St. Pauli

Kampf gegen neue Drogenszene auf St. Pauli

| Lesedauer: 7 Minuten
Daniel Schaefer

Anwohner beklagen immer mehr Dealer und Konsumenten vor ihren Häusern. Schon rund 50 Haftbefehle, aber Polizei kann den Handel nicht stoppen

St. Pauli.  Das Drogenproblem auf St. Pauli verschärft sich. Anwohner beklagen eine immer größere Zahl von Dealern, aber auch von Rauschgift­konsumenten auf der Straße. Erst am Dienstagabend hat die Polizei bei einem „Schwerpunkteinsatz“ zur Bekämpfung des Drogenhandels auf dem Kiez acht Männer im Alter zwischen 19 und 46 Jahren festgenommen.

Unter ihnen seien sechs Verkäufer und zwei Käufer von Rauschgift gewesen, teilte ein Polizeisprecher am Mittwoch mit. Einige der Dealer hätten versucht, den Zivilfahndern Drogen zu verkaufen. Die Beamten stellten bei dem Einsatz am Dienstagabend auch kleine Mengen von Kokain und Marihuana sicher. Sechs der Festgenommenen kamen wieder auf freien Fuß, gegen zwei wird Haftbefehl beantragt. Das Abendblatt hat sich am Rande der Reeperbahn umgesehen.

Ein Hauseingang an der Erichstraße. Ein leises Pfeifen ertönt: „Hey Boy, alles klar?“, ruft der Mann, der lässig mit zwei Begleitern an der Wand lehnt. Ein paar Meter weiter das gleiche Spiel. Sechs junge Männer stehen im Abstand von einigen Metern vor der Punkerkneipe Onkel Otto an der Hafentreppe und versuchen immer wieder Blickkontakt mit vorbeilaufenden Passanten aufzunehmen. „Psst, my friend, do you need something?“ („Brauchst du irgendetwas?“), flüstert einer der Männer im Vorbeigehen.

An die Dealer rund um die Hafentreppe hatten sich viele Anwohner auf St. Pauli über die Jahre gewöhnt. Seit Monaten jedoch scheint sich der Handel mit Drogen auch anderenorts auf dem Kiez auszubreiten. „Im November hat sich die Anzahl der Dealer vor unserer Tür noch einmal verdoppelt“, sagt Mariam Komeyli. Vor ihrem Reisebüro an der Reeperbahn, Ecke Talstraße stünden von 9 Uhr morgens bis tief in die Nacht meist zwischen sieben und zwölf Dealer. „Es reicht mir“, sagt die Reiseverkehrskauffrau. „Auf Ansagen reagiert keiner von denen. Es interessiert sie auch nicht, dass sie hier nicht erwünscht sind.“

An diesem trüben Dezembernachmittag sind es 13 junge Männer, die sich in kleinen Grüppchen rund um den Eingang zum S-Bahnhof Reeperbahn verteilt haben. Die Hände tief in den Taschen vergraben, versuchen sie immer wieder mit potenziellen Kunden ins Gespräch zu kommen. Im Erfolgsfall geht es mit einem der Männer in einen der Hauseingänge an der Talstraße. Ein Gramm Kokain gibt es für rund 50 Euro. Ein Tütchen Marihuana kostet je nach Menge zehn bis 20 Euro.

Nicht nur die Gewerbetreibenden, auch viele Anwohner sind von den Dealern in ihrem Quartier genervt und fühlen sich zunehmend alleingelassen mit dem Problem. „Ich habe einen Streifenpolizisten angesprochen, der sagte nur: ,Was sollen wir denn machen?‘“, schimpft Anwohner Andreas N. Die immer größer werdende Drogenszene werde seiner Meinung nach völlig ignoriert. „Der Staat kapituliert und tut nichts, während wir hier im Chaos versinken.“ Während eine Arbeitsgruppe der Initiative „St. Pauli selber machen“ inzwischen das Gespräch mit den Dealern rund um die Hafentreppe sucht, um zumindest einige Verhaltensregeln abzustimmen, berichten andere Anwohner von einem zum Teil sehr aggressiven Verkaufsverhalten der Männer: „Die sind so dreist, dass sie einen am Arm festhalten, wenn man nicht sofort reagiert.“ Es sind jedoch nicht nur die Dealer, die Anwohnern wie Andreas N. zunehmende Sorgen bereiten. Auch die Zahl der Drogenkonsumenten, die in Hinterhöfen oder Hauseingängen vor sich hindämmern, sei in den vergangenen Monaten stark gestiegen.

