Neujahrsempfang 2016

„Wir müssen weg vom Gewinner-Verlierer-Denken“

| Lesedauer: 6 Minuten
Andreas Dey

Nach dem Olympia-Aus diskutiert Hamburg auf dem Abendblatt-Empfang über die Zukunft der Stadt, Großprojekte und ein mögliches Leitbild.

Hamburg. Das Aus für die Olympiabewerbung ist auch im neuen Jahr Thema und wirft Fragen für die Zukunft auf: Gibt es ein neues Großprojekt, hinter dem sich möglichst viele Bürger versammeln könnten? Sollte die Stadt ein Leitbild oder eine Vision für ihre langfristige Entwicklung entwerfen? Das Abendblatt hatte die Debatte schon im November angestoßen, und Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer hatte ihr neue Nahrung gegeben und angeregt, den Schwung aus der Olympiabewerbung für eine Kampagne „Feuer und Flamme für Wissenschaft und Innovation“ zu nutzen.

Auf dem Neujahrsempfang des Abendblatts gingen die Meinungen der Gäste zu dem Thema weit auseinander. „Ich bin dankbar für den Appell von Herrn Melsheimer und werde mich im Senat dafür einsetzen“, sagte die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). „Wir müssen Begeisterung für das Thema entfachen, aber gleichzeitig den Menschen sehr konkret erklären, was wir vorhaben. Sonst kann sich niemand etwas darunter vorstellen, wenn wir sagen, dass wir Wissenschaftsmetropole werden wollen.“

Ganz konkret forderte die CDU-Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach höhere Investitionen in die Wissenschaft. „Dabei ist nicht nur der Technologietransfer wichtig, sondern die Grundlagenforschung.“ Das koste zwar sehr viel Geld, könne aber gleichzeitig sehr erfolgreich sein.

Unterstützung kommt naturgemäß auch von Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg. Fraglich sei aber, was abseits der Rhetorik nun geschehe, ob die unterfinanzierten Hochschulen zum Beispiel tatsächlich mehr Geld bekommen. Er habe auf jeden Fall das Gefühl, dass die Bürger eine Kampagne für die Wissenschaft mittragen würden. „Ich bin mir sicher, dass eine Volksbefragung zur Wissenschaft anders ausgehen würde als zu Olympia.“

Auch Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) wünschte sich, dass der Geist der Olympia-Bewerbung erhalten bleibt. Es habe in Politik und Verwaltung eine große gemeinsame Linie in den Bereichen Nachhaltigkeit, Soziales, Wirtschaft und Umwelt gegeben. „Vieles, was wir uns vorgenommen haben, sollten wir auch ohne Olympia weitermachen.“ So solle sich der Hafen modernisieren. „Der Kleine Grasbrook ist eine viel zu wertvolle Fläche, als dass man da für 2,98 Euro pro Quadratmeter Holzpaletten stapelt.“

Ähnlich sahen es die Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse (CDU) und Niels Annen (SPD): „Es wäre ein Fehler, wenn man den städtebaulichen Impuls von Olympia fallen ließe“, so Kruse. Annen riet hingegen, nach dem Olympia-Dämpfer „erst einmal alles sacken zu lassen und nicht sofort mit neuen Visionen aufzuwarten“.

„Wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen“

Auch Gerrit Braun vom Miniatur Wunderland, der sich massiv für Olympia engagiert hatte, ist skeptisch, ob die Stadt eine Vision braucht: „Wenn ja, dann müsste das Leitbild sein, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – bei den Flüchtlingen, in der Wirtschaft. Wenn uns das gelänge, wäre ich stolz.“ Krasser drückte esAlbert Wiederspiel, Chef vom Filmfest Hamburg, aus: „Wenn wir etwas aus der Olympia-Abstimmungsniederlage gelernt haben, dann, dass Hamburg kein großes gemeinsames Projekt braucht.“

Viele Gäste stellten Bezüge zu Flüchtlingen und der Volksgesetzgebung her. So wünschte sich die Moderatorin Julia-Niharika Sen Kunst- und Kulturprojekte in der Stadt, „an denen sich alle Hamburger und auch Flüchtlinge beteiligen können“. So lasse sich ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Für Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, ist eine Erkenntnis aus der Olympiadebatte „dass wir vom Gewinner-Verlierer-Denken wegmüssen. Wir sollten lokaler denken. Unter den Bürgern ist der Wille groß, sich an diversen Projekten aktiv zu beteiligen, man denke an die Esso-Häuser. Es gilt, dieses Interesse und das Engagement für neue Projekte zu heben.“

Auch die Kritik des Handelskammer-Präses, wonach zu viel direkte Demokratie die Stadt „unregierbar“ mache, stieß auf ein geteiltes Echo. „Volksentscheide müssen möglich sein, aber es kommt auf das Thema an“, sagte Moderatorin Bettina Tietjen. „Zum Thema Flüchtlinge sollte man auf keinen Fall einen Volksentscheid machen. Da sind zu viele Emotionen und Ängste mit im Spiel.“ Ähnlich sah es Schauspieler Gustav Peter Wöhler.

„Wir müssen auch unpopuläre Entscheidungen treffen können“

Der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) glaubt, dass die Hamburger genau gewusst haben, was sie taten, als sie der Olympia-Bewerbung im Referendum eine Absage erteilten. „Ob sich eine Stadt um Olympia bemühen sollte, das können die Bürger beurteilen“, sagte der 87-Jährige. Er sei ein Anhänger der direkten Demokratie auf der Ebene, die für den Bürger überschaubar sei. „Allerdings müsste es ein Verfahren geben, um einen Entscheid unter bestimmten Bedingungen überstimmen zu können“, sagte Dohnanyi.

Der Ausgang des Olympia-Referendums hat auch den früheren Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), heute Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, nachdenklich gemacht. „Es ist auffällig, dass es wieder eine Mehrheit im Volk gab, die das Parlament nicht abbildete. Wir müssen aber doch auch unpopuläre Entscheidungen wie den Bau einer Müllverbrennungsanlage treffen können“, so Scheele.

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hatte einen Rat für die Hamburger parat: „Hier sollten jetzt Bürgerforen mit der Frage nach dem künftigen Leitbild der Stadt, nach der großen Vision eingerichtet werden.“ Bestimmt würden dann die Olympia-Gegner, so Hörmann, engagiert mitdiskutieren.

Von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) weiß man, dass er Leitbild-Diskussionen eher skeptisch gegenübersteht. Wer als Politiker große Projekte und langfristige Strategien verfolgt, muss immer mit Problemen und Rückschlägen rechnen. Das Olympia-Referendum ist da nur das jüngste Beispiel.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg