Wenn die Hansestadt Gastgeber Olympischer Spiele wird, werden auch Stars für die Eröffnungsfeier gesucht. Kandidaten gäbe es bereits.

Hamburg. „Denken Sie groß“, dieser Songtitel der Hamburger Band Deichkind ist auch Anspruch und Anforderung einer olympischen Eröffnungsfeier. Ob Peking 2008 oder London 2012, die vor einem Milliardenpublikum inszenierten Spektakel dachten in größten Maßstäben. Nur das Beste war gut genug, um die Geschichte und die Kultur der jeweiligen Gastgeberstädte und -länder der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.

Und wenn es ein Pfund gab, mit dem London wuchern konnte, dann war es das britische. Das der Pop- und Musikkultur mit ihren vielen Facetten. Das Electro-Duo Underworld als musikalischer Leiter komponierte eine viel gelobte Soundtrack-Begleitung, in der die britische Musikgeschichte mit Liveauftritten und Einspielungen harmonisch aufging. Rolling Stones, Led Zeppelin und The Who, Queen und Pet Shop Boys, Adele, Amy Winehouse und David Bowie waren zu hören. Der feierliche Ernst wurde vom London Symphony Orchestra übernommen, den britischen Humor und die Fähigkeit zur Selbstironie bewies die Punk-Hymne „God Save The Queen“ von den Sex Pistols.

„The Isles of Wonder“ („Die Inseln der Wunder“) war das Motiv der von den Filmregisseuren Danny Boyle und Stephen Daldry konzipierten Eröffnungsfeier. Aber „London Calling“ (The Clash) hätte auch gepasst. Unermesslich ist dort der Schatz von Musik mit weltweiter Strahlkraft. Lieder von den Beatles (Liverpool), Arctic Monkeys (Sheffield) oder Mike Oldfield (Reading) zeigten: Die Dimension der britischen Musik ist olympisch. Und die der Londoner Musik gigantisch.

Wenn wir jetzt die Gedankenspiele für Olympische Spiele in Hamburg 2024 oder 2028 für eröffnet erklären, wer könnte dann die Hansestadt musikalisch angemessen repräsentieren? Sicher, auch die Musik aus anderen deutschen Städten würde eine wichtige Rolle spielen. Aber welche Künstler von der Elbe haben die internationale Strahlkraft, die Reichweite, den Wiedererkennungswert, um auch den TV-Zuschauern in Nordamerika, Brasilien, China, Russland oder Australien zu verdeutlichen: Das hier ist Hamburg, und so klingt Hamburg. Und schon wird klar: Hamburg ist nicht London.

Nehmen wir mal die populärsten, kommerziell erfolgreichsten Bands und Musiker der Stadt und aus dem Norden: Udo Lindenberg, Scooter, Jan Delay, Ina Müller. Deichkind und Fettes Brot. Santiano. Alles Namen, die im ganzen Land die großen Hallen füllen, die ganz oben auf den Festivalplakaten und in den Charts stehen. Ihre Konzerte, besonders die von Lindenberg, Delay und Deichkind, sind so große wie großartige Partys, bunt und fantasievoll. Mal abgesehen davon, wer aus dieser Aufzählung in neun oder 13 Jahren noch aktiv ist: Ihre Shows würden sicher auch olympischen Couchkartoffeln in Vancouver, Kapstadt oder Tokio gefallen. Und doch müsste man der Welt schon erklären, wer da gerade auftritt.

Die Frage, wer von denen überhaupt Lust hat, bei Olympia aufzutreten, stellt sich natürlich auch. Deichkind zum Beispiel mag keine Großveranstaltungen: „Marathon, Schlagermove: aber bitte nicht mit mir“, grollen die Pop-Anarchos im neuen Lied „Hauptsache nichts mit Menschen“. Auch ihr Song „Ich habe eine Fahne“ zur Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien war eine herrlich kritische Satire auf den Größenwahn von Sportevents und entsprechenden Party-Patriotismus. Und Jan Delay rappt leicht genervt in „Large“: „Zu jedem Pups-Event werd ich eingeladen, hab schon jemand eingestellt, nur um Nein zu sagen.“ Wer könnte noch Ja sagen? Mit Sicherheit Scooter! Lachen Sie nicht, Brüllkante H.P. Baxxter und seine Truppe sind international die erfolgreichste Hamburger (und deutsche) Band, besonders in Osteuropa. Und das Lied „Maria (I Like It Loud)“ mit seinem unerträglich eingängigen „Döp-döp-döp-dödödöp-döp-döp“ hat seine Kreise schon bis in amerikanische Sportarenen gezogen. Dort hört man übrigens auch immer noch den einstigen Welthit „99 Luftballons“ von Nena, die derzeit in Rahlstedt lebt. Und wenn wir Tötensen zum Hamburger Umland zählen und Dieter Bohlen in ein paar Jahren wieder Modern Talking reformiert, sitzt mindestens halb Russland an den Bildschirmen. Was ist mit den Ex-Beatles Paul McCartney und Ringo Starr? Wer in Hamburg erwachsen geworden ist, wie sie erzählen, der ist quasi Hamburger. Wollte Helene Fischer nicht in die HafenCity ziehen?

Aber mal im Ernst: Hamburg hat keine Stars von Weltrang, könnte aber durchaus ein interessantes musikalisches Programm zusammenstellen. Angefangen bei den klassischen Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy über die Star-Club-Zeit bis zu Hamburger Schule und Hamburger Hip-Hop. Und wer weiß, was aus vielversprechenden, international tauglichen Künstlern wie Y’Akoto, Rhonda oder den Metal-Wüterichen Mantar in den nächsten Jahren noch wird.

Und Mitbewerber Berlin, machen wir uns nichts vor, hat es bei der Frage der popkulturellen Repräsentation auch nicht viel einfacher, obwohl es musikalisch eine ebenso lebendige und kreative Stadt wie Hamburg ist. Ärzte und Beatsteaks, Seeed und die Kalkbrenner-Brüder und die ganze Vergangenheit von Brecht über die Dietrich bis zur Knef, das ist sehr ordentlich. Nicht zu vergessen Rammstein, jene Rabauken, die jenseits der Grenzen als so typisch deutsch angesehen werden, die mehrfach den New Yorker Madison Square Garden ausverkaufen und die Feuer und Flamme für Shows mit viel Budenzauber sind. Aber: Mit dem umstrittenen Video zu „Stripped“, das 1998 Ausschnitte von Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele 1936 zeigte, dürfte sich die Band disqualifiziert haben, auch wenn ihr Herz links schlägt.

Vielleicht ist es ein guter Schritt, die ganze olympische Gigantomanie hinter sich zu lassen und wieder auf ein gesundes Maß zu reduzieren. Denken wir klein, weg von höher, schneller, weiter, auch bei der Eröffnungsfeier. Machen wir es doch 2024 oder 2028 einfach wie immer.

Die Athleten der verschiedenen Nationen laufen zu „Hells Bells“ von AC/DC ein, Lotto King Karl und Carsten Pape fahren mit dem Kran vor der Nordkurve des Olympiastadions hoch und singen „Hamburg, meine Perle“, und die Spiele beginnen. Alles bleibt wie gewohnt, nur der Sport ist wohl schöner anzuschauen.