Hin und wieder träume ich – am helllichten Tag! Von einer Welt ohne Hass, ohne Feindseligkeit, ohne Krieg und ohne Terror. Dann träume ich von Menschen, die aufeinander zugehen, auch wenn sie unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Überzeugung sind. Sie begegnen sich, weil sie ein Gespür dafür haben, dass es eine Wahrheit gibt, die umfassender ist als die augenblickliche Geisteshaltung und die eigene Meinung. Ob sie diese Wahrheit nun Gott nennen, Adonai oder Allah, ob sie irgendwelche Götter anrufen oder das Universum bemühen, ist für mich zweitrangig. Hauptsache, sie verstehen sich selbst nicht als die letztgültige Instanz. In diesem Traum frage ich einen religiösen Fanatiker: Warum traust du deinem Gott so wenig zu? Ist er denn wirklich so schwach, dass ausgerechnet du, ein endlicher und sterblicher Mensch, den Ewigen verteidigen musst? Ist es nicht eher so, dass du auf den Schutz und die Geborgenheit dieses Gottes angewiesen bist?

In meinem Traum wird in der Passionszeit, also in den knapp sieben Wochen vor Ostern, an jedem Tag in jeder Zeitung und in jeder Nachrichtensendung auf den Leidensweg Jesu hingewiesen. Nicht, weil man damit zum Christentum bekehren möchte, sondern allein deswegen, weil dieser Mann exemplarisch und in besonders anschaulicher Weise sowohl an dem Hochmut als auch an der Gleichgültigkeit seiner Zeitgenossen gelitten hat und sterben musste. Wir machen uns täglich Gedanken darüber, warum dies geschehen ist und wie ein Leben aussieht, in dem nie mehr so gelitten werden muss. Vielleicht würden wir uns Geschichten erzählen, was jeder Einzelne und die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft denken und tun müssten, damit so ein Leidensweg vermieden wird. Denn Opfer soll es nicht mehr geben. Das eine hat gereicht.

Natürlich ringen und streiten wir in meinem Traum um die Wahrheit und den rechten Weg, aber wir machen es immer in der Gewissheit: Unser Tun und Lassen ist Stückwerk. Wir sind nun mal endliche Wesen und können allerhöchstens winzig kleine Spuren im Sand der Geschichte hinterlassen, auch wenn diese aus der Nähe unseres eigenen Blickwinkels so verlockend groß aussehen.

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