Hamburg

„1400 Tote durch Luftverpestung“

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Jens Meyer-Wellmann

Umweltschützer erheben Vorwürfe gegen den rot-grünen Senat und seinen „Reinhalteplan“. Sie fordern Fahrverbote, mehr Tempo 30 auf der Straße und Landstrom-Pflicht für Schiffe

Hamburg. Die Naturschutzverbände BUND und Nabu haben den vom Senat vorgelegten neuen Luftreinhalteplan als unzureichend kritisiert. Die darin festgelegten Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität seien „zu einseitig und in Teilen ungeeignet“, so die Einschätzung der Naturschützer. Außerdem werde die Einhaltung der Grenzwerte bei den giftigen Stickoxiden erst 2025 erreicht. Das sei zu spät, zumal die EU-Grenzwerte bereits seit 2010 gelten und das Verwaltungs­gericht Maßnahmen zur „schnellstmöglichen Einhaltung“ dieser zum Schutz der menschlichen Gesundheit eingeführten Werte verlangt habe.

Zweiter zentraler Kritikpunkt sind die aus Sicht von BUND und Nabu fragwürdigen Berechnungsmodelle, die der Senat in dem am 8. Mai vorgestellten Entwurf des zweiten Hamburger Luftreinhalteplans verwendet. So sei für die Dieselfahrzeuge mit Euro-4- und Euro-5-Normen der höhere Schadstoffausstoß nicht berücksichtigt worden, den das Umweltbundesamt zuletzt ermittelte (das Abendblatt berichtete).

„Der neue Luftreinhalteplan wird zwar Verbesserungen bringen, die Prognosemodelle werfen jedoch Fragen auf, die die Behörden dringend beantworten müssen“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. „Wenn die Modelle nicht stimmen, brechen die ohnehin unbefriedigenden Aussagen zum Erreichen der Grenzwerte wie ein Kartenhaus zusammen.“

Der Nabu weist auf „erschreckend hohe Belastungen“ durch Emissionen aus dem Hafen hin. Während der bisherige Luftreinhalteplan von 2012 auch die Belastung durch Feinstaub berücksichtige, betrachte der neue Entwurf nur noch die Stickoxide. Auch fehle eine Analyse, wie stark die Stadtteile Altona, Neustadt und HafenCity durch den Hafen belastet würden.

„Statt einen tauglichen Luftreinhalteplan mit wirkungsvollen Gesamtmaßnahmen vorzustellen, präsentiert der Senat einen reinen Klageabwendungsplan“, sagte Malte Siegert, Leiter Umweltpolitik beim Nabu. Dass gasförmige Stickoxide in der Luft obendrein die Feinstaubbelastung erhöhten, bleibe unberücksichtigt.

Opferzahl übersteige Zahl der Verkehrstoten um ein Vielfaches

Offensichtlich habe der Senat „wenig Interesse, neben Stickoxiden ehrlich mit der Luftbelastung durch Schwefeldioxid, Feinstaub und krebserregenden Ruß umzugehen“, so Siegert. Aus europaweiten Studien könne man ableiten, dass allein in Hamburg jährlich 1200 Menschen an Erkrankungen vorzeitig stürben, die durch Feinstaub („PM 2,5“) ausgelöst würden und 220 an durch Stickoxide verursachten Krankheiten – insgesamt also mehr als 1400 Hamburger. Das sei ein Vielfaches der Zahl der Verkehrstoten. BUND und Nabu fordern schärfere Maßnahmen zur raschen Einhaltung der Grenzwerte. Dazu gehören die Einführung einer „Blauen Plakette“ auf Bundesebene, die für Umweltzonen auch den Stickstoffdioxid-Ausstoß berücksichtigt. Ein Einfahrtverbot für alle Dieselfahrzeuge unterhalb der Norm Euro 6 in den Bereich der Innenstadt ab Ring 2 sei denkbar, sagte BUND-Geschäftsführer Braasch. Sollte es auf Bundesebene keine Blaue Plakette geben, müsse Hamburg nach dem Vorbild Stuttgarts eigene Luftreinhaltezonen mit großflächigen Durchfahrtsverboten einführen.

Dazu allerdings müsste ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewartet werden, das klären soll, ob Länder bzw. Kommunen selbst solche Fahrverbote überhaupt erlassen dürfen. Das Urteil wird im Herbst erwartet. Auf die Frage, ob es nicht ungerecht sei, durch großflächige Fahrverbote Hunderttausende Hamburger Diesel-Fahrer quasi kalt zu enteignen, sagte Braasch, es sei an der Zeit, dass sich das Mobilitätsverhalten ändere. Und es gebe in Hamburg ja einen guten öffentlichen Nahverkehr.

Als weitere Forderungen plädieren die Naturschützer für die Ausweitung von Tempo 30 oder 40 auf Hauptverkehrsstraßen, die Erhöhung von Parkgebühren und den „frühzeitigeren Einsatz von emissionsarmen Bussen“. Um die Belastung durch den Hafen zu reduzieren, müsse das Landstromangebot ausgebaut und für die Schiffe verpflichtend werden. Bisher könnten sich die Verursacher der Luftbelastungen über ein erhöhtes Hafengeld „freikaufen“. Zudem müsse der Strom aus ökologischen Quellen stammen – und nicht etwa wie jetzt im Plan vorgesehen, aus dem Kohlekraftwerk Moorburg, das selbst stark zur Belastung der Luft beitrage. BUND und Nabu verlangen überdies, dass Hamburg sich auf Bundes- und EU-Ebene „für wirksame Grenzwerte auch bei den krebserregenden ultrafeinen Partikeln aus der Dieselverbrennung“ einsetzen solle. Beide Verbände reichten ihre Stellungnahmen am Donnerstag beim Senat ein.

Der Anfang Mai von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) vorgestellte Luftreinhalteplan war bis Donnerstag öffentlich ausgelegt. Er sieht neben Maßnahmen wie Förderung des Rad- und öffentlichen Nahverkehrs und Einsatz von emissionsfreien Bussen auch Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge auf einem Teil der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße vor. Laut Umweltbehörde sind bis Donnerstag insgesamt 60 Einwendungen eingegangen, die man nun prüfe.

Am 30. Juni soll der Senat den Plan beschließen. Der BUND hatte eine gerichtliche Zwangsgeldandrohung erwirkt, falls Hamburg nicht bis zum 30. Juni einen Luftreinhalteplan vorlegt. Sollte dieser aus Sicht der Verbände nicht ausreichend sein, behalte man sich eine erneute Klage vor, sagte BUND-Geschäftsführer Braasch.

Björn Marzahn, Sprecher der Umweltbehörde, sagte, man sei „zuversichtlich“, dass die Berechnungen trotz der fehlenden Korrektur-Faktoren für Euro 4 und Euro 5 stimmten, die erst nach Fertigstellung des Plans vorgelegen hätten. Man habe unabhängig davon „Sicherheitszuschläge“ verwendet. Linke und FDP warfen Umweltsenator Jens Kerstan vor, der Luftreinhalteplan sei nicht ausreichend und weise handwerkliche Fehler auf.

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