlichkeitsrechten Betroffener durch das Unternehmen.“
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