Eiserner Kanzler

Vor 150 Jahren: Wie Bismarck über Hamburg siegte

| Lesedauer: 6 Minuten
Josef Nyary
Otto von Bismarck war von 1867 bis 1871 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, anschließend Kanzler des Deutschen Reichs

Otto von Bismarck war von 1867 bis 1871 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, anschließend Kanzler des Deutschen Reichs

Foto: ullstein bild

Otto von Bismarck zwang die Hansestadt in den Norddeutschen Bund. Sie verlor ihre Freiheit – doch bekam dafür den Freihafen.

Hamburg. Freiheit oder Frieden, Wohlstand oder Widerstand, Zukunft oder Tradition? Der Streit ist hitzig, der Druck gewaltig, die Entscheidung schicksalhaft: Am 15. Mai 1867 nimmt die Hamburger Bürgerschaft nach langem Kampf gegen Bismarcks Preußen notgedrungen die Verfassung des Norddeutschen Bundes an.

Von diesem Tag an ist der Titel „Freie und Hansestadt“ nur noch ein ­Fake: Die Hanse gibt es schon lange nicht mehr, und jetzt ist auch die Freiheit futsch.

Hamburger leisteten lange Widerstand

Es hat sich abgezeichnet: 1866 besiegt Preußen im Deutschen Krieg Österreich und seine Verbündeten. Die Hamburger wären lieber neutral geblieben, müssen aber mitmarschieren. Im Friedensvertrag sichert sich Bismarck die Vorherrschaft nördlich der Mainlinie und gründet den Norddeutschen Bund.

Preußens Kriegsgegner werden entweder annektiert wie Hannover oder in den neuen Bund gezwungen wie Sachsen. Hamburg muss wie 21 andere verbündete Staaten erst mal nur Vertragspartner werden. Mehr Erpressung möchte Bismarck nicht riskieren, denn Österreich ist noch immer eine Großmacht, und Frankreich fürchtet nichts so sehr wie ein neues deutsches Reich.

Ein Jahr später aber drückt Bismarck plötzlich aufs Tempo: Inzwischen ist er auch Vorsitzender des Bundesrats und damit erster Bundeskanzler. Jetzt müssen alle mitmachen – auch Hamburg. Unverblümt stellt Bismarck die Stadt vor die Wahl: entweder „Gliedstaat“ im Norddeutschen Bund – oder Einmarsch der preußischen Armee!

Doch so leicht geben die Hamburger nicht auf. Besonders zwei Männer leisten Widerstand: Carl Hermann Merck leitet als Senatssyndikus mit dem Titel „Magnifizenz“ den Aufgabenbereich „Auswärtige Angelegenheiten“. Gustav Heinrich Kirchenpauer, Advokat, Verleger und Hauptmann des Bürgermilitärs, wird später Bürgermeister.

Eine Stadt baut um

Jetzt führen die beiden Hamburger beinharte Verhandlungen mit dem Eisernen Kanzler: Sie haben tatsächlich den Nerv, praktisch vor rauchenden Kanonenrohren unerschrocken und bis ins Detail um Sonderrechte zu feilschen.

Wichtigster Punkt: Der Norddeutsche Bund ist nicht nur der erste deutsche Bundesstaat, sondern praktisch bereits eine Zollunion mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Hamburgs Kaufleuten aber schmeckt das nicht: Deutschlands größte Hafenstadt fordert Zollfreiheit für ihre Importe aus aller Welt.

Die Schmach der Franzosenzeit war noch in allen Köpfen

Bismarck imponiert das zähe Schachern der „Pfeffersäcke“, doch nachgeben will er nicht. Die Hamburger hassen ihn dafür. „Die hätten mich am liebsten gehängt“, erinnert er sich später. Wochenlang geht es zwischen Hamburg und Berlin hin und her. Die klugen Kaufleute denken an ihre Kasse, der stets kriegsbereite Kanzler rasselt mit dem Säbel. Er weiß: Nichts fürchten die Hamburger mehr als ungezügelte militärische Macht. Der wirtschaftliche Niedergang von Stadt und Hafen in der verheerenden Franzosenzeit bis 1815 ist noch in allen Köpfen.

