Hamburg. Die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege lässt kein gutes Haar an der Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe des Hamburger Senats. Nicht nur fehle der politische Wille zur Verbesserung, selbst gesetzliche Vorgaben erfülle die rot-grüne Koalition nicht.

Hamburgs Wohlfahrtsverbände haben dem rot-grünen Senat eine massive Vernachlässigung der Wohnungs- und Obdachlosen in der Hansestadt vorgeworfen. "Ich denke, es fehlt in dieser Stadt wirklich am politischen Willen zu sagen, (...) wir werden uns daran messen lassen, die Wohnungslosigkeit und Straßenobdachlosigkeit stark zu reduzieren", sagte Stephan Nagel vom Diakonischen Werk Hamburg am Dienstag rund sechs Wochen vor Beginn des Winternotprogramms. Statt gesetzlichen Pflichten zur Unterbringung nachzukommen, betreibe der Senat vielmehr eine Politik der Abschreckung.

Derzeit gebe es in Hamburg rund 10 500 Wohnungslose, wobei die Dunkelziffer erheblich sein dürfte, sagte die stellvertretende Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW), Sandra Berkling, auch mit Blick auf zahlreiche bei Freunden untergekommene "Couch-Surfer". 2000 der Wohnungslosen lebten auf der Straße - doppelt so viele wie noch im Jahr 2009. Und die Lage verschlechtere sich zunehmend, "ohne, dass die Politik ernsthafte Anstrengungen machen würde, das Problem der Wohnungslosigkeit zu lindern", kritisierte Berkling.

Der stellvertretende Caritasdirektor Michael Edele sprach von 14 000 vordringlich Wohnungssuchenden. Für diese Gruppe seien im vergangenen Jahr von den 8500 erteilten Baugenehmigungen gerade einmal 26 Wohnungen gedacht gewesen. AGFW-Vizegeschäftsführerin Berkling betonte, dass diese Gruppe zudem mit den hunderttausenden Sozialwohnungsberechtigten konkurriere. Und da komme bei Vermietungen natürlich die "Krankenschwester mit Niedrigstgehalt" eher zum Zug als ein Wohnungsloser mit "Vermittlungshemmnissen". "Gerade im Wohnungsbau tut die Stadt fast nichts", kritisierte Edele.

Rechtlich müsse in Deutschland jeder, der wohnungslos ist, öffentlich-rechtlich untergebracht werden, sagte Nagel. "Das war in den vergangenen 20, 30 Jahren in Hamburg unstrittig." Bereits seit gut einem Jahr werde dies jedoch massiv unterlaufen. "Eindeutig rechtswidrig" werde Obdachlosen gesagt, dass sie erst dann untergebracht würden, wenn sie mindestens sechs Monate in der Stadt sind. Das Prinzip dahinter ist nach Ansicht des Diakonische Werks das Moment der Abschreckung: "Das wird gemacht, weil die Befürchtung da ist, dass noch mehr Menschen nach Hamburg kommen."

Der Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff vom Diakonischen Werk - zuständig für die Innenstadt - beklagte eine vermehrte Räumung von Schlafplätzen durch Polizei und Bezirksämter. "Die Leute campen ja nicht freiwillig auf der Straße", kritisierte er. Sie seien vielmehr dazu gezwungen, weil es keine Wohnungen und kaum Unterbringungsplätze gebe. "Solange sich die strukturellen Rahmenbedingungen nicht ändern, werden immer mehr Menschen auf der Straße landen", warnte Graßhoff. Er betonte, dass die Wohnungslosen auch schon lange nicht mehr den herkömmlichen Klischees entsprächen. "Wir reden hier nicht mehr von dem Bärtigen auf der Bank mit der Pulle." Hier gehe es vor allem um junge Menschen, Migranten und Frauen.

Nagel sagte, bei den nach Hamburg gekommenen Flüchtlingen habe der Senat gezeigt, dass es möglich ist, binnen kurzer Zeit sehr viele Menschen unterzubringen. "Das heißt, auch für Wohnungslose wäre das möglich, wenn der politische Wille da wäre." Die Wohlfahrtsverbände wollten keine Konkurrenzsituation zu den Flüchtlingen aufbauen. Es gehe vielmehr darum, dass bereits bewiesen ist, dass Hilfe möglich wäre. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) müsse sich das Thema "auf den Tisch ziehen".