Wer erzieht eigentlich unsere Kinder? Sind es überhaupt noch die Eltern, oder übernehmen diese Aufgabe mittlerweile die Medien, die Gleichaltrigen, die Schulen, oder ist es gar die Gesellschaft? Aus Sicht der Bürger gehört die Erziehung von Kindern ganz klar in die Hände der Eltern. Mehr als 90 Prozent halten es mit dem Artikel 6 des Grundgesetzes: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. An allererster Stelle soll also für Mütter und Väter nicht etwa der Beruf, die Selbstverwirklichung oder gar das Hobby stehen, sondern die Erziehung des eigenen Nachwuchses.
Die Realität sieht jedoch oftmals anders aus. Nicht wenige Eltern geben die Verantwortung für ihren Nachwuchs am Schultor ab und erwarten oder erhoffen eine umfassende Erziehung durch die Lehrer. Dabei besteht die eigentliche Aufgabe der Schule in der Ausbildung, also in der Vorbereitung auf den Beruf. Auch das Fernsehen und Internet dienen im Alltag oftmals als heimliche Miterzieher. Sie vermitteln Werte sowie Normen und beeinflussen unsere Kinder in vielerlei Hinsicht. Viele von uns sehen dies zwar kritisch, sind gleichzeitig aber auch froh, wenn die Kinder mal vor der Flimmerkiste geparkt werden können oder ihre Zeit im Internet verbringen, während wir mit der Nachbarin einen Kaffee trinken, den Haushalt erledigen oder uns kurz von der Arbeit erholen.
Apropos Arbeit: Diese ist zumindest quantitativ ein zentraler Einflussfaktor für die Kindererziehung. Laut einer Untersuchung der OECD verbringen berufstätige Väter gerade einmal 37 Minuten an einem Werktag mit ihren Kindern, Frauen kommen auf gut eine Stunde, sind aber auch deutlich häufiger in Teilzeit tätig. Nicht berufstätige Frauen beschäftigen sich dagegen 144 Minuten täglich mit dem Nachwuchs, während bei den Hausmännern die gemeinsame Zeit mit 48 Minuten sehr gering bleibt.
Neben der Arbeit prägen auch andere gesellschaftliche Entwicklungen die Erziehung von Kindern: Hierzu gehören z. B. mehr Einzelkinder und weniger Geschwisterkinder, mehr ältere Mitbürger, Singles und kinderlose Paare, mehr doppeltverdienende Eltern, Patchworkfamilien und Alleinerziehende. Und auch der oft beklagte Egoismus, die fehlende Toleranz oder die Ellenbogenmentalität in unserer Gesellschaft haben selbstverständlich Auswirkungen auf die Erziehung.
Eltern sind dabei hin- und hergerissen. Sie sehen einerseits die (scheinbare) Notwendigkeit, ihre Kinder auf diese Gegebenheiten vorzubereiten, wollen andererseits aber meistens selbst gar nicht so leben. In der Folge sind wir Getriebene zwischen Anpassung und Idealen, zwischen einer immer schnelllebigeren Welt und dem Wunsch nach mehr Zeit für den eigenen Nachwuchs. Vielleicht bietet ein Zitat von Jean-Jacques Rousseau einen Ansatz zur Auflösung dieser Gegensätze: „Kindererziehung ist ein Beruf, wo man Zeit zu verlieren verstehen muss, um Zeit zu gewinnen“.
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