Hamburg. Mit der guten Nachricht hielt Schulsenator Ties Rabe (SPD) nicht lange hinter dem Berg. „Wir haben den niedrigsten Wert von Schulabbrechern erreicht, soweit wir uns zurückerinnern können. Das ist eine sehr gute Entwicklung“, sagte Rabe bei der Vorstellung der Schuljahresstatistik. In konkreten Zahlen: Genau 755 Schülerinnen und Schüler verließen im vergangenen Sommer die Schulen ohne einen Hauptschulabschluss. Das entspricht einer Quote von 4,8 Prozent. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2003/04 betrug der Anteil der Schulabbrecher noch 11,3 Prozent – da waren es 1785 Jungen und Mädchen.
Doch es gibt Chancen, Versäumtes nachzuholen. „Es ist erstaunlich, dass es einem erheblichen Teil der Schulabbrecher gelingt, später auf der Berufsschule doch noch einen Abschluss nachzuholen“, sagte Rabe. Rechnerisch hat sogar mehr als die Hälfte der Schulabbrecher diesen Schritt noch geschafft: 477 Jugendliche waren es 2014. Allerdings ist diese Zahl nur indirekt mit den 755 Schulabbrechern zu vergleichen, da es sich um zwei unterschiedliche Schülerjahrgänge handelt.
Rabe sieht drei mögliche Gründe für den Rückgang und macht zunächst die gewachsene Sensibilität der Pädagogen verantwortlich. „Es gibt einen Gesamttrend in allen Schulformen, auf abgehängte oder benachteiligte Schüler zu achten“, sagte Rabe. Seit der Entdeckung der hohen Abbrecherzahl zu Beginn des Jahrtausends gebe es zusätzliche Förderangebote, frühzeitige Elterngespräche und veränderte Unterrichtskonzepte. „Zweitens wird gerade in den oberen Klassen der Stadtteilschule genau hingeguckt, wer in Gefahr geraten könnte. „Da greifen Programme wie Fördern statt Wiederholen zum Beispiel“, sagte der Senator.
Der dritte Punkt betrifft eine durchaus umstrittene Entscheidung des SPD-geführten Senats aus der vergangenen Legislaturperiode. Danach dürfen Schüler die neunte Klasse nur noch verlassen, wenn sie einen Ausbildungsplatz haben. „Damit haben wir das zehnte Schuljahr praktisch für alle genormt. Das hat sicherlich auch einen Effekt“, sagte Rabe. Mit anderen Worten: Vielen Schülern gelingt im letzten Augenblick doch noch der Abschluss.
Der frühere Bürgerschaftsabgeordnete und Primarschul-Bezwinger Walter Scheuerl sieht diese Regelung kritisch. „Die Schulbehörde erlaubt den Stadtteilschulen seit dem Schuljahr 2013/14, dass Schüler den Hauptschulabschluss auch ohne Prüfung erwerben, sofern die Zeugniskonferenz davon ausgeht, dass sie voraussichtlich den mittleren Schulabschluss erreichen werden“, sagte Scheuerl. Ob die Schüler die mittlere Reife wirklich schafften, werde jedoch nicht geprüft.
Politischen Streit gibt es auch über den sehr hohen Anteil der Abiturienten, der auf einen neuen Rekordwert geklettert ist. Im Sommer 2014 haben 8514 Jungen und Mädchen die Reifeprüfung abgelegt – das entspricht einem Anteil von 54,5 Prozent an den Schulentlassenen insgesamt. Der letzte Vergleichswert lag bei 51,7 Prozent im Jahr 2012. Die Gesamtentwicklung ist enorm: Vor zehn Jahren betrug die Abi-Quote lediglich 31,5 Prozent.
Rabe versuchte noch zu beschwichtigen, indem er darauf hinwies, dass der Trend zu einem immer höheren Abiturienten-Anteil bundesweit gleich sei. Doch die FDP-Schulexpertin Anna von Treuenfels warnte sogleich: „Dieser Boom wird weder den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht, noch wird er vor den absehbar steigenden Anforderungen durch ein bundesweites Zentralabitur 2017 Bestand haben können.“ Es werde, so die FDP-Politikerin, „ein böses Erwachen in den Abiturprüfungen“ geben. Diese Sorge scheint den Schulsenator auch umzutreiben. „Das Hamburger Matheabitur wird garantiert nicht leichter werden“, sagte Rabe mit leichter Ironie im Blick auf das Zentralabitur 2017.
Für Scheuerl ist die hohe Abi-Quote besorgniserregend. „Die Zahlen bestätigen die schleichende Entwertung des Hamburger Abiturs“, so der Sprecher des Elternforums „Wir wollen lernen“. Er macht unter anderem die Umstellung auf kompetenzorientierte Aufgaben und die Abschaffung der externen Zweitkorrektur der schriftlichen Abiturarbeiten für den angeblichen Niveauverlust verantwortlich.
Die Gesamtzahl der Schüler an den allgemeinbildenden Schulen ist gegenüber 2013 um 1484 auf 188.818 Schüler gestiegen (2010: 180.452). Der Anstieg ist zum einen ein echter Schülerzuwachs – ablesbar an der erneut gestiegenen Zahl der Erstklässler (plus 434 auf 15.761). Eine Ursache ist die deutlich höhere Zahl von Flüchtlingen. Andererseits bedeutet etwa der Anstieg der Abitur-Quote, dass die Schüler länger zur Schule gehen und so auch zum Anstieg der Gesamtzahl beitragen.
An fast allen staatlichen Schulen gibt es mittlerweile Ganztagsangebote, die von gut 77 Prozent der Kinder in der Kernzeit (13 bis 16 Uhr) genutzt werden. Erstmals seit mehreren Jahren ist die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und soziale Entwicklung (LSE) an den allgemeinen Schulen gesunken: von 6010 auf 5732 Jungen und Mädchen.
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