92-Jährige soll 1945 einen Todesmarsch begleitet haben, bei dem 1400 Frauen starben

Hamburg. Die Staatsanwaltschaft Hamburg prüft eine Strafanzeige gegen die mutmaßliche frühere KZ-Wächterin Hilde Michnia. Die Anzeige gegen die 92-Jährige sei am Donnerstag vergangener Woche eingegangen, sagte eine Sprecherin der Behörde. „Wir prüfen zunächst die Schlüssigkeit der Anzeige.“ Der Vorwurf laute Beihilfe zum Mord. Es gehe um einen Todesmarsch von Gefangenen im Jahr 1945, den die heute in Hamburg lebende Frau als Aufseherin begleitet haben soll. Auf dem Weg vom KZ Groß-Rosen in Niederschlesien nach Guben in der Niederlausitz starben rund 1400 der 2000 gefangenen Frauen.

Unter der britischen Besatzungsmacht sei sie bereits 1945 in einem Prozess gegen insgesamt 45 KZ-Wächter und SS-Angehörige in Lüneburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Viel hatte die alte Frau, die in Schenefeld lebt, bislang nicht preisgegeben von dem, was sie in Bergen-Belsen gesehen und getan haben soll. Mindestens 52.000 Menschen starben in Bergen-Belsen; für Tausende Weitere war es die Durchgangsstation in ein Vernichtungslager.

Was sagt die Hamburgerin heute dazu? Welche Bilder hat sie im Kopf? Den Opfern fällt es bis heute schwer, über das Erlebte zu sprechen, wie geht es ihr als mutmaßlicher Täterin? Die Gefangenen, was hat sie denn geglaubt, warum die dort sind? „Da hat man sich keine Gedanken gemacht“, sagt Michnia.

Es lag wohl an einem Bruch in ihrer Verschwiegenheit, dass Hilde Michnia so lange unbehelligt leben konnte. Doch eines Tages erzählte sie ihrer Nachbarin von ihrem Vorleben als KZ-Aufseherin. Die Nachbarin, eine Irin, zog kurz darauf nach Dublin. Sie hörte einige Zeit später eine Radiosendung, in der der Shoa-Überlebende Tomi Reichental, ein aus der Slowakei nach Bergen-Belsen deportierter Jude, über seine Zeit im KZ sprach.

Die frühere Nachbarin aus Hamburg kontaktierte Reichental und gab an, eine ehemalige Aufseherin aus Bergen-Belsen zu kennen. Und Reichental wollte diese Frau kennenlernen. Zusammen mit dem Produzenten Gerry Gregg drehte er den Dokumentarfilm „Close to Evil“, in dem er die Versuche dokumentiert, mit der Hamburgerin ins Gespräch zu kommen. Vergeblich.

Der Dokumentarfilm wurde 2013 gezeigt – und er enthält den Hinweis darauf, dass Hilde Michnia an einem Todesmarsch beteiligt war. Wegen dieser Tat wurde sie weder angeklagt noch verurteilt, sodass die Staatsanwaltschaft wegen eines neuen Vergehens ermittelt. Der Lüneburger Hans-Jürgen Brennecke, der sich in der Aufarbeitung der NS-Zeit Lüneburgs engagiert, hat „Close to Evil“ auch vor kurzem in einem Kino gezeigt, zum ersten Mal in Deutschland. Er war es auch, der Ende 2014 eine Strafanzeige erstattete.