In der Hansestadt wird deutlich mehr gebaut als noch vor wenigen Jahren, und häufig bis tief hinab ins Grundwasser. Doch die technischen Lösungen dafür bergen Risiken. In vielen Stadtteilen klagen Nachbarn über durchfeuchtete Keller und Setzrisse in ihren Häusern. Von der Stadt fühlen die Betroffenen sich allein gelassen

Edith Aufdembrinke hat endlich ein Aktenzeichen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg führe das Ermittlungsverfahren auf Grund ihrer Anzeige vom 17. Dezember 2014 unter dem Aktenzeichen 7106 AR 3/15, heißt es in einem Schreiben, dass die streitbare Hamburgerin unlängst erhielt. Spätestens jetzt, so hofft sie, werden sich auch die Behörden der Hansestadt ernsthaft mit dem Grundwasserproblem beschäftigen müssen.

Aufdembrinke und ihre Mitstreiter von der Bürgerinitiative „Augias“ fürchten Schäden in Millionenhöhe und verklagten unter anderem die Stadtentwicklungsbehörde (BSU) und das Bezirksamt Nord. Der Vorwurf: Die Beamten hätten die Genehmigungen für Bauvorhaben vorschnell und unrechtmäßig vergeben. Sie hätten unter anderem nicht ausreichend geprüft, ob die Baumaßnahmen nachhaltig den Grundwasserspiegel veränderten und dadurch umliegende Wohnhäuser beschädigt werden könnten.

Die Vorwürfe seien berechtigt, sagen Experten. „Die Hamburger Behörden kontrollieren zu wenig“, sagt Dr. Peter Jens Wagner, Gutachter für Bauschäden. Dabei sei das Bauen in vielen Hamburger Stadtteilen ein höchst sensibler Vorgang. „In dem hier typischen torf- und lehmhaltigen Boden ist Wasser ein tragendes Element. Jeder künstliche Eingriff in das Grundwasser kann seine Tragfähigkeit und so die Standfestigkeit von Nachbarhäusern beeinträchtigen.“ Der offensiv betriebene Wohnungsbau sei für Dritte mittlerweile ein großes Risiko, dass mit hohen Kosten und Wertverlusten einhergehen könne. Wagner fordert daher: „Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssen bei den Baugenehmigungsbehörden besser geregelt werden.“

Die Problematik ist fast so alt wie Hamburg, das durch Alster und Elbe einen sehr feuchten Boden hat. Früher galt einmal die Regel, dass ein neues Gebäude möglichst nicht ins Grundwasser hinein gebaut werden soll. Wenn es wirklich nicht zu vermeiden war, wurden die Gebäude speziell im Boden verankert. Altbauten haben daher oft niedrige Keller, ihr Erdgeschoss liegt zumeist einige Stufen über dem Straßenniveau. Bei Neubauten mit mehrgeschossigen Tiefgaragen sieht das längst anders aus. Teile der Gebäudefundamente liegen oft weit unter dem Grundwasserspiegel. Das führt zu zwei Herausforderungen.

Erstens: Während der Baumaßnahmen muss aus der Baugrube ständig Wasser abgepumpt werden, um diese trocken zu halten. Dafür können eine wasserundurchlässige Betonwanne oder ein Trog aus Spundwänden rings um die Baugrube geschaffen werden. Die dadurch entstehende Wanne kann leer gepumpt werden.

Zweitens: Grundwasser fließt in vielen Stadtteilen Richtung Alster. Ein Neubau mit Keller oder Tiefgarage wirkt auf die unterirdisch fließenden Ströme wie ein Wehr. Sie suchen sich dann einen neuen Weg. Das Problem könnte durch Drainagen gelöst werden, die das Grundwasser „durch“ das neue Gebäude führen würden.

Aber: Spundwände, Betonwannen und Drainagen sind sehr teuer. Daher ziehen es viele Bauherren vor, das Grundwasser ohne solche Vorkehrungen und möglichst weiträumig abpumpen zu lassen. Doch das hat oft fatale Folgen: Wasser wirkt im Boden wie ein Polster. Wird es entzogen, sackt der Untergrund in sich zusammen. Das gefährdet in erster Linie umliegende, ältere Gebäude.

