Hamburg

Verfällt Hamburg einem „Fahrradwahn“?

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Jens Meyer-Wellmann

Nach Ansicht von Forsa-Chef Güllner tut die Politik zu viel für Radfahrer. Sogar der ADAC widerspricht dieser These

Hamburg. Der geplante Umbau Hamburgs zur Fahrradstadt hat bekanntlich nicht nur Anhänger. Manche Autofahrer haben den Eindruck, ihre Interessen würden bei der Verkehrsplanung nicht mehr genügend beachtet. Die Wahrnehmung, es werde zu viel für Radfahrer getan, teilt auch der Chef des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner. Der behauptete kürzlich, manche deutschen Städte seien einem „Fahrradwahn“ erlegen. Eine bundesweite Umfrage seines Instituts habe gezeigt, dass 69 Prozent der Bürger das Auto nutzten, aber nur 27 Prozent das Fahrrad.

In Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern gebe es immer noch 48 Prozent Autofahrer und nur 23 Prozent Fahrradnutzer – 51 Prozent nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Ähnliche Anteile hätte eine Befragung in Berlin zutage gefördert, so Güllner.

„Das Fahrrad – so wollen es die Fahrrad-Lobbyisten – soll in den Städten das wichtigste Verkehrsmittel werden“, schreibt Güllner in einer Kolumne auf der Forsa-Internetseite, die mit „Der Fahrrad-Wahn“ überschrieben ist. „Unterstellt wird dazu – ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse –, dass Radfahren für breite Kreise der Bevölkerung im Trend liegt und die Förderung des Radverkehrs allen Menschen zugutekomme. Doch alle nicht interessengetriebenen Untersuchungen belegen das keinesfalls.“ Zwar gebe es keine Erhebung speziell für Hamburg, es sei aber davon auszugehen, dass sich die Lage hier nicht wesentlich unterscheide, sagte Güllner dem Abendblatt.

Die Reaktionen auf die Einschätzungen des Demoskopen fallen gemischt aus. Mehrheitlich aber erntet Güllner deutlichen Widerspruch – sogar vom ADAC. Die Annahme, es werde überproportional in den Radverkehr investiert, sei durch Fakten nicht belegbar, sagte Carsten Willms, Sprecher des ADAC Hansa, dem Abendblatt. „In Hamburg werden jährlich dreistellige Millionenbeträge für Autobahnen ausgegeben, rund 70 Millionen für die Instandhaltung der Straßen, und es gibt rund 170 Millionen Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr. In den Radverkehr investiert die Stadt etwa zehn Millionen Euro im Jahr. Dieser Einsatz ist absolut verhältnismäßig“, so Willms. Eine Umfrage des ADAC bei den eigenen Mitgliedern in Berlin habe außerdem ergeben, dass mehr als die Hälfte eine Stärkung des Radverkehrs unterstützen.

Der Sprecher des Fahrrad-Clubs ADFC, Dirk Lau, sagte, es herrsche keinesfalls ein „Fahrradwahn“, sondern „nach wie vor ein Autowahn“. Das Autofahren werde „seit Jahrzehnten in vielfältiger Weise vom Staat subventioniert und gefördert – etwa mit Abwrack­prämie, Autobahnbau oder Vergünstigungen für Dienstwagen“. Und das alles „trotz erwiesenermaßen betrügerischer Methoden der Autolobby und trotz der unbestrittenen Tatsache, dass der Autoverkehr die Städte zerstört und Tausende Menschen durch Lärm, Unfälle und Abgase krank macht beziehungsweise tötet“.

Richard Lemloh, Sprecher der Verkehrsbehörde, sagte: „Gute Bedingungen auch für den Radverkehr sind im Wettbewerb um Einwohner und Fachkräfte Indikatoren für eine lebenswerte Stadt.“ SPD-Verkehrspolitiker Lars Pochnicht betonte, dass die SPD sich um alle Verkehrsteilnehmer bemühe. „Wir bringen die Straßen für Autofahrer in Ordnung, kümmern uns gleichzeitig um bessere Radverkehrsstrecken und bauen den öffentlichen Nahverkehr aus. So schaffen wir, was die Hamburger fordern: Die Mobilität in unserer Stadt soll zukunftsfest sein und zeitgemäßen individuellen Bedürfnissen nachkommen.“

Grünen-Verkehrspolitiker Martin Bill betonte: „Seit Jahren können in fast allen deutschen Großstädten die Grenzwerte für die Lärm- und Luftbelastung nicht eingehalten werden. Hauptverursacher dafür ist der motorisierte Verkehr. Gucken Sie sich den Fahrradzähler an der Gurlittinsel an: Die rund fünf Millionen Radfahrer seit 2014 sprechen eine eindeutige Sprache.“

Güllners Thesen stoßen in der Politik auf breite Ablehnung

Linken-Verkehrspolitikern Heike Sudmann sagte: „Gerade weil die Bedingungen für den Radverkehr nicht gut sind, nutzen viele Menschen das Rad weniger, als sie gerne möchten. Nicht umsonst gab es in Berlin einen sehr erfolgreichen Volksentscheid für die Stärkung des Radverkehrs.“

Auch der AfD-Abgeordnete Detlef Ehlebracht sagte, es sei richtig, den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen: „Fahrradfahren macht Spaß und tut uns allen gut.“ Falsch sei es aber, alle Fahrrad­wege auf die Straße zu verlegen. Ähnlich äußerte sich FDP-Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg: Radfahrer auf viel befahrene Straßen zu zwingen sei gefährlich für die Radler und eine Behinderung für Autofahrer.

CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering meinte, die Befragung halte Rot-Grün den Spiegel vor: „Durch die rot-grüne Brechstange bleiben nicht nur Autofahrer, Motorradfahrer, Lkw-Fahrer, Fußgänger, Bus und Bahnfahrer auf der Strecke, sondern gerade die Masse der Alltags- und Freizeitradler.“

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