Politikprofessor Kai-Uwe Schnapp analysiert die Wirkung der Wahlplakate in Hamburg

Hamburg. Köpfe, wohin man sieht. An Bäumen, Laternenpfählen, Häuserwänden und auf großen Plakaten buhlen Politiker dieser Tage im Endspurt vor der Bürgerschaftswahl am 15. Februar mit ihrem jeweiligen Konterfei um die Gunst der Wähler. Mehr als 100.000 Plakate gibt es Schätzungen zufolge in der Stadt.

Zu sehen sind die Spitzenkandidaten, aber wegen des Zehn-Stimmen-Wahlrechts auch Kandidaten aus den Wahlkreisen. Auffällig ist, dass kaum inhaltliche Aussagen getroffen werden. Für die Wähler – und viele Hamburger sollen nach jüngsten Umfragen noch unentschieden sein – erschließen sich also kaum Entscheidungskriterien. Eine Reaktion darauf, dass in der Stadt keine Wechselstimmung zu spüren ist?

„Der Trend, auf Wahlplakaten mehr auf flotte Sprüche zu setzen als auf politische Inhalte, geht weiter“, sagt Professor Kai-Uwe Schnapp, der an der Universität Hamburg Politikwissenschaft lehrt. Dabei setzten die Parteien verstärkt auf personalisierte Kampagnen. „Die Politiker werben mit kurzen Schlagworten: ‚Freiheit‘, ‚Bildung‘, ‚Kita-Plätze‘. Damit machen sie sich zur Projektionsfläche, zu einem Gefäß, in das die Wähler genau das hineininterpretieren können, was zu ihren eigenen Vorstellungen passt.“ Besonders auffällig sei dies bei der SPD und bei deren Spitzenkandidaten, Bürgermeister Olaf Scholz, der zunächst kopflos auf Großplakaten zu sehen war.

Auf den neuen Plakaten ist der wichtigste Mann der SPD jedoch komplett zu sehen, im eleganten Anzug mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen. Scholz macht keinen Hehl daraus, dass er für sich und seine SPD erneut die absolute Mehrheit anstrebt. Politikexperte Schnapp sieht darin eine „Königs-Ikonografie, die sehr selbstbewusst, sogar fast arrogant wirkt“.

Die SPD habe sich in den vergangenen vier Jahren nicht besonders bürgernah präsentiert – und sei es auch jetzt im Wahlkampf nicht. „Zur Bürgerschaftswahl 2011 machte Scholz konkrete Versprechungen: ‚6000 neue Wohnungen pro Jahr‘, ‚Abschaffung der Studiengebühren‘. Das ist in diesem Jahr deutlich weniger der Fall.“

In diesem Wahlkampf sei das Versprechen von Amtsinhaber Scholz ein anderes, es laute schlicht: „Weiter so.“ Und damit sei der Bürgermeister erfolgreich, sagt Politikprofessor Schnapp: „Olaf Scholz hat Zustimmungsquoten, auf die selbst die Bayern neidisch gucken.“

Ganz anders präsentiere sich sein Herausforderer Dietrich Wersich (CDU). Auf den Plakaten mache er Aussagen zu konkreten Vorhaben.

Oft geht es dabei um die Verkehrspolitik, einem wichtigen Wahlkampfthema der CDU. „Der Kandidat wirkt bürgernah und sympathisch. Er versucht, Standpunkte zu vermitteln“, sagt Politologieprofessor Schnapp. „Dass er nicht punkten kann, liegt daran, dass er gegen einen starken Bürgermeister kämpft und sich inhaltlich kaum von der SPD abgrenzen kann.“

Selbst die Grünen machen inzwischen, was sie früher strikt abgelehnt haben: Die beiden Spitzenkandidaten, Katharina Fegebank und Jens Kerstan, sind überall brav nebeneinander plakatiert, ebenso die Linken. „Sie personalisieren auch, verbinden das aber stärker mit Inhalten“, hat Schnapp beobachtet.

Meisterin des Fachs Wahlwerbung sei jedoch FDP-Frontfrau Katja Suding. Fast allgegenwärtig ist das Gesicht der Spitzenkandidatin in der Stadt zu sehen. Mal mit wehendem Haar, mal in schicker Lederhose und immer mit einem leichtgängigen Slogan wie etwa „Unser Jugendwort des Jahres heißt Bildung“. Viel geredet wurde in den vergangenen Tagen auch über die Foto-strecke im Magazin „Gala“, das Suding in Anlehnung an die Hollywood-Heldinnen „Drei Engel für Charlie“ gemeinsam mit den FDP-Politikerinnen Lencke Steiner und Generalsekretärin Nicola Beer präsentierte. „Da inszeniert sich eine Politikerin wie ein Star“, sagt Experte Schnapp.

Schon zu Beginn des Wahlkampfs hatte die Liberale, eine gelernte PR-Fachfrau, mit dem Slogan „Unser Mann für Hamburg“ für Diskussionen gesorgt. Inzwischen steht die einst aus der Wählergunst gefallene Partei in Hamburg laut Umfragen offenbar wieder vor dem Einzug in die Bürgerschaft.

Ob es an den Wahlplakaten liegt? Schätzungen zufolge geben die Parteien zwar zwei Drittel ihres Etats für Wahlplakate aus, der Nutzen ist nach einer neuen Umfrage der Stiftung für Zukunftsfragen allerdings begrenzt.

Denn laut Studie geben nur zwei Prozent der Bevölkerung an, dass sie sich von Wahlwerbung auf Plakaten bei ihrer Stimmabgabe beeinflussen lassen. Trotzdem überlegt die Alternative für Deutschland (AfD) jetzt, ganz neue Wege zu gehen. Nach der massiven Zerstörung von Wahlplakaten der rechtskonservativen Partei hatte ein Mitglied der „Jungen Alternative“ aus Düsseldorf vorgeschlagen, Arbeitslose oder Studenten als laufende Plakatwände anzuheuern – zum Mindestlohn von 8,50Euro pro Stunde. Der Hamburger Landeschef Jörn Kruse sagte dem Abendblatt auf Anfrage: „Das klingt interessant. Wir nehmen den Vorschlag gern auf.“ Ob er so kurz vor der Wahl noch umgesetzt werden könne, müsse aber geprüft werden