Es gibt viel zu verlieren: Hamburg ist ein souveräner Staat mit eigenen diplomatischen Vertretungen und Konsulaten in allen wichtigen Hafenstädten der Erde. Hamburg kann autonom Handelsverträge abschließen, zieht eine eigene Handelsflagge auf, hat eine eigene Post, eigene Telegrafen, ein eigenes Militär.

Nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes ginge das nun alles auf eine Zentralgewalt in Berlin über. Der neue Superstaat ist mit 415.150 Quadratkilometern deutlich größer als die Bundesrepublik von 1949, und von seinen damals schon 30 Millionen Einwohnern leben 80 Prozent in Preußen.

Die Hamburger wollen keine preußischen Untertanen sein. Sie wollen aber auch keinen Krieg riskieren, denn nach der unausweichlichen Niederlage würde es nichts mehr zu verhandeln geben. Alle kennen das berühmteste aller Bismarck-Zitate: „Nicht durch Reden und Majoratsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut!“

Am Ende kommt es, wie es kommen muss: Der Senat empfiehlt der Bürgerschaft, der Verfassung des Norddeutschen Bundes zuzustimmen, obwohl darin „manche unwillkommene Bestimmung“ enthalten sei. Um das Mindeste zu sagen. Souveränität, Post, Militär: alles weg.

Am 30. September 1867 treten die stolzen Hamburger Truppen in die preußische Armee ein und bilden dort das 76. Infanterieregiment. Am 6. November wird Hamburgs Bürgermilitär aufgelöst. 3376 Hamburger haben schnell noch eine Supplik („flehentliche Bitte“) an Bismarck geschickt – vergebens.

Berlin schickt seine Soldaten in Hamburgs Kasernen. Schießen müssen sie nicht. Sie könnten es aber, und sie würden es auch tun. Altona und Wandsbek, damals noch preußisch, werden zu Garnisonsstädten. Die Panzerkreuzer der neuen „Norddeutschen Marine“ liegen in Kiel und Wilhelmshaven. Hamburg darf nur zahlen und Matrosen stellen.

Aber die Zollfreiheit der Kaufleute ist nicht ganz vom Tisch, und sie wird Hamburgs Wohlstand auch in Zukunft mehren: Nach langen Jahren zähen Ringens schließt der Senat am 25. Mai 1881 mit der Reichsregierung endlich einen Zollanschlussvertrag, der den schweren Kampf lohnt. Hamburg wird zwar Teil des deutschen Reichszollgebiets, bekommt aber den ersehnten Freihafen.

Tausende empfingen Bismarck in Hamburg mit Ovationen

Außerdem zahlt Bismarck 40 Millionen Goldmark für den Bau der Speicherstadt. Und Hamburg behält, wenn nicht seine Gesetze, so doch immerhin seinen Rang in der Justiz: Das Oberappellationsgericht ist als höchste Instanz künftig auch zuständig für Bremen und Lübeck.

Freihafen und Speicherstadt treiben Hamburgs Handel auf immer neue Höhen, und die Bürger lernen auch andere Vorteile des Souveränitätsverlusts schätzen: Im Gebiet des Norddeutschen Bundes herrscht Freizügigkeit wie heute in der Europäischen Union, und Preußens starke Waffen schützen vor allen feindlichen Übergriffen.

Als Bismarck am 3. Juni 1890 zum ersten Mal nach 26 Jahren wieder an die Elbe kommt, empfangen Tausende Schaulustige den Sonderzug aus Berlin nicht etwa mit Buhrufen, sondern mit Ovationen. Die Hamburger schwenken Hüte und Taschentücher, schreien Hurra und stimmen patriotische Lieder an. Einige versuchen, dem Kanzler die Hand zu küssen, andere vergießen sogar Tränen.

Da wirkt es fast etwas hintersinnig, dass Bismarck auf der Hafenrundfahrt sagt: „Hamburg lebt vom Wasser!“

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