Während des Abpumpens können sich in den Häusern und deren Fundamente Setzrisse bilden. Werden nach der Baumaßnahme die Pumpen abgestellt, dringt das zurücklaufende Grundwasser durch die Risse ein und schädigt das Mauerwerk. Hoch gefährdet sind sogenannte Pfahlgründungen, die oft in Gewässernähe errichtet wurden. Einige Tage Trockenphase reichen aus, die Pfähle – egal, ob aus Holz, Stahl oder Beton – nachhaltig zu beschädigen.

Wird dem Grundwasser der Weg durch Spundwand oder Fundament abgeschnitten, kann es sich aufstauen. Dann können in Nachbargebäuden, deren Keller jahrzehntelang trocken waren, plötzlich Feuchtigkeit und Schimmel auftreten. Zudem kann der steigende Wasserdruck bis zu einer Tonne pro Quadratmeter betragen und ältere Fundamente schädigen. Vor allem nach starken Regenfällen wird es bedenklich, weil der schon von unten stark durchfeuchtete Boden weniger Oberflächenwasser aufnehmen kann.

Weil Eingriffe in den Grundwasserspiegel die Statik von Gebäuden, aber auch von Straßen und Brücken stark beeinflussen können, ist dafür grundsätzlich eine wasserrechtliche Erlaubnis erforderlich – und zwar unabhängig vom Baugenehmigungsverfahren. Das gilt auch, wenn während des Baus Grundwasser abgepumpt oder umgeleitet werden muss. Edith Aufdembrinke und ihre Initiative, zu der betroffene Anwohner, Politiker der Linksfraktion und Bauingenieure gehören, haben Daten zusammengetragen, die belegen sollen, dass die öffentliche Verwaltung bei der Genehmigung von Neubauten zu wenig prüft und sich auf Angaben von Bauherren verlässt. „Es wird sehr lässig damit umgegangen“, sagt Aufdembrinke. „Angaben von Bauherren über die Höhe des Grundwasserspiegels werden nicht überprüft.“

Ärgerlich sei zudem, dass die Behörden abwiegelten, wenn besorgte Bürger nachfragten, sagt Aufdembrinke. Es gebe keine Beschwerden, heiße es oft. Und wenn doch einmal von Amts wegen geprüft werde, würden keine Schäden festgestellt. Selbst in Parlamentsausschüssen würden Vertreter der BSU die Problematik herunterspielen. So habe die zuständige Behördenvertreterin am vergangenen Freitag vor dem Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft lediglich erklärt, Bauten ins Grundwasser gäbe es in Hamburg schon länger, da man heutzutage technisch dazu in der Lage sei. Die Stadtentwicklungsbehörde weist die Vorwürfe zurück. „Die BSU verfügt über eine umfangreiche, für Hamburg lückenlose, geologische und hydrologische Datenbasis zu Grundwasser und Baugrund“, erklärte die Behörde auf Anfrage. Die Daten würden unter anderem durch mehr als 1000 über die Stadt verteilte Wasser-Messstellen laufend aktualisiert. „In besonderen Fällen findet noch eine Prüfung für Ort statt; außerdem gibt es immer wieder Stichproben.“

Die Mitglieder der Bürgerinitiative haben nun exemplarisch vier Fälle aufgearbeitet, in denen aus ihrer Sicht Gefahr im Verzuge ist.

St. Georg: An der Alster entstanden in den vergangenen Jahren das Hotel „Le Méridien“ und die ersten Neubauten des Wohnquartiers „Alstercampus“, jeweils mit Tiefgarage. Derzeit werden weitere Wohngebäude errichtet. Die Spundwand der Baugrube greift, ebenso wie die Neubauten, in die Strömung des Grundwassers ein, das von St. Georg kommend Richtung Alster fließt. Durch die Neubauten und die Spundwand der Baugrube soll das Grundwasser sich aufgestaut und in der Koppel und an der Langen Reihe bereits massive Feuchtigkeitsschäden verursacht haben.

