In Eimsbüttel gibt es mehrere Initiativen für Verkehrsberuhigung. Doch der Bürgerwille deckt sich nicht immer mit den Vorgaben der Behörden.

Eimsbüttel. Die Eltern in Eimsbüttel sind in Sorge. Nicht erst seit dem Unfalltod einer Joggerin, die von einem Rotlichtsünder an der Bundesstraße überfahren wurde. Die Angst der Eltern vor dem Autoverkehr im dicht besiedelten Eimsbüttel, in Hoheluft-West und in anderen Stadtteilen ist allgegenwärtig. Doch Versuche, Zebrastreifen einzurichten oder die Geschwindigkeit in einigen Straßen zu verringern, laufen häufig ins Leere. Es ist ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht, das sich deshalb bei vielen breit macht. Jetzt fordert erneut eine Initiative Tempo 30.

Matthias Steffen fühlt sich nicht ohnmächtig, weil er ganz am Anfang seines Vorhabens steht und zuversichtlich ist. Tempo 30 im Bereich Bundesstraße/Osterstraße ist sein Ziel und das seiner Mitstreiter – mehr als 150 Unterstützer hat er bereits. Und es werden mehr. Der Vater von drei Kindern, die alle im Viertel zur Schule gehen und häufig diese Fußgängerampel in Höhe der Kaifu-Lodge benutzen, macht sich Sorgen. „Ein Mensch ist ums Leben gekommen“, sagt er. Und jeder, der hier wohnt und die Straße regelmäßig überquert, weiß: Es hätte jeden treffen können. Es hätte auch ein Kind sein können, das eigene. Das Thema ist hoch emotional. Den Gefühlen stehen die Kriterien der Behörden für die Einrichtung solcher Tempo-30-Zonen gegenüber. Susanne Meinecke von der Verkehrsbehörde: „Wichtige Strecken des Öffentlichen Personennahverkehrs, Einsatzwege für Rettungsfahrzeuge und wichtige Verbindungen des Wirtschaftsverkehrs müssen bei einer Erweiterung der verkehrsberuhigten Bereiche ausgenommen bleiben. Teilweise ist die Einrichtung auch mit Auflagen verbunden wie beispielsweise dem Anschluss der untergeordneten Straßen mit Gehwegüberfahrten. Dies ist notwendig, um einen sicheren Fahrgastbetrieb im ÖPNV zu ermöglichen, ohne vor jeder rechtsseitigen Einmündung abbremsen zu müssen.“ Die Entscheidung fällt am Ende die Polizei.

Die Bezirkspolitiker aller Parteien unterstützen Matthias Steffen. Für die grüne Bezirksfraktionsvorsitzende Anna Gallina ist eine Geschwindigkeitsreduzierung überfällig, weil dort zahlreiche Schulen liegen. „Bei Tempo 50 sterben zwei Drittel der Betroffenen, während bei 30 Stundenkilometern 90 Prozent überleben“, sagt sie. Das Gebiet sei geprägt von Schulen, einer dichten Wohnbebauung, einem Krankenhaus, sportlichen Einrichtungen und einem Naherholungsgebiet, sagt CDU-Politiker Michael Westenberger. Er weiß aber auch: „Mit der Innenbehörde wird die Initiative starke und mächtige Gegner auf Seiten der Stadt haben.“ Immerhin: In der Vergangenheit war es gelungen, Tempo 30 für die Bogenstraße und die Schlankreye durchzusetzen. Hamburgweit sind in den vergangenen zwei Jahren etliche Tempo-30-Zonen eingerichtet worden, um in Wohngebieten den Verkehr zu beruhigen. Die genaue Zahl konnten die Behörden aber nicht nennen.

Den Gefühlen der Anwohner und Eltern und ihrer Angst vor schweren Verkehrsunfällen stehen auch die Fakten gegenüber: Laut Statistik ist die Zahl der Verunglückten auf Hamburgs Straßen 2013 (aktueller Stand) gegenüber dem Vorjahr gesunken. 9474 Menschen kamen bei Verkehrsunfällen zu Schaden und damit 451 weniger als 2012 (9925). Dies bedeutet einen Rückgang von 4,5 Prozent, der deutlicher ausfällt als in der Bundesstatistik (minus 2,7 Prozent). Die Zahl der verunglückten Kinder ist in dem Zeitraum um 111 von 808 auf 697 (13,7 Prozent) gesunken. Auch 2013 war kein Kind unter den tödlich Verunglückten.

Dennoch: Die Befürchtung, dass ein Kind oder man selbst im Straßenverkehr vor der Haustür verunglückt, nehmen einem diese Zahlen nicht. Und so setzt sich auch Henri Gabriel einen Kilometer von der Unglücksampel an der Bundesstraße entfernt für einen Zebrastreifen ein. Die Kreuzung Eppendorfer Weg/Ecke Moltkestraße in Hoheluft-West bereitet ihm seit Jahren Sorgen. Autofahrer parken den Kreuzungsbereich oft zu und behindern so Passanten, sagt er. „Wir alle wünschen dort einen Zebrastreifen, der bekanntlich nicht zugeparkt werden darf“, sagt Henri Gabriel. Sein Wunsch ist im zuständigen Polizeikommissariat 23 eingegangen. Nun wartet Gabriel auf eine Rückmeldung und auf eine Entscheidung.

Auch Eltern der Grundschule Hoheluft hatten sich mit Unterstützung der Bezirksversammlung Eimsbüttel für einen Zebrastreifen vor ihrer Schule und der gegenüberliegenden Kita eingesetzt. „Kita-Eltern sind gezwungen, mit ihren Kindern zwischen den oft kreuz und quer parkenden Autos die schlecht einsehbare Straße zu queren. Für die Kinder, die in einem Stadtteil mit hoher Verkehrsdichte groß werden, ist dies aus verkehrspädagogischer Sicht kein positives Lehrbeispiel“, heißt es in einem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen. Auch für ein Blinklicht an der Ampel Wrangelstraße/Eppendorfer Weg hatten sich Politiker und Bürger stark gemacht: Fast täglich komme es dort zu Beinahe-Unfällen mit den Schulkindern, weil abbiegende Fahrzeuge die bei Grün querenden Fußgänger zu spät sähen. Die Polizei sah keine Notwendigkeit für diese beiden Maßnahmen. So seien Zebrastreifen in Tempo-30-Zonen gar nicht mehr vorgesehen und würden abgeschafft, heißt es aus der Pressestelle der Innenbehörde.

„In Tempo-30-Zonen müssen Autofahrer damit rechnen, dass Fußgänger die Straße queren und entsprechend fahren“, so Behördensprecher Frank Reschreiter. Aus diesem Grund ist auch der Zebrastreifen im Othmarscher Kirchenweg vor der Loki-Schmidt-Schule entfernt worden, ebenso der Zebrastreifen am Holmbrook vor einer Kita. Anwohner und Eltern waren fassungslos.

Was zählt der Bürgerwille? Solche Entscheidungen bleiben für viele unverständlich. „Wir sind sehr verärgert“, sagt Kristin Steffen vom Elternrat der Grundschule Hoheluft. „Muss erst etwas passieren?“ Wenn schon die Bezirksversammlung sich für Zebrastreifen und Warnlichter einsetze, sagt die Mutter von zwei Kindern, und dennoch nichts geschehe, dann zweifle sie schon an den demokratischen Prinzipien. Auch die Eltern der Grundschule Genslerstraße am Rübenkamp in Barmbek-Nord waren im März vergangenen Jahres mit dem Wunsch nach einer Tempo-30-Zone gescheitert. Die Eltern machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder. Durch die Umstellung auf den Ganztagsschulbetrieb seien dort viele Kinder auch nachmittags auf dem Schul- oder Heimweg. Insbesondere wenn sie mit dem Bus ankommen, müssen sie den Rübenkamp queren. Dies ist auch deshalb gefährlich, weil oft die Sicht durch parkende Fahrzeuge eingeschränkt ist.

Doch der Eindruck, dass dem Bürgerwillen nicht entsprochen wird, täusche, so Frank Reschreiter von der Innenbehörde. Die Entscheidungen der Polizei würden objektiv getroffen und nicht nach persönlichen Bedürfnissen. Städte seien eben nicht auf das Leben mit Kindern ausgerichtet, sagt Professor Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Städte seien auf Arbeit und Konsum ausgerichtet, sorgten diese Bereiche doch für Wachstum und Wohlstand. „Für die Zukunft ist es jedoch von zentraler Bedeutung, die Bedürfnisse der Bevölkerung stärker zu berücksichtigen, schließlich muss die Lebensqualität der Menschen im Vordergrund stehen“, so Reinhardt.

Er würde sich mehr Freiräume für Kinder wünschen, sagt der Forscher. So gibt es beispielsweise in Amsterdam und Kopenhagen autofreie Gegenden. „Für die Zukunft aber werden wir ohnehin weniger Autos in unserer Stadt sehen.“