Hamburg. Zwei Millionen Menschen werden 2035 in Hamburg leben. Das hat das Institut der deutschen Wirtschaft jüngst prognostiziert. Doch wie wird die Bevölkerung dann aussehen? Werden noch viele Familien in der Stadt leben? Oder wird Hamburg fast nur noch aus Singlehaushalten bestehen?
--- Der Kommentar zum Thema ---
Fest steht: Die Zahl der Haushalte, in denen nur eine Person lebt, ist rasant gestiegen. War dies 1970 laut Statistikamt Nord noch bei lediglich 35 Prozent aller Hamburger Haushalte der Fall, lag der Anteil 1980 schon bei 41 Prozent, zehn Jahre später bei 46 Prozent – und heute bei 54 Prozent. Das heißt, dass mehr als jeder zweite Haushalt ein Singlehaushalt ist. Rechnet man den Anteil der Alleinlebenden um, heißt das: Mehr als 500.000 Hamburger leben bereits allein. Folgt man einer Prognose des Statistischen Bundesamtes für Stadtstaaten wie Hamburg, so wird es im Jahr 2035 bereits 640.000 Hamburger geben, die alleine leben.
Wo die Singlehochburgen liegen
Der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski sieht diese Entwicklung mit Sorge: „Wenn die unsicheren Zeiten anhalten und Krisen zur Normalität werden, kann sich in Zukunft auch ein massenhafter Trend zur Singularisierung als Lebensstil durchsetzen – eine freiwillige oder unfreiwillige Partnerlosigkeit. Das würde die sozialen Beziehungen in der Gesellschaft auf Dauer beeinträchtigen“, sagt der Forscher. „Eine Gesellschaft, in der die Menschen mehr mit Katzen als mit Kindern spielen, hat keine Zukunft.“
214.000 ledige junge Frauen und Männer
Dass gerade Hamburg so viele Alleinlebende anlockt, liege daran, dass es hier Arbeit, Wohlstand und Wachstum gebe, so Opaschowski. Die rund 214.000 ledigen jungen Frauen und Männer zwischen 25 und 35 Jahren, die am Anfang ihrer Karriere stehen und die Familiengründung noch vor sich haben, bilden dementsprechend einen großen Teil der Einpersonenhaushalte.
Die zweite Gruppe stellen Menschen dar, die 65 Jahre und älter sind. Von den 345.000 in der Hansestadt lebenden Seniorinnen und Senioren waren 2015 rund 154.000 ledig, geschieden oder verwitwet und demzufolge häufig alleinlebend. Durch den demografischen Wandel wird diese Gruppe künftig noch größer werden. Gleichzeitig entwickeln sich die Haushalte, in denen Familien mit Kindern unter 18 Jahren leben, rückläufig: In nur noch knapp 18 Prozent der Hamburger Privathaushalte sind diese Lebensmodelle laut den Daten des Statistikamts Nord zu finden.
Dabei bestehen zwischen den Stadtteilen erhebliche Unterschiede: Die höchsten Anteile an Haushalten mit Kindern gibt es in Neuallermöhe (34 Prozent) und Duvenstedt (30 Prozent). Diese Stadtteile haben mit 2,4 Personen auch die höchste durchschnittliche Haushaltsgröße.
In innerstädtischen Gebieten wie Hammerbrook und St. Georg liegen die Anteile unter elf Prozent. Hier besteht ein Haushalt aus durchschnittlich 1,3 bis 1,5 Personen. In den Stadtteilen Kleiner Grasbrook/Steinwerder, Dulsberg, Barmbek-Nord und Borgfelde leben in mehr als 70 Prozent der Haushalte nur eine Person – das ist einsame Spitze.
SPD sieht den Trend mit Sorge, FDP als Chance
Auf Bezirksebene weist Hamburg-Nord die höchste Dichte an Einpersonenhaushalten auf (63 Prozent). Fast alle Stadtteile in Nord – mit Ausnahme von Langenhorn und Alsterdorf – liegen über dem Durchschnitt. Vergleichsweise wenige Einpersonenhaushalte gibt es dagegen im Bezirk Bergedorf (43 Prozent). In Neuallermöhe, Altengamme und Tatenberg besteht nur rund ein Drittel der Haushalte aus einer Person.
„Die Stadt muss mit bezahlbarem Wohnraum, Krippenplätzen für jedes Kind und Ganztagsschulen massiv dagegensteuern, dass Familien aus den Zentren verdrängt werden“, sagt Uwe Lohmann, familienpolitischer Sprecher der SPD in Hamburg.
Den gesellschaftlichen Trend zur Vereinzelung sieht dagegen Daniel Oetzel, familienpolitischer Sprecher der FDP, als Entwicklung, die man gestalten müsse: „Wir profitieren wirtschaftlich und kulturell enorm davon, dass Hamburg nicht nur deutschland-, sondern auch europaweit so beliebt bei jungen Menschen ist.“ Die Politik müsse ihnen noch viel stärker als jetzt entgegenkommen, Studenten- und Auszubildendenwohnheime bauen.
Auch CDU-Politiker Philipp Heißner sieht die Städteplanung in der Pflicht: „Dass Menschen vermehrt allein leben möchten, ist an sich nicht negativ, sondern auch ein Zeichen von Wohlstand und Freiheit. Unsere Aufgabe ist es nun, auf diesen Trend zu reagieren. Wir müssen verstärkt kleinere Wohnungen für Singles und barrierefreie Wohnungen für Senioren schaffen, damit auch größere Wohnungen wieder für Familien zur Verfügung stehen.“ Gleichwohl sollten Strukturen geschaffen werden, wo Menschen zusammenkommen können, wenn sie es möchten – etwa in Mehrgenerationenhäusern.
Neue Lebensformen fördern
Das findet auch Grünen-Landeschefin Anna Gallina: „Um der Vereinzelung in der Gesellschaft entgegenzuwirken, aber den Menschen gleichzeitig ihren Freiraum zu gewähren, müssen wir neue Lebensformen fördern wie etwa das Hunziker Areal. Es bietet Einpersonenhaushalte und zugleich Gemeinschaftsräume, in denen sich die Menschen treffen können.“ So sei bezahlbarer Wohnraum in der Stadt zu gewährleisten.
Und wie reagiert die Immobilienwirtschaft? „Wenn man heute stadtnah neu baut, werden die Wohnungen durch gestiegene Grundstücks- und Baukosten automatisch kleiner“, sagt Axel-H. Wittlinger vom Immobilienverband Deutschland (IVD) Nord. „Und viele Projektentwickler wollen auch ganz gezielt Mieter in diesem Segment ansprechen.“ Setzt sich diese Entwicklung fort, könnten Ein- und Zweipersonenhaushalte bei Neubauten bald in der Mehrheit sein.
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