Altstadt. Ein Abbruch der Gespräche ist keine denkbare Alternative. Klaus Schomacker, Sprecher der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“, weiß als Coach, wie man mit komplizierten Situationen umgeht. Eine Grundregel gilt für ihn immer: Man muss in Kontakt bleiben.
Ein neues „Gesprächsangebot“ unterbreiteten die Initiativen, die sich seit über einem Jahr gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Großsiedlungen engagieren, zu Beginn der Woche. Sie entwickelten eine „Flüchtlingsampel“, die zeigt, wie es um die Umsetzung der Bürgerverträge zwischen Senat und Initiativen steht.
Mithilfe der drei Farben einer Ampel wird die Umsetzung der vereinbarten Vertragspunkte bewertet. Das geschieht bislang aus Sicht der Initiativen vor Ort. Es verwundert daher wenig, dass die Farben Rot für „Abweichungen vom Vertrag“ und Gelb für „ein hohes Risiko dafür“ überwiegen.
So ist die zurückhaltende Reaktion von Anselm Sprandel, Hamburgs Zentralem Flüchtlingskoordinator (ZKF), zu erklären. Er verweist auf ein eigenes Controlling, dessen Ergebnisse jeder in dem jährlich vorgelegten Fortschrittsbericht nachlesen könne. Leichte Literatur ist dieser Report allerdings nicht.
Darin liegt der Charme einer Ampel. Sie ist ein leicht zu verstehendes Instrument und würde große Transparenz herstellen, wenn Initiativen und Stadt diese gemeinsam fortschrieben. Daher ist die Zurückhaltung Sprandels nicht ganz zu verstehen.
Zumal die Monate seit Beginn der Flüchtlingskrise eines zeigen: Bei der Bewältigung ist die Hansestadt im Vergleich mit anderen Stadtstaaten wie Berlin und Bremen auf gutem Weg.
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kann zu Recht darauf stolz sein, dass ihm gelungen ist, woran vor allem Berlin nach wie vor leidet: Abgesehen von einer Bundeswehreinrichtung wurde keine Sporthalle der Hansestadt für die Unterbringung von Flüchtlingen zweckentfremdet. Das soll nicht verdecken, dass nach wie vor rund 670 Flüchtlinge in prekären Unterkünften wie ehemaligen Baumärkten und Lagerhallen leben. Auch die Zahl der Überresidenten – das sind Flüchtlinge, die noch in einer Erstaufnahme wohnen, obwohl sie einen Anspruch auf eine Folgeunterkunft haben – ist mit rund 5350 nach wie vor hoch.
Die Verantwortlichen beim ZKF betonen, dass es Ende Dezember noch rund 6300 Überresidenten gegeben habe. Opposition und Bürgerinitiativen fürchten hingegen eine Verschleppungstaktik. Die FDP-Politikerin Jennyfer Dutschke hält es für ein Unding, dass der „Senat den Initiativen vorwirft, es gebe zu viele Überresidenten, weil die Bürger sich gewehrt und kleinere Unterkünfte gefordert hätten“.
Auch die stellvertretende CDU-Fraktionschefin Karin Prien kritisiert den rot-grünen Senat. „Dieser hat viel zu lange auf die Großunterkünfte für Flüchtlinge gesetzt und alternative Planungen vernachlässigt.“ Dabei sei bereits Mitte 2016 ein Rückgang der Flüchtlingszahlen absehbar gewesen.
In der Tat liegt die Zahl der Neuankömmlinge inzwischen weit unter früheren Prognosen. So erwartet der ZKF 2017 die Ankunft von 7800 Flüchtlingen statt der in Hochzeiten befürchteten mehr als 20.000. Im vergangenen Jahr hatte Hamburg am Ende rund 10.000 Asylbewerber unterbringen müssen. Insgesamt leben derzeit etwa 52.000 Flüchtlinge in der Hansestadt.
Angesichts dieser Entwicklung sieht Sprandel seine Hauptaufgabe nun darin, Erstaufnahme- zugunsten von Folgeunterkünften aufzugeben. Ende Februar lebten in den 31 Erstaufnahmen 7454 Menschen. Die Zahl der Bewohner der 119 Folgeunterkünfte lag zu diesem Zeitpunkt bei mehr als 25.200. Erste Schritte der Umwandlung wurden bereits gemacht.
Doch es geht zu langsam. So hat Prien herausgefunden, dass aufgrund der Hamburger Gesetzeslage inzwischen fast 8500 Flüchtlinge einen Anspruch auf eine Sozialwohnung besitzen. Die Dimension dieser Zahl wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in den vergangenen Jahren in Hamburg jährlich rund 2000 Sozialwohnungen gebaut wurden.
Wohl auch deshalb ließ eine Bemerkung von Bergedorfs Bezirksamtschef Arne Dornquast (SPD) die Vertreter der Initiativen und die Opposition aufhorchen. Gefragt, ob, wie vereinbart, bis Ende 2019 auch in der Unterkunft am Mittleren Landweg die Zahl der Flüchtlinge auf maximal 300 reduziert werde, meinte der Verwaltungschef: Viele Flüchtlinge, die derzeit dort lebten, hätten 2019 einen sicheren Aufenthaltsstatus und seien dann keine Flüchtlinge mehr.
Auch die CDU sieht Defizite bei der Integration
Klaus Schomacker spricht von einer „Mogelpackung“. Notwendig sei eine wirkliche Durchmischung der Quartiere. Karin Prien verweist auf die großen Standorte Mittlerer Landweg, Rissen und Eidelstedt und sagt: „Ein Mensch mit sicherem Aufenthaltsstatus bleibt ein Mensch mit Fluchthintergrund. Wenn man diese Menschen zu Hunderten an einem Ort unterbringt, raubt man ihnen die Chance, in unserer Gesellschaft anzukommen.“ Damit spricht Prien das Thema Integration an, das oft hinter dem Streit um die Art und Weise der Unterbringung von Flüchtlingen verblasst.
So erklärte Sozialsenatorin Melanie Leonhardt (SPD) Ende Februar vor dem Sozialausschuss, dass von 1068 Flüchtlingen, die im April 2016 am Eingliederungsprozess in den Arbeitsmarkt teilnahmen, am Jahresende lediglich 19 eine Ausbildung begonnen und 97 einen Arbeitsplatz hatten.
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