„Sie sitzen im Eingang vor der Heilsarmee und stopfen ihre Crackpfeifen oder ziehen auf offener Straße ihre Spritzen auf.“ Schon vor einem Jahr diskutierte man auf St. Pauli über die „Invasion der Dealer“ und die zunehmende Zahl der Drogenabhängigen auf dem Kiez. Der Bürgerverein St. Pauli forderte einen sogenannten Druckraum für den Kiez, um zumindest die Konsumenten von der Straße zu holen. Passiert ist seitdem wenig.

„Der Zustand ist nach wie vor katastrophal“, sagt Dieter Lohberger vom Bürgerverein St. Pauli. Er führt die zunehmende Zahl der Drogenkonsumenten auf dem Kiez vor allem auf den Umzug der Drogeneinrichtung Stay alive von St. Pauli nach Altona zurück.

Neben der Einrichtung eines eigenen Konsumraums für St. Pauli drängt Lohberger auf die Aufstellung eines Spritzenautomaten samt „Abwurfplatz“, um die Gesundheit der Drogenkonsumenten zu gewährleisten. Ein entsprechender Antrag wurde jedoch Anfang Dezember vom Bezirk Mitte abgelehnt. Die Polizei befürchtet, „dass vermehrt Konsumenten aus angrenzenden Bereichen hinzukämen und hier verblieben, weil sie sich hier umfassend mit allen notwendigen Gütern versorgen können“, heißt es in einer Stellungnahme der Davidwache, auf die sich das Bezirksamt beruft. Insgesamt befürchte man „eine noch größere Belastung des Viertels“.

Die Dealer seien meist Asylbewerber aus Gambia, Sierra Leone, Guinea oder Mali

„Die Polizei betreibt nach meiner Wahrnehmung einen beträchtlichen Aufwand, um die Zahl der Dealer zu reduzieren“, sagt Bezirksamtsleiter Andy Grote. „Der Erfolg ist spürbar, wenn auch schwankend. Zum Teil verlagert sich die Szene immer wieder innerhalb des Stadtteils.“ In den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurden bereits mehr als 50 mutmaßliche Dealer dem Haftrichter zugeführt, sagt Cornelia Schröder, Leiterin der Davidwache. Fast jeder erhalte einen Haftbefehl. Dennoch, so scheint es, kommt für jeden Festgenommen ein neuer nach.

Die Verkäufer seien meist Asylbewerber aus Gambia, Sierra Leone, Guinea oder Mali, die häufig in anderen Bundesländern gemeldet seien. Im Hintergrund ziehen große Kartelle die Fäden, die die prekäre Lage vieler afrikanischer Flüchtlinge, die meist ohne geklärten Aufenthaltsstatus und ohne Arbeitsgenehmigung in Deutschland leben, ausnutzen. „Über diese Hintermänner wissen wir aber zu wenig“, sagt Cornelia Schröder. Die Leiterin der Davidwache hofft, mithilfe des Landeskriminalamts mehr Erkenntnisse zu gewinnen, um bestehende Strukturen nachhaltig zu zerstören.

Dabei versuchen die Beamten alles, um die große Anzahl der Dealer zu verringern. Fast täglich finden auf St. Pauli Schwerpunkteinsätze statt. „Wir sind dabei auf zwei Wegen tätig: zum einen präventiv, um mit uniformierten Beamten Präsenz zu zeigen und damit die Szene in Bewegung zu halten“, sagt Cornelia Schröder. Es fehlten aber zusätzliche Kräfte, die ausschließlich für die Bekämpfung der Drogenkriminalität eingesetzt werden könnten.

Hinzu kommt: Die Dealer agieren arbeitsteilig: „In der Regel hat der Mann, der die Passanten auf der Straße anspricht, gar keine Drogen dabei“, schildert die Leiterin der Davidwache. Diese seien oft in Depots hinterlegt. „Um zu einer Festnahme wegen Drogenhandels zu kommen, müssen wir die gesamte Transaktion dokumentieren können.“ Mit einer baldigen Entspannung rechnet man daher auch in der Davidwache so schnell nicht: „Wir brauchen einen langen Atem.“ Um etwas zu tun, will Mariam Komeyli nun helle Scheinwerfer rund um ihr Reisebüro installieren, die den Dealern die Arbeit erschweren sollen. Gut möglich, dass diese sich dann wieder einen neuen Platz auf dem Kiez suchen werden.

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