Groko oder Neuwahlen? Abstieg oder Klassenerhalt? Weltstadt oder Beschaulichkeit? Diese Fragen beschäftigten mehr als 900 Gäste aus Politik, Sport, Wirtschaft und Kultur beim Neujahrsempfang im Hotel Atlantic.
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Für die meisten Gäste des Abendblatt-Neujahrsempfangs lautet die Antwort auf diese Frage: Ja. Aber es gibt auch Zweifel.
Hamburg. Daniel Günther überlegt nur einen Moment, dann sagt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident (CDU) sehr bestimmt: „Hamburg ist eine Weltstadt, jetzt mit der Elbphilharmonie erst recht.“ Ganz so eindeutig fallen die Antworten vieler Hamburger, was Geltung und Bekanntheit ihrer Stadt in der Welt angeht, auf dem Neujahrsempfang nicht aus. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider hatte in seiner Rede einen Mittelweg vorgeschlagen und gesagt, Hamburg habe sich auf den Weg zur Weltstadt gemacht.
Der Schauspieler und Sänger Gustav Peter Wöhler ist eher skeptisch: „Weltstadt, Weltstadt? Berlin ist vielleicht eine Weltstadt, aber im Vergleich zu Hamburg auch ein Moloch. Sagen wir mal so: Wir hatten in Hamburg lange ein Tor zur Welt und jetzt haben wir es auch aufgemacht.“ Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) ist schon einen Schritt weiter: „Wir fühlen uns schon wie eine kleine Weltstadt an“, sagt Veit und erinnert an G 20, das Stones-Konzert und viele andere Veranstaltungen im vergangenen Jahr. „Wir spielen in ganz vielen Bereichen schon bei den Weltstädten mit, tun das aber nicht, um Weltstadt zu sein, sondern um Hamburg besser zu machen“, sagt die Sozialdemokratin.
Trepoll: Mehr Bürgerbeteiligung
„Wenn man darüber erst diskutieren muss, ist man es nicht“, sagt dazu CDU-Fraktionschef André Trepoll. Hamburg sei eine Welthafenstadt und eine Weltstadt mit Herz. Um dieses Versprechen einzulösen, müsse es aber mehr Bürgerbeteiligung geben. „Die zweitgrößte Stadt Deutschlands muss sich diese Frage stellen, und ich kann sie nur mit Ja beantworten. Nach der verpatzten Olympiabewerbung hat sich Hamburg erneut auf den Weg gemacht, darf jetzt aber nicht zurückzucken“, findet Ex-Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz. „Wir müssen noch mehr daran arbeiten, dass alle etwas vom Wachstum haben, und besser transportieren, wie jeder davon profitieren kann“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel.
Hamburgs Ehrenbürger und Ballettdirektor John Neumeier legt sich fest: „Hamburg ist eine Weltstadt, sonst würde ich mich hier auch nicht so lange aufhalten.“ Durch seine internationalen Tourneen wisse er um die Bedeutung und das Ansehen, das die Hansestadt genieße. Heribert Leutner, Architekt und ehemals Projektleiter für die Elbphilharmonie, rät allerdings zur Vorsicht: Hamburg gelte mit 1,8 Millionen Einwohnern und seinem großen Hafen bei professionellen Betrachtern als Weltstadt, aber: „Die Wahrnehmung der Hamburger ist eine andere, die wollen vielleicht gar nicht Weltstadt sein. Daher würde ich das marketingmäßig nicht offensiv vorantreiben.“ Ganz anders Universitätspräsident Dieter Lenzen, der findet, dass Hamburg mit Blick auf seine Außenwirkung zu zurückhaltend sei: „Man darf keine Angst haben, ein bisschen exzentrisch zu sein.“ Es fehle ein offensiver Slogan. Passend wäre vielleicht „Weltstadt mit Verstand“.
Kerstan: „Nicht immer die Größten sein“
Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), der 2017 gesagt hatte, die Hamburger müssten „nicht immer die Größten und Wichtigsten sein“, bleibt bei seiner Haltung. „Hamburg ist eine weltoffene, internationale Stadt. Aber sie spielt in der Liga der richtigen Weltstädte keine Rolle mehr – und das ist auch gut so“, sagt der Senator.
30. Neujahrsempfang:
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Ähnlich sieht es Ulrich Waller, Intendant des St. Pauli Theaters: „Die Welt hat man doch im Herzen. Die meisten Hamburger haben das. Deshalb muss Hamburg gar nicht erst Weltstadt werden.“ Und auch Köchin Cornelia Poletto findet: „Statt den Anspruch zu erheben, Weltstadt zu sein, kann man auch einfach hier so leben und die Stadt als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Für mich ist Hamburg einfach Heimat, hier wohnen meine Freunde.“ Und Rainer-Maria Weiss, Direktor des Helms-Museums, sagt: „Hamburg ist keine Weltstadt. Aber wenn es von jemandem so wahrgenommen wird, ist es doch gut!“ Michel-Hauptpastor Alexander Röder findet: „Hamburg steht für sich. Wenn man den Charme und die Schönheit der Stadt sieht, braucht man kein weiteres Attribut Weltstadt. Wir müssen uns nicht mit New York vergleichen.“
Pilawa: Tiefer Minderwertigkeitskomplex
„Das Weltstadtgerede resultiert aus einem tiefen Minderwertigkeitskomplex, und das hat Hamburg nicht nötig. Als Waschechter bevorzuge ich Weltoffenheit und Toleranz als Titel meiner Stadt. Und klar, in aller hanseatischen Bescheidenheit, wir leben in der schönsten Stadt der Welt“, sagt Fernseh-Moderator Jörg Pilawa.
Dass auch das Wetter bei der Weltstadt-Frage eine Rolle spielt, erklärt ein Ex-Fußballer. „Das Einzige, was Hamburg zu einer Weltstadt fehlt, ist, dass sich öfter mal die Wolken verziehen und die Sonne rauskommt. Wir müssten uns erst dann wirklich Sorgen machen, wenn wir hier das Wetter von Barcelona hätten“, sagt Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli.
(HA)
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