Hamburger Begegnungen Teil 13: Frederik Braun leitet die weltgrößte Modelleisenbahn, Uwe Mollenhauer einen kleinen Verein. Doch in puncto Leidenschaft steht keiner dem anderen nach

Das Zusammenbauen macht die größte Freude: das Experimentieren, das ständige Verändern, immer neue Ideen und Ansichten. Wenn etwas vollendet wäre, nähme der Reiz ab. Aber, keine Sorge, so richtig fertig ist ein Modellbahnbauer niemals. Stillstand existiert nicht. Der permanente Prozess, kleine Korrekturen oder aufwendigere Umgestaltungen auf der Anlage, schaffen Spannung auf Dauer. Es ist ein Hobby mit dem Charme des Unvollendeten. Die Entwicklung ist der intensivste Genuss.

Wenn das Kind im Manne ganz schön groß und der Sinn für den Reiz des Kleinen dauerhaft ausgeprägt sind, haben Gegensätze anziehenden Charakter. Lange Vorworte zum Aufwärmen sind bei dieser Hamburger Begegnung, der 13. unserer Serie, also überflüssig. Schnörkellos kommen der Macher der weltgrößten Modelleisenbahn und der passionierte Sammler und Bastler zur Sache. Das inspirierende Umfeld in der Bonsai-Welt des Miniatur Wunderlandes in der Speicherstadt ist Basis für Gesprächsstoff satt.

Frederik Braun und Uwe Mollenhauer haben an einem Tisch Platz genommen, der seinesgleichen sucht: Unter einer dicken Glasplatte, auf unterschiedlich geschnitzten Holzbalken, offenbart sich ein fantasievolles Spielzeugleben mit allen nur erdenklichen Figuren im Format einer Fingerkuppe. In den Räumen nebenan stehen mehr als 250.000 dieser kleinen Kunstwerke. Es ist eine traumhafte Welt, in der die beiden aktiv und heimisch sind.

Eigentlich ist Modelleisenbahner Mollenhauer gelernter Konditor, der vor mehr als drei Jahrzehnten bei der Hamburger Wasserschutzpolizei anheuerte. Früher in Thüringen war sein Vater Bahnhofsvorsteher. Kaum konnte Uwe laufen, lungerte er zwischen den Abstellgleisen herum. Der Steppke konnte sich nicht sattsehen an den stählernen Giganten und den bunten Waggons. Die Großeltern schenkten ihrem Enkel im Alter von drei Jahren eine Dampflok aus Holz und Pappe aus DDR-Fabrikation.

Mit fünf folgte zu Weihnachten die erste kleine Anlage. Auf einer Holzplatte, so richtig mit Gleisen, Weichen, Eisenbahn und Trafo. Marke Piko. Im Gegensatz zum System hat sie überlebt. Später, im Westen, stand dann eine Märklin-Bahn im Kinderzimmer. Seine erste eigene Lokomotive kaufte sich Uwe mit 13 Jahren vom lange zusammengesparten Taschengeld für 80 D-Mark. Eine V100 von Märklin. Unvergessen und immer noch prima erhalten.

Mit Mühe hat sein Gegenüber geschwiegen. Auch in ihm keimen wunderschöne Erinnerungen. Als Frederik Braun gemeinsam mit seinem Bruder schon vor der Einschulung Fantasiewelten auf die Gleise stellte. Als die Geschwister, von den Eltern wohlwollend beobachtet, Züge durch den Flur, durch die Küche und durchs Badezimmer gleiten ließen – sogar unter der Badewanne hindurch, die auf Füßen stand. Diese Gefühle spielerischen Glücks haben sich auf ewig in sein Gedächtnis eingebrannt.

Ebenso wie die Besuche mit Vater Jochen Braun, einem diplomierten Betriebswirt, am Bahnübergang „Brauner Hirsch“ an der Strecke zwischen Volksdorf und Ahrensfelde. Am Wochenende harrten die Buttjes dort stundenlang aus. Wenn sich ein Zug näherte, das typische Rattern stärker wurde, dann hüpften die kleinen Herzen. „Wir haben Loknummern notiert und Waggons gezählt“, berichtet Braun. Alles wurde katalogisiert und zu Hause nachgespielt.

Die jugendliche Begeisterung hielt lebenslang. Bei beiden Gesprächspartnern. Auch wenn die Gegensätze kaum größer sein könnten. Frederik Brauns Wunderland lockt jährlich rund 1,2 Millionen Besucher an. Eintrittspreis für Erwachsene: 13 Euro. Uwe Mollenhauer und seine 25 Mitstreiter der Modelleisenbahnfreunde Hamburg-Walddörfer zählen im gleichen Zeitraum etwa 350 Besucher. Der Eintritt ist frei. In der Speicherstadt wird die derzeit 1200 Quadratmeter große Modellbahn ständig erweitert; in Bergedorf freut sich der eingetragene Verein über 50 Quadratmeter Spielplatz.

Der eine lässt auf 13 Kilometern Schiene 900 Züge mit 12.000 Waggons verkehren, der andere ist stolz über tausend Meter Schienen. Die Brüder Braun beschäftigen 300 Mitarbeiter, davon 50 im Bereich Modellbahn und Technik. Mollenhauer & Co. sind ehrenamtlich dabei. Bei Braun sind 50 Prozent der Gäste weiblich, bei den Walddörfern bleiben die Männer unter sich. Am Elbufer werden in diesem Jahr zwei bis drei Millionen Euro in die Schau investiert. Im Südosten der Hansestadt beträgt der Mitgliedsbeitrag 15 Euro im Monat. Davon wird die Jahresmiete von 2000 Euro für das stillgelegte Gleis bezahlt, auf dem die drei Waggons stehen.

Doch Leidenschaft lässt sich nicht in Zahlen oder Größe messen. Jeder ist Profi in seinem Bereich. Frederik Braun lauscht gebannt, wie Uwe Mollenhauer vom Vereinsleben im 1988 von ihm mitgegründeten Club erzählt. Dieser besteht aus drei ausrangierten, 26,4 Meter langen Waggons: ein Schnellzugwagen der Post, ein Güterwagen der Post, ein vierachsiger Umbauwagen. Einer dient als Bastelraum, ein anderer für die Ausstellung. Das Prinzip: Jeder bringt seine Züge von daheim mit und lässt sie auf der Anlage fahren. Gäste am Neuen Weg in Bergedorf-Süd sind willkommen: immer dienstags ab 19 Uhr oder am Tag der offenen Tür, der sechsmal im Jahr organisiert wird.

Braun kennt den Verein, war aber noch nicht vor Ort. Das soll sich ändern. Umgekehrt war Mollenhauer schon mehrfach im Miniatur Wunderland. „Selbstverständlich“, sagt er. Der nächste Besuch im Familienkreis steht für diesen Sonnabend auf dem Programm. „Ich setze euch gerne auf die Gästeliste“, sagt Frederik. „Lieb gemeint“, entgegnet Uwe, „aber wir haben schon Karten gekauft.“ Vom Sie bis zum Du brauchten die beiden Seelenverwandten kürzer, als ein ICE im Hauptbahnhof Station macht.

Apropos: Wie sieht’s aus mit richtig großen Zügen, den Originalen? „Ich liebe Bahnfahren“, antwortet Braun. Früher habe er regelmäßig eine Tante in Würzburg besucht. Der Blick aus dem Fenster auf die vorbeibrausende Landschaft, Spaghetti mit Tomatensoße im Bordrestaurant, die Schaffner in ihren Uniformen, das seien herrliche Kindheitserinnerungen. Kollege Mollenhauer stimmt zu. Während einer Kur im vergangenen September habe er eine Ausstellung mit alten Dampfloks besucht. Ergebnis: „Gänsehaut pur.“

Das herzlich verbundene Duo gerät lustvoll ins Schwärmen. Braun beschreibt einen TEE. Er hat diesen rot-beigen Transeuropa-Express mit der unverwechselbaren „Schnauze“ noch in Groß gesehen. Heut steht er in Miniatur in seinem Wunderland. Mollenhauer erinnert an den Rheingold-Zug der Reichsbahn aus den 30er-Jahren. In Klein hat er ihn daheim in einer Vitrine untergebracht. Träume auf Schienen.

Während er zu Hause in Tespe in Niedersachsen Züge, Weichen, Signale und Bausätze in einem Extrazimmer stapelt, übt Frederik Braun daheim Abstinenz. Ein gigantisch großes Miniatur Wunderland reicht ja auch. Das wird sich spätestens ändern, wenn seine Zwillinge auf den Beinen stehen können und sich von Vaters Faszination infizieren lassen.

Sonst sieht es mau aus mit dem Nachwuchs. „Für viele junge Leute ist der Zug abgefahren“, bleibt Mollenhauer im Bild. „Wir haben ein Nachwuchsproblem“, bestätigt Braun. Dabei können Vielseitigkeit und Herausforderung der Technik so sehr fesseln: „Es begeistert, in die Welt im Kleinen einzutauchen.“ Es handele sich nicht nur um eine Modelleisenbahn, sondern um eine Wunderwelt, „in der zufällig auch Züge fahren“. Unisono singen beide das hohe Lied dieses Familienhobbys, das Lehren fürs Leben mit sich bringe. Ganz automatisch.

Jetzt kommt Frederik Braun so richtig in Fahrt. Temperamentvoll schildert er das Glücksgefühl, eigenhändig Lampen zu konstruieren und mit wenig Geld zu improvisieren. Es sei ein Erfolgserlebnis, wenn es in Eigenregie funktioniere und das persönlich eingebaute Licht im Führerhaus einer Modell-Lokomotive brenne. Oder die Zufriedenheit beim Errichten eines selbst geplanten Gebäudes. Seine Meinung: „Smartphones killen Kreativität.“ Uwe Mollenhauer nickt zustimmend.

Allerdings liege das schwindende Interesse der Jugend an der eigenen Landschaft im Kinderzimmer nicht nur am Boom der Tablets oder Smartphones, an Videospielen, Fernsehen und Chats in sozialen Netzwerken. „Oft sind die Preise für Spielzeugeisenbahnen und Modellbauten viel zu hoch“, befindet Mollenhauer. Braun stimmt zu. Ein Zug für weit über hundert Euro oder eine große Dampflok mit Geräuschen für 400 Euro seien zu viel. Ausnahmen stimmen ein bisschen zuversichtlicher. Mollenhauer berichtet von einem Club in Schwarzenbek, in dem 80 Mitglieder aktiv sind. Eine Jugendgruppe gehört dazu. „Die Kids steuern die Züge mit ihren iPhones“, weiß er.

Braun erinnert sich an seine Jugend. Damals habe es in Hamburg gut und gerne 30 Läden für Modelleisenbahner gegeben. Nur etwa ein Drittel habe überlebt. Jetzt läuft Uwe Mollenhauer zur Hochform auf. Beseelt erzählt er von seinen regelmäßigen Besuchen im Fachgeschäft von Frau Hesse am Landwehr. Verweildauer selten unter eineinhalb Stunden – nicht beabsichtigte Einkäufe und ausführlicher Klönschnack inklusive. „Im Laufe der Jahre habe ich gewiss den Gegenwert von zwei neuen Mittelklasseautos in mein Hobby investiert“, bekennt Uwe Mollenhauer. Reue? Nicht die Spur!

„Es ist doch wunderbar, wenn man auch als Erwachsener Kind sein darf“, sagt Frederik Braun. Uwe Mollenhauer philosophiert vom „Kind im Manne“, von der „großen Freude an kleinen Dingen“ und dem Vergnügen, sich eine eigene Welt zu schaffen. „Wenn diese fertig wäre, würde Langeweile aufkommen“, ergänzt Braun. Doch er tröstet sich und seinen Gegenüber: „Eine Modelleisenbahn ist niemals ganz fertig.“