„In meinen Kellerraum verschimmelt mittlerweile alles“, sagt Carina Costa, die in einem Altbau an der Koppel wohnt. Auch ein im Souterrain liegendes Ladengeschäft in einem denkmalgeschützten Haus an der Langen Reihe ist wegen Feuchtigkeit nicht mehr zu nutzen. In der dahinter liegenden Häuserzeile stehen aus demselben Grund frisch sanierte Souterrain-Wohnungen leer. „Die Schäden traten vor etwa fünf Jahren auf“, sagt Andreas Di Ruggiero von der Hausverwaltung. Als er vor etwa einem Jahr hörte, dass durch die Baumaßnahmen an der Alster der Grundwasserspiegel angestiegen und an der Feuchtigkeit Schuld sein könnte, ließ er einen ein Meter tiefen Schacht im Boden eines Souterrain-Raums ausheben. Der füllte sich schnell mit Wasser. „Der Pegel schwankte. Teilweise stand das Wasser 30 Zentimeter unterhalb des Fußbodens“, sagt er. Nach einigen Wochen war es wieder verschwunden – offenbar, weil rund um die Baustelle mehr Pumpen eingesetzt wurden.

Eppendorfer Höfe: Als die „Eppendorfer Höfe“ in der ersten Jahreshälfte 2012 errichtet wurden, seien im Umkreis von mindestens 300 Meter rund um die Baustelle rund 500.000 Kubikmeter Grundwasser abgepumpt worden, sagt Edith Aufdembrinke. Besitzer benachbarter Gebäude seien darüber nicht informiert worden, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist. Zudem seien die Höfe ohne Drainage ins Grundwasser hinein gebaut worden und bildeten jetzt eine unterirdische Staumauer. Inzwischen wiesen rund um die Eppendorfer Höfe immer mehr Gebäude Setzungsrisse auf.

Neubau Alsterkrugchaussee/Ecke Alsterdorfer Damm: Der Neubau stehe im ursprünglichen Flussgebiet der Alster, sagt Anwohner Dietrich Schulteß. Trotzdem habe das Bezirksamt Nord die Genehmigung erteilt, das Gebäude weit in das Grundwasser hinein zu bauen. Sowohl durch die Senkung des Grundwasserspiegels zur Trockenlegung der Baugrube als auch durch die nunmehr erzeugte „Staumauer“ mehrten sich Setzungsrisse in älteren Gebäuden rund um den Neubau. Zudem seien an der denkmalgeschützten Alsterdorfer-Damm-Brücke breite Spalten aufgetreten. Immerhin konnten Schultheß und seine Nachbarn Schlimmeres noch verhindern. „Gemeinsam mit einem Architekten haben wir das Bezirksamt Nord darauf aufmerksam gemacht, dass die bereits genehmigte Tiefgarage viel zu weit ins Grundwasser hineinragen würde. Statt drei Meter liegt das Gebäude jetzt nur noch zwei Meter unter der Grundwasserlinie“, sagt Schultheß.

Neubauten Brabandstraße (Alsterdorf) : Persönlich betroffen ist auch Edeltraud Neß. Auf einem schmalen Grundstück zwischen ihrem Garten und dem Brabandkanal wurden mehrere Stadtvillen gebaut. Durch die Baumaßnahmen vergrößerten sich alte Setzrisse in ihrem Einfamilienhauses, die Mauer des Gartenpools ist zerborsten. „Als mein Mann und ich unser Haus 1960 bauten, wurde besonders der Antrag, das Haus zu unterkellern, sorgsam von den Beamten des Bauamtes überprüft“, berichtet die Hausbesitzerin. „Heutzutage scheint es derartige Prüfungen nicht mehr zu geben, denn der von mir beanstandete Neubau der ‚Alsterinsel‘ wurde direkt ins Grundwasser hinein gebaut, fast einen Meter unterhalb des amtlich festgelegten Höchst-Grundwasserspiegels im Alstergebiet.“

Obwohl im vergangenen Frühsommer in nur einem Monat mehr als 62.000 Kubikmeter Grundwasser abgepumpt worden seien, hätten die Bauarbeiten unterbrochen werden müssen, sagt Edeltraud Neß. „Die Grube war trotz Abpumpens mit Wasser vollgelaufen.“ Als sie sich beim Fachamt Bauprüfung des Bezirksamtes Hamburg-Nord beschwerte, erhielt sie zur Antwort, es sei alles in Ordnung, denn für den Neubau läge schließlich eine Baugenehmigung vor.

