Hamburg. Die kleine Stichstraße zwischen Alsterkrugchaussee und Obenhauptstraße in Groß Borstel trägt seinen Namen: Walter-Bärsch-Weg. Der angesehene Lehrer, Schulleiter, Oberschulrat und Professor für Sonderpädagogik an der Uni Hamburg war viele Jahre lang Mitglied im Hauptvorstand der traditionell linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Bärsch, Jahrgang 1914, eine bundesweit wahrnehmbare Stimme für die Rechte besonders der benachteiligten Kinder, war zunächst Präsident und zuletzt Ehrenpräsident des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB).
Vor zwei Wochen beschloss die Mitgliederversammlung des DKSB folgende Erklärung: „Walter Bärsch hat seine besonders aktive Unterstützung der Ziele des Nationalsozialismus vehement verleugnet und sowohl den Verband als auch die Öffentlichkeit darüber getäuscht und seine Vergangenheit verschleiert.“ Bärsch, der 1996 starb, wird nun nicht mehr als Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes geführt.
Ein tiefer, wenn auch posthumer Fall. Was war geschehen? „Erschütternd, eine persönlich schockierende Erfahrung“, nennt Hans-Peter de Lorent den Fall Walter Bärsch. De Lorent, pensionierter Leitender Oberschulrat, Ex-GEW-Chef und früherer Grünen-Politiker, hat die verborgene Lebensgeschichte des Pädagogen für den zweiten Band seiner „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945“ gründlich recherchiert.
De Lorent hat die NS-Akte von Bärsch eingesehen – er war seit 1934, damals noch Schüler, Mitglied der Nazi-Partei, hatte dies aber stets bestritten. Er war seit 1933 Mitglied der SS und stieg dort bis zum „Untersturmführer“ auf. De Lorent hat die „SS-Sippenakte“ des späteren Pädagogen studiert, der stets behauptet hatte, nur Mitglied der Hitler-Jugend gewesen zu sein. Besonders bizarr ist Bärschs Legende, er sei 1943 an der Prager Karls-Universität im Fach Psychologie promoviert worden. Wie der Hamburger Historiker Bodo Schümann herausfand, den de Lorent zitiert, existieren keine Unterlagen oder Informationen über die Promotion von Bärsch im Archiv der Universität, das im Zweiten Weltkrieg unzerstört blieb.
„Die Vergangenheit ist eben nicht vergangen“, sagt de Lorent – auch für ihn, der Bärsch sehr gut kannte, war der Pädagoge eine „moralische Instanz“. In seinem Buch fragt de Lorent: „Welche Belastung muss das über all die Jahre gewesen sein, seine Lebensgeschichte auf mehr als einer Lüge aufzubauen?“
Wie schon der erste Band ist auch der zweite ein sehr umfängliches Werk mit mehr als 800 Seiten. De Lorent hat die Biografien von 50 Lehrern, Schulleitern und leitenden Beamten der Schulbehörde nachgezeichnet – manche überzeugte Nazis, andere eher Mitläufer um der Karriere willen. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Zeit nach 1945, die trickreichen Bemühungen mancher Verstrickter, sogenannte „Persilscheine“ zu erlangen, und die ausgesprochen laxe Praxis der Entnazifizierungsverfahren.
De Lorent urteilt nicht von der moralisch hohen Warte der später Geborenen. „Wissenschaft ist Klugheit im Nachhinein“, sagt er, der dennoch von einer „unvollendeten Entnazifizierung“ spricht. Das Thema ist längst zur Lebensaufgabe für den pensionierten Lehrer geworden, der seit 30 Jahren in Archiven forscht und mit vielen Zeitzeugen sprach. Die „Täterprofile“ erscheinen in der Landeszentrale für politische Bildung und kosten drei Euro.
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