Stabsfeldwebel vor Gericht – er soll Untergebene für private Dienste eingespannt haben

St. Georg. Erst soll ein einzelnes Taschentuch Abhilfe schaffen. Wenig später folgt eine ganze Packung. Der Mann auf der Anklagebank kann es gebrauchen, immer wieder tupft er sich Tränen weg, mal vorsichtig, dann wieder mit einer energischen, fast schon ärgerlich wirkenden Geste. „Es tut mir leid, dass ich hier so rumheule als erwachsener Mann“, ärgert er sich über sich. Von „Vorbildfunktion“ grummelt er und seiner Verantwortung, aber auch von Schuld. Er, ein Vorgesetzter bei der Bundeswehr, auf Abwegen? Irgendwie schon, räumt der Stabsfeldwebel zerknirscht ein. Vielleicht aber nicht in gravierendem Ausmaß, meint er.

Tatsächlich geht es in dem Prozess vor dem Amtsgericht, in dem sich Stabsfeldwebel Michael L. verantworten muss, nicht um hohe materielle Werte. Aber um Regeln und Verpflichtungen, um Befehlsstrukturen und Gehorsam. Was darf ein Dienstvorgesetzter? Und was nicht? Wo stößt die Befehlsgewalt bei der Bundeswehr an Grenzen, wo fängt das Private an? Dem Soldaten wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, seine Vorgesetztenposition mehrfach ausgenutzt zu haben.

Er habe ihm unterstellte Soldaten beauftragt, während der Dienstzeit Tätigkeiten für ihn auszuführen, die privaten Zwecken dienten, heißt es in der Anklage. Unter anderem erstellte den Ermittlungen zufolge ein Obergefreiter Skizzen für einen Kellerraum seines Privathauses. Ferner transportierten Untergebene für ihn mit einem Dienstwagen Pflastersteine und Altpapier oder auch einen Kühlschrank. Insgesamt sollen die Soldaten rund 16 Stunden Dienstzeit für solche Aufträge verwendet haben.

Tief holt der Angeklagte Luft, räuspert sich, zögert. Es fällt dem 49-Jährigen sichtlich schwer, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Er sei „entsetzt“ gewesen, „was da alles passiert ist“, beginnt der Soldat, der wegen einer Krankschreibung nicht in Dienstkleidung, sondern in dunklem Anzug erschienen ist, seine Schilderung. Allerdings habe er damals in mehrfacher Hinsicht Probleme gehabt, unter anderem privat als „gehörnter Ehemann“, aber auch durch extrem viel Stress im Beruf, überwiegend mit 14-Stunden-Tagen. Wegen der vielfältigen Belastungen habe er auch Therapien absolvieren müssen. „Ich stand im wahrsten Sinne des Wortes neben mir.“ Er sei darüber hinaus im Dienst gemobbt worden, ergänzt der Angeklagte.

Da war er froh, „dass meine Soldaten für mich da waren“, in einem „kameradschaftlichen Verhältnis“. Die Skizze für eine bauliche Veränderung an seinem Haus, die ein Untergebener versucht habe, sei nur ein Vorschlag seinerseits gewesen, weil der Soldat sich über „Langeweile“ beklagt habe. Und auch die anderen Erledigungen habe er eher als freundschaftliche Geste denn als Befehl verstanden. Zudem sei er nie auf die Idee gekommen, dass seine Untergebenen die Aufträge während der Dienstzeit und mit Dienstwagen erledigen könnten. Darüber hinaus habe „jeder Chef“ Soldaten beauftragt „für private Sachen“, verteidigt sich Michael L. „Ich habe mir da nicht so einen Kopf drum gemacht.“

Die Soldaten würden die Vorfälle durchweg anders schildern, nämlich eher als Befehl, wirft der Amtsrichter ein. Wenn dies so nicht stimme, müsse das ja ein „ganz großes Verschwörungstheater gewesen sein“, wundert er sich. Ein Oberstleutnant habe viele der Soldaten „unter Druck gesetzt“, erklärt der Angeklagte dazu.

Doch zumindest der erste Zeuge bleibt bei seiner belastenden Aussage. „Mein ehemaliger Spieß hat mich gebeten, ob ich Pflastersteine für ihn abholen und bei ihm abladen kann“, schildert der Soldat. „Er sagte: ‚Mach mal.‘ Ich habe das als Befehl aufgefasst.“ Es sei ihnen bei der Bundeswehr speziell in der Anfangszeit beigebracht worden, „erst mal alles zu tun, was Dienstvorgesetzte sagen“, betont der Zeuge. Er habe sich „nie getraut, Nein zu sagen“.

Der Prozess wird fortgesetzt.