Linke Gruppe hatte Diskussion zur Flüchtlingspolitik massiv gestört. Jetzt versuchen die Christdemokraten das Haus zum Wahlkampfthema zu machen – und sich selbst einzumieten

Hamburg. Nach dem Rückkauf der Roten Flora durch den Senat im Herbst schien der Konflikt zunächst befriedet – nun aber flammt der Streit über das besetzte Gebäude im Schanzenviertel mitten im Wahlkampf wieder auf. Ein Grund ist eine offenbar auch von den Besetzern ausgehende massive Behinderung einer Diskussionsveranstaltung am Dienstagabend im benachbarten Haus 73. Wie berichtet, hatte eine linke Gruppe den dort debattierenden „taz“-Salon so massiv durch Geschrei im Veranstaltungsraum und durch laute Musikbeschallung vom Dach der Roten Flora gestört, dass die Diskussion über Flüchtlingspolitik vom Moderator und politischen Korrespondenten der „taz“, Sven-Michael Veit, abgebrochen werden musste.

Die Spitzenkandidaten Dietrich Wersich (CDU), Katharina Fegebank (Grüne), Katja Suding (FDP), SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und Linken-Innenpolitikern Christiane Schneider mussten wieder abziehen, ohne über Flüchtlingspolitik gesprochen zu haben. Die „schätzungsweise 130 Menschen“, die die gut besuchte Diskussion verhindert hätten, wollten offenbar nichts dazulernen und auch andere daran hindern, dies zu tun, sagte „taz“-Moderator Veit am Mittwoch. Politiker auf dem Podium mit Papierkügelchen zu bewerfen sei „infantil“ von den Störern, sagte Veit. „Ihnen auf der Straße Böller hinterherzuschmeißen ist genau das, was sie eben diesen Politkern vorwerfen: menschenverachtend.“ SPD-Fraktionschef Andreas Dressel sagte, der „von den Chaoten herbeigeführten Abbruch“ sei „für die Presse- und Meinungsfreiheit in unserer Stadt kein Ruhmesblatt“.

Für CDU-Bürgermeisterkandidat Dietrich Wersich ist klar: „Wer nicht bereit ist, Diskussionen zu führen oder sie auch nur zuzulassen, hat nicht begriffen, was den eigentlichen Wert von Demokratie ausmacht.“ Auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte: „Presse- und Meinungsfreiheit müssen gerade nach den furchtbaren Anschlägen von Paris auch in Deutschland, Hamburg und im Schanzenviertel verteidigt werden.“ Linken-Politikerin Christiane Schneider bedauerte den „erzwungenen Abbruch“ und sagte: „Politische Konflikte müssen im Meinungsstreit ausgetragen werden können.“ Zuhören sei das Mindeste, das man voneinander verlangen könne, sagte auch Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Fegebank. „Es ist außerdem befremdlich, wie sich eine Gruppe zu selbst erklärten Anwälten einer Sache macht, die deutlich komplexer ist als die Parolen der Rotfloristen.“ Sie wünsche sich, dass die Diskussion bald nachgeholt werde.

Genau das fordert auch die CDU. Deren stellvertretender Fraktionschef Roland Heintze sagte, Meinungsfreiheit und Flüchtlingspolitik seien zu wichtig, „als dass wir uns das gefallen lassen dürfen“. Die Diskussion solle „schnellstmöglich nachgeholt werden“ – und zwar in der Roten Flora selbst. Bereits am Mittwoch habe die CDU eine Nutzung des besetzen Gebäudes für eine Diskussionsveranstaltung über die Lawaetz-Stiftung angefragt, die das Gebäude treuhänderisch verwaltet. „Wir können es uns als Demokraten nicht gefallen lassen, dass linke Demonstranten den freien Meinungsaustausch zu unterdrücken versuchen“, sagte Heintze. „Hier gilt es, standhaft zu bleiben.“ Einschüchterung dürfe „gerade dieser Tage kein Mittel der Politik werden“.

Schon vor der neuen Eskalation hatte Roland Heintze gefordert, das besetzte Kulturzentrum im Schanzenviertel, das die Stadt im Herbst für 820.000 Euro vom Investor Kretschmer bzw. dessen Gläubigern zurückgekauft hatte, für alle Bürger zu öffnen. Es könne nicht sein, „dass der Steuerzahler den Kauf und Teile der laufenden Kosten finanziert, und dann ist das Gebäude noch nicht einmal frei zugänglich“, sagte Heintze. Schließlich seien auch alle anderen 28 Stadtteilkulturzentren in Hamburg frei zugänglich.

Dass die CDU nun eine Veranstaltung in der Roten Flora selbst abhalten will, bewerten die anderen Parteien als wenig hilfreiches Manöver. „Der Antrag der CDU trägt nach den Provokationen des Voreigentümers nicht dazu bei, die Lage vor Ort zu beruhigen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Kienscherf. Die FDP-Spitzenkandidatin Suding bezeichnete den Heintze-Plan als „durchsichtigen Populismus, mit dem die CDU dem drohendendem Wählerschwund Richtung AfD vorbeugen will“. Linken-Politikerin Schneider nannte es „schäbig, dass die CDU ausgerechnet die Flüchtlingsproblematik für die Provokation einer ihr seit eh und je verhassten Einrichtung missbraucht“. Eine Antwort der Lawaetz-Stiftung auf die CDU-Anfrage zur Nutzung der Roten Flora wird für die kommenden Tage erwartet.