Die Zahl der Unfalltoten in Hmaburg ist im vergangenen Jahr dramatisch gestiegen. Eine Ursache: Abbiegefehler der Autofahrer.

Hamburg. Es ist ein erschütterndes Bild – Mahnung und Anklage zugleich: Seit einigen Tagen steht ein weiß bemaltes Fahrrad an der Ecke Kieler Straße/Stresemannstraße. Auf dem Gepäckträger liegt ein verwelkter Blumenstrauß, vor dem Rad stehen 26 Grablichter und zwei kleine Laternen. Ein letzter Gruß an einen 47-Jährigen, der Mitte Dezember an dieser Stelle starb.

Er war mit dem Fahrrad auf der Kieler Straße unterwegs und wollte in Richtung Holstenstraße weiterfahren. Als er bei Grün über die Kreuzung fuhr, erfasste ihn ein Lkw, der – offenbar ebenfalls bei Grün – nach rechts in die Stresemannstraße abbog.

Menschen, denen der Fall nahegegangen ist, haben den kleinen Altar an der Unfallstelle errichtet. Am Zaun dahinter sind Briefe angebracht, die sich direkt an den Toten richten. „Mein Freund“, schreibt da ein Jürgen aus der Schützenstraße, „täglich komme ich zweimal hier vorbei. War es Unaufmerksamkeit, war es eine SMS?“ Und in einem anonymen Schreiben steht: „Was für ein schrecklicher Tod, was für ein schrecklicher Ort.“

Ein Unfall, der viele erschüttert hat

Ein Unfall, der viele erschüttert hat, und ein Unfall, der auch einen traurigen Rekordwert des vergangenen Jahres darstellt. Elf Radfahrer wurden 2014 auf Hamburgs Straßen bei Unfällen getötet. Im Jahr davor waren es zwei, 2012 vier. Im zehnjährigen Vergleich liegt die durchschnittliche Zahl bei 4,6 Getöteten. Und auch bei den verletzten Radfahrern registrierte die Polizei einen starken Anstieg von 1940 verletzten Radfahrern auf 2104 im gerade abgelaufenen Jahr 2014. Noch ist die Zahl allerdings vorläufig, weil lediglich der Zeitraum von Januar bis Oktober bei den Verletztenzahlen erfasst ist. Eine genaue Ursachenermittlung liegt laut Polizei daher ebenfalls noch nicht vor.

Aber es gibt Tendenzen, die sich aus älteren Statistiken ergeben. Zum einen steigt der Radverkehr allgemein stark an in Hamburg. Je mehr Radfahrer unterwegs sind, desto höher könnte auch die Zahl der Unfälle sein, vermutet beispielsweise der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Auch dafür gibt es noch keine gesicherte Statistik, weil eine bundesweite Darstellung der unterschiedlichen Verkehrsanteile erst im Frühjahr vorliegen soll. Allerdings zeigt ein Blick auf die 16 Messstationen, den sogenannten Fahrradpegeln in Hamburg, dass dort von 2005 bis 2013 die Zahl der Radler um rund 17 Prozent angestiegen ist. Bei etwa der Hälfte der Radunfälle der vergangenen Jahre waren zudem Pkw und Lkw beteiligt. Und dabei waren es zum überwiegenden Teil – wie an der Stresemannstraße – Abbiegefehler der Auto- und Lkw-Fahrer, die zu schweren Unfällen führten.

Bei den selbst verschuldeten Unfällen der Radfahrer sind es indes meist das Fahren auf der falschen Radwegseite sowie die Missachtung von Rotlicht, die zu Zusammenstößen führen.

Wegen der häufigen und schweren Unfälle durch Abbiegefehler fordert der Allgemeinde Deutsche Fahrrad-Club Radfahrstreifen und das Fahren auf der Fahrbahn. „Solche Unfälle geschehen oft, weil gerade an Kreuzungen Radfahrer aus dem Blickfeld der Kraftfahrzeuge geraten“, sagt der Sprecher des ADFC Hamburg, Dirk Lau. Untersuchungen hätten gezeigt, dass viele Autofahrer auf den geforderten Schulterblick beim Abbiegen verzichten. „Ich als Radfahrer schaue mich daher immer selbst um, man kann sