Hamburg. Sie hängen an Laternenmasten, stehen an Bäumen, kleben an Hauswänden: Fast einen Monat vor der Bundestagswahl ist die Stadt voll von Plakaten mit Gesichtern von Politikern. Seit die Parteien die heiße Phase des Wahlkampfes eingeläutet haben, dürften Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Wahlplakate in der Hansestadt verteilt worden sein. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) werben um die Aufmerksamkeit der Wähler – sondern vor allem auch die Kandidaten der sechs Hamburger Wahlkreise.
Die Plakate orientieren sich am Design der jeweiligen Bundespartei. So strahlen dem Betrachter etwa bei der CDU die Farben der Bundesflagge entgegen, die Grünen setzen auf den Farbkontrast Grün-Magenta; und die FDP nutzt knallige Farben auf Schwarz-Weiß-Bildern. Doch setzen viele Politiker ihre eigenen Akzente – und sich als Persönlichkeiten in Szene. „Das Standardlächeln gibt es nicht mehr, die Kandidaten wollen aus der Masse herausstechen“, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Kleinen-von Königslöw von der Universität Hamburg. Um das zu erreichen, haben die Politiker gezielt Strategien entwickelt. Besonders auffällig ist das zum Beispiel bei dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg.
Der Altonaer Kandidat trägt in mehreren Motiven seiner Plakatserie T-Shirt und offenes Jackett statt Hemd und Schlips – eher untypisch für die CDU. Noch dazu sind seine Plakate bunter als die seiner Parteikollegen gestaltet. Zwar wird die Linie der Partei, die Deutschlandflagge, aufgegriffen. Doch färben auch Cyan, Petrol oder Magenta die Schriftzüge – drei Farben, die mit dem CDU-Design nichts zu tun haben. „Marcus Weinberg kommt eher wie ein Start-up-Unternehmer daher“, sagt der Politikberater Martin Fuchs.
Suding nutzt ein Stilmittel, das sich schon Scholz bewährt hat
Mit dem Versuch, modern und cool zu wirken, wolle der CDU-Politiker vor allem urbane, liberale und alternative Wähler ansprechen, sagt der Experte für Medienwirtschaft. „Er bewegt sich in Altona in einem Umfeld, in dem nicht die klassischen CDU-Wähler wohnen.“ Ganz anders präsentiert sich Weinbergs Parteikollege Christoph Ploß. Der 31 Jahre alte Kandidat in Hamburg-Nord ist in Hemd mit Zeitung und Ledertasche unter dem Arm zu sehen, ohne knallbunte Farben. „Christoph Ploß muss vor allem für die ältere Wählerschaft seriös rüberkommen“, sagt Fuchs. Kommunikationswissenschaftlerin Kleinen sieht in den zwei Darstellungsformen, den Versuch der CDU, eine möglichst vielfältige Masse der Wähler anzusprechen. „Die Kandidaten lösen sich bildlich vom konservativen Image der Partei.“
Gesprächsthema in Sachen Wahlwerbung sind seit der Bürgerschaftswahl 2011 die Plakate von Katja Suding. Auch zur Bundestagswahl hat sich die FDP-Spitzenkandidatin etwas eher Außergewöhnliches einfallen lassen. Sie ist auf ihren Veranstaltungsplakaten mit nur einer Gesichtshälfte zu sehen. „Das löst beim Betrachter Irritationen aus, man schaut genauer hin“, sagt Kleinen.
Bei der Bürgerschaftswahl 2015 hatte sich bereits ein anderer Politiker dieses Stilmittel zunutze gemacht. Damals war es Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der auf Plakaten ohne Augenpartie zu sehen war. Sudings Plakat errege aber auch aus einem weiteren Grund Aufmerksamkeit, sagt Politikberater Fuchs. Leicht wehendes Haar, Schwarz-Weiß-Optik. „Das entspricht dem aktuell gängigen Cover-Layout deutscher Singer-Songwriter.“ Hinzu kommen Slogans in Gelb und Magenta – Farben, die sich von der „alten“ FDP unterscheiden. „Katja Suding verkörpert eine Popstarattitüde.“ Eher unscheinbar wirken die Wahlplakate der SPD-Kandidaten. Lächelnde Politiker vor weißem Hintergrund, dazu kantige Formen. Unter dem Parteilogo ist der Slogan „Zukunft für mehr Gerechtigkeit“ in kleiner Schrift zu lesen. „Die Gestaltung ist sehr statisch und zeigt die SPD nicht gerade als Angreifer“, sagt Fuchs. Grafisch wirkten die Plakate aber professionell, sagt auch Kleinen. Jedoch mache die nüchterne Gestaltung die Kandidaten „austauschbar“. Fuchs: „Der Betrachter erfährt nicht, wofür die Kandidaten stehen.“ Das Auftreten sei distanziert und konservativer als das der CDU.
Auf Auffälligkeit setzen die Grünen. Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov kommen die Motive der Partei bei noch unentschlossenen Wählern am besten an. Vor allem die reinen Themenplakate, auf denen Botschaften vor einem Hintergrund in Grün und Magenta im Mittelpunkt stehen. „Die Plakate brechen mit klassischen Mustern, erinnern eher an eine Collage“, sagt Kleinen. Auch Kandidatin Anja Hajduk zeigt sich vor einem solchen Hintergrund. Dazu ist der Slogan „Klimaschutz vorantreiben und mit der Wirtschaft vorne bleiben“ zu lesen. „Das ist zu verkopft“, sagt Wahlwerbeexperte Fuchs. „Da muss der Betrachter erst einmal stehen bleiben und drei Sekunden über die Botschaft nachdenken.“ Laut Kleinen sprechen inhaltliche Botschaften aber die Grünen-Wähler an. „Kleine Parteien müssen durch Inhalte Profil zeigen, sie wollen gar nicht die breite Masse ansprechen.“
Nur knapp jeder Zehnte findet Wahlwerbung hilfreich
Das zeigt sich auch bei der Linkspartei. Sie verzichtet überwiegend auf Plakate ihrer Kandidaten und setzt stattdessen auf Themen. Nur in geringen Mengen wird in Hamburg mit dem Gesicht des Spitzenkandidaten Fabio De Masi geworben. Das Plakat wirke laut Werbeexperten Fuchs allerdings „wie im Hobbykeller ausgedacht“. „Die Schrift ist komisch gesetzt, der Schrifttyp entspricht nicht dem offiziellen der Partei und wurde etwas uninspiriert auf das Plakat gekübelt. Kurzum: Das hat ein Amateur gemacht.“ Aber: „Der Kandidat wirkt sympathisch. Die Aussage des Slogans ist klar verständlich.“ Auch die Plakate von AfD-Spitzenkandidat Bernd Baumann erinnern Fuchs an „ein Anzeigeblatt“. „Das Layout ist eher verwirrend.“
Selbst in Zeiten zunehmender Digitalisierung sind Wahlplakate für die Parteien unverzichtbar, glauben beide Experten. Politikberater Fuchs schätzt, dass etwa 20 Prozent des Wahlkampfbudgets für Plakate ausgegeben werden. Zwar sei der Nutzen von Plakaten begrenzt. Laut einer YouGov-Umfrage gibt nur knapp jeder Zehnte an, dass Wahlwerbung hilfreich bei der Wahlentscheidung sei. Doch sagt auch Forscherin Kleinen: „Plakate sind das Kommunikationsmedium, mit dem sich auch nicht an Politik interessierte Menschen erreichen lassen.“ Nicht zuletzt würden besonders auffällige Plakate auch in den sozialen Netzwerken weiterverbreitet.
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