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Gefahr für Allergiker: S-Bahn zieht Duftzüge aus dem Verkehr

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Nico Binde
Zwei Kurzzüge der S-Bahn waren zu Testzwecken parfümiert. Das führte zu Reizungen bei Allergikern.

Zwei Kurzzüge der S-Bahn waren zu Testzwecken parfümiert. Das führte zu Reizungen bei Allergikern.

Foto: Michael Rauhe

Mit parfümierten Bahnen sollte das Raumklima verbessert werden. Doch Fahrgäste beschwerten sich schnell beim Patientenverband.

Hamburg. Achtung, dieser Zug wird beduftet! Mit diesem Hinweis macht die Hamburger S-Bahn ihre Kunden seit einer Woche auf ein Pilotprojekt aufmerksam, bei dem parfümierte Züge besseres Raumklima verbreiten sollen. Doch nun wird die Aktion "beduftete Züge" gestoppt, weil es nur noch nach Ärger riecht. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) registriert eine Häufung von Beschwerden.

Etliche Kunden hatten nach der Fahrt mit den parfümierten S-Bahnen über Haut- und Atemwegsreizungen geklagt, sagt Wolfgang Griesing vom Hamburger Ortsverband des DAAB. "Das sind schwerwiegende Reaktionen." Deshalb halte der älteste Patientenverband in Deutschland die aktuelle Aktion zur Beduftung der S-Bahnzüge "weder für kundenfreundlich noch für angemessen".

Die Düfte Relax und Energize kamen zum Einsatz

Zwar habe niemand wegen seiner Beschwerden ins Krankenhaus gemusst, sagt Griesing. Aber der Verband habe umgehend Gespräche mit der Deutschen Bahn aufgenommen, um auf das Problem für Allergiker hinzuweisen. Daraufhin kündigte die S-Bahn nun an, die beiden betreffenden Züge zum Wochenende aus dem Verkehr ziehen zu wollen. "Wir stoppen das Projekt jetzt", sagt Bahnsprecher Egbert-Meyer-Lovis dem Abendblatt.

Ursprüngliches Ziel der "Zugbeduftung", so Meyer-Lovis, sei eine Verbesserung des Raumklimas gewesen. Deshalb habe die Bahn in zwei von 164 Kurzzügen die Duftkartuschen mit Gel der Firma "scentcommunication"eingesetzt. Eine S-Bahn wurde mit der geschmacksrichtung "Energize", eine weitere mit dem Aroma "Relax" bestückt. Zuvor waren die Düfte in der Unternehmenszentrale von Mitarbeitern getestet worden.

Unbedenklichkeit der Aromen wurde nachgewiesen

"Es handelt sich um eine trockene Beduftung", sagt der Bahnsprecher. "Es wird nichts versprüht." Zudem sei nur eine extrem geringe Duftmenge im Umlauf gewesen. Vom Hersteller wurde die Unbedenklichkeit der verwendeten Duftkartuschen sogar mit einer Bescheinigung nachgewiesen. Auch die Rückmeldungen anderer Fahrgäste sei nach Angaben der Bahn "bisher positiv" gewesen.

Trotzdem können Allergiker, Asthmatiker und empfindliche Personen auf Duftstoffe mit Kopfschmerzen, Kreislaufproblemen bis hin zum Asthmaanfällen reagieren, sagt Wolfgang Griesing vom DAAB. "Daher haben wir gefordert, diese Aktion umgehend zu beenden, um die empfindlichen Fahrgäste nicht von der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel auszuschließen." Für diesen nicht kleinen Personenkreis bedeute die Beduftung der S-Bahn eine gravierende Einschränkung ihrer Mobilität.

Asthma ist Volkskrankheit, keine Seltenheit

Nach Angaben des Verbands leiden etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung an bronchialem Asthma, vor allem Kinder. Damit sei Asthma die größte chronische Volkskrankheit der Republik. Neben Asthmatikern seien Personen mit hyperraktivem Bronchialsystem ebenso gefährdet wie Bürger mit COPD (Chronisch-obstruktive Bronchitis), der sogenannten Raucherlunge. Auch die Wirkung von Duftstoffen auf Säuglinge sei ungeklärt, so der Verband. Säuglinge haben empfindliche Bronchien, Schädigungen seien nicht ausgeschlossen.

Der Verband will nun mit der S-Bahn Hamburg GmbH beraten, welche schonenderen Möglichkeiten der Zugbeduftung es gibt. Der Verband kündigte bereits an, die Expertise von Wissenschaftlern zu vermitteln. Grundsätzlich sieht der Patientenverband aber die regelmäßige Reinigung der Züge sowie häufiges Lüften für effektivere und sinnvollere Maßnahmen für eine angenehme Atmosphäre in öffentlichen Verkehrsmitteln.

"Wir verändern die Raumluftqualität mit den verwendeten Duftstoffen nicht messbar, die ohnehin im Zug befindlichen Duftmoleküle werden nur um wenige ergänzt", sagt Bahnsprecher Meyer-Lovis. Sie sollen das Wahrnehmungsprofil des Geruchs ändern. In jedem Fall sei keine Flüssigkeit in der Luft, die beim Kontakt mit der Haut eine allergische Reaktion hervorrufe.

Neuromarketing greift um sich

Angesichts der Beschwerden lenkt die Bahn nun trotzdem ein. In einer Stellungnahme heißt es: "Die S-Bahn Hamburg hat sich aber entschieden, den Beduftungstest am kommenden Wochenende zu beenden. Durch das schnelle Handeln ist damit eine gefahrlose Nutzung aller Züge und Verbindungen der S-Bahnen in Hamburg ab der kommenden Woche für Allergiker und Asthmatiker wieder möglich."

Seit einigen Jahren setzen Unternehmen vermehrt auf Gerüche, um das Verhalten ihrer Kunden zu beeinflussen. Laut einer Studie der Universität Paderborn erhöht der richtige Duft die Kaufbereitschaft um fast 15 Prozent. Supermärkte mit Orangendüften oder Fast-Food-Restaurants, in denen der Duft von Holzkohlegrills simuliert wird, sind keine Seltenheit mehr. Neuromarketing heißt die subtile Art der Beeinflussung. Indes war schon ein Pilotversuch im Berliner Nahverkehr gescheitert.

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