Die Stadtentwicklungsbehörde verweist darauf, dass die Auswirkungen eines Neubaus auf angrenzende Gebäude unterschiedliche Ursachen haben können: „Veränderungen der Lastverteilung im Untergrund durch Bodenaushub, Erschütterungen durch Baufahrzeuge, Arbeiten zur Unterfangung der Fundamente der Nachbargebäude oder Erstellen einer Bohrpfahlwand zur Baugrubenumschließung“. Die Auswirkungen würden vor und während des Baus mehrfach kontrolliert und bewertet. „So ist sichergestellt, dass solche Schäden vom Bauherrn ausgeglichen werden und dem Eigentümer kein dauerhafter Schaden entsteht.“

Die Betroffenen sehen das anders. Trotz zahlreicher Beschwerdeschreiben an BSU und Bezirksamt Nord reagiert die Politik aus ihrer Sicht unwillig. Auf einer Sitzung des Regionalausschusses Eppendorf/Winterhude im November lockte das Thema „Grundwassermanagement“ zwar viele interessierter Bürger an, rückte auf der Tagesordnung aber so weit nach hinten, dass es nur angeschnitten werden konnte. Die Partei Die Linke stellte mehrere Kleine Anfragen, die erst nach Monaten in zufriedenstellender Ausführlichkeit beantwortet wurden. Immerhin wurde bei einer Bürgerschaftssitzung Ende November ein Antrag der Linksfraktion zum Thema Grundwasser in den Stadtentwicklungsausschuss überwiesen.

Die Abgeordneten fordern die Prüfung mehrere Aspekte und fragen, ob in den vergangenen fünf Jahren beachtet wurde, dass Wasserrecht vor Baurecht gehe. Zudem wollen sie wissen, ob Nachbarn um ihr Einverständnis zum Grundwasser-Eingriff gefragt wurden. Klären möchten sie auch, ob es Schäden gibt, die auf Grund von Grundwasserveränderungen seit 2010 auftraten. „Es ist bislang viel zu wenig bekannt, um die Gefahrenlage real einzuschätzen“, sagt die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann, die den Bürgerschaftsantrag mitformuliert hat.

An der Eppendorfer Landstraße habe sich, vermuten die Experten von „Augias“ wegen der großen Menge abgepumpten Wassers, ein sogenannter Hydraulischer Durchbruch ereignet. „Ein ähnlicher Vorfall, wenn auch in einem weitaus größeren Ausmaß, hat vor einigen Jahren das Stadtarchiv in Köln zum Einsturz gebracht“, sagt Sudmann. „Eingriffe in das Grundwasser sind also eine ernste Angelegenheit, die bei Antragsstellung das sofortige Tätigwerden des Senats und der Bezirks hätte nach sich ziehen müssen.“ Die Mehrzahl der Mitglieder im Stadtplanungsausschuss teilte diese Meinung nicht, der Antrag wurde abgelehnt.

„Seit den 1970er-Jahren wird so gebaut“, sagt Dirk Kienscherf, Stadtentwicklungs-Experte bei der SPD, mit Blick auf die Grundwasserabsenkung. „Wir glauben, dass die Behörde mit der notwendigen Sensibilität vorgeht. Dennoch werden wir die Bezirksämter ersuchen, stärker auf die Problematik zu achten.“ Darüber hinaus wolle man sich in der nächsten Legislaturperiode des Themas noch einmal annehmen.

Das zu vergessen, sollte den Abgeordneten schwer fallen. Schließlich haben sie eine der brisantesten Baustellen direkt vor der Nase: Am Alten Wall entsteht hinter einer denkmalgeschützten Fassade ein Einkaufszentrum mit einer fünfgeschossigen Tiefgarage. Hier wird zwar durch Trogbauweise der Grundwasserstand ringsum nicht verändert. Doch der 15 Meter in die Tiefe ragende Baukörper könnte nach Fertigstellung dem Grundwasser den Weg in den Alsterfleet abschneiden, befürchtet Edith Aufdembrinke. „Das Rathaus wäre dann durch das sich aufstauende Wasser bedroht.“ Doch Gutachter Wagner hat eine beruhigende Einschätzung für Hamburgs Regierungszentrale: „Der Wasserstand rund um das Rathaus ist ein Ruhewasserstand und wird durch ein Schleusensystem reguliert. Es gibt dort keine natürlichen Grundwasserströme“ – also auch keinen Wasserstau.