Hamburg. Es ist kein normaler Tag in der Stadtteilschule Stübenhofer Weg, denn kein Geringerer als Werner Marnette, Ex-Chef der Norddeutschen Affinerie und ehemaliger Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr in Schleswig-Holstein, hat sich angekündigt.
Marnette ist ein Mann der Tat. Deshalb reicht es ihm nicht, nur mit Schülern über politische Themen zu reden, er versucht, sie ihnen auch anders zu vermitteln. Denn der ehemalige Politiker ist Lese-Pate, er sponsert ein Jahr lang täglich eine Ausgabe des Abendblatts für die Schüler. Doch nur die Rolle des Spenders zu übernehmen, das kam nicht infrage. Und so vereinbarte er mit der Stadtteilschule in Kirchdorf-Süd einen Termin, um mit interessierten Schülern über die Nachrichten, die im Abendblatt erschienen sind, zu diskutieren. Schulleiter Matthias Herpe und die Fachbereichsleiterin Deutsch, Nalan Wolbers, zeigten sich begeistert und überzeugten ihre Schüler.
Schon als Marnette den Raum betritt, fällt auf: Berührungsängste hat dieser Mann nicht. Er gibt jedem Schüler die Hand und stellt sich vor. Schnell ist eine Verbindung hergestellt, Marnette ist sichtbar an deren Meinung interessiert. Überraschend offen diskutiert er mit den Heranwachsenden über aktuelle Herausforderungen in Politik und Wirtschaft. Er bezieht klar Stellung, auch zu komplexen Themen wie G-20-Gipfel, Trump und dem Verkauf der HSH Nordbank. Marnette ist ein Mann, der die Zukunft mitgestalten möchte.
Deswegen liegen ihm die Schüler auch am Herzen. Er macht an praktischen Beispielen fest, wie wichtig sie sind, um Probleme der Gegenwart lösen zu können. Ein großes Thema ist die Müllvermeidung: „Wisst ihr, wie viel Müll ihr pro Jahr produziert? Würde der Müll, den ihr produziert, in diesen Klassenraum passen?“ Marnette stellt nicht nur Fragen, sondern gibt auch Antworten. Ein Schüler erstaunt: „Woher wissen Sie das alles?“ – „Aus der Zeitung“, sagt der Exvorstandschef. „Ich bin begeisterter Zeitungsleser“, sagt Marnette. „Ich lese vier bis fünf Zeitungen jeden Tag und vergleiche diese miteinander. Ich brauche meine Zeitung zum Frühstück, sonst fehlt mir etwas.“
Während der Diskussion äußern die Schüler offen ihre Meinung zu unterschiedlichsten Themen, wie die Erhöhung der Reinigungsgebühren, Umweltschutz oder der Integration von Flüchtlingen. Zusammen erarbeiten sie pragmatische Vorschläge. „Warum lassen wir nicht einfach den ganzen Verpackungsmüll gleich in den Läden? Wenn die Firmen die Berge selber entsorgen müssen, fällt es vielleicht schneller auf, wie unnütz viele Doppel- und Dreifachverpackungen sind?“, fragt Nalan Wolbers. Natürlich gibt es für die meisten Fragen auch in diesem Kreis keine sofortigen und eindeutigen Antworten, doch allein die Beschäftigung mit den Fragen ist wichtig.
Die Diskussion dreht sich auch um den Aufbau einer Zeitung. Die Schüler berichten stolz, dass sie darüber schon im Deutschunterricht gesprochen haben. Pragmatisch erklärt Marnette, wie einfach es ist, eine Lese-Patenschaft zu unterstützen. Da verzichtet man mal ein paarmal aufs Essengehen und unterstützt dafür die Schüler. Der Mann ist konsequent. Marnette macht deutlich, dass die Unternehmen Verantwortung für die Schulen im Umkreis übernehmen sollten. Es gibt viele unbesetzte Lehrstellen.
Seine Herzensangelegenheit
Seiner Meinung nach sollten die Firmen durch Praktikumsplätze zeigen, wie attraktiv gerade handwerkliche Berufe seien. Deswegen hat er sich die Stadtteilschule Stübenhofer Weg ausgesucht – sie hat einen praktischen und handwerklichen Schwerpunkt. Die Schüler haben fast alle eine konkrete Vorstellung, was sie einmal beruflich machen möchten: Schlosser, Erzieherin, Flugloste, Architekt oder Politiker. Ein Schüler wird demnächst in einem Stadtteilbüro einer Partei ein Praktikum absolvieren.
Aus Sicht des Schulleiters Matthias Herpe ist das Projekt „Lese-Paten“ wichtig, um auch schon die Kinder der 5. und 6. Jahrgangsstufe an das Lesen heranzuführen. „Danach haben die Jugendlichen erst einmal etwas anderes im Kopf“, sagt er schmunzelnd. „Aber wenn wir es geschafft haben, sie einmal ans Lesen zu gewöhnen, werden sie nach der Pubertät auch wieder lesen.“
Zum Abschluss der Diskussion fasst Marnette seine Herzensangelegenheit zusammen: „Zeitungen und Journalismus sind wichtig für die Demokratie.“ Das Gespräch zeige, wie spannend und aufschlussreich Diskussionen mit Jugendlichen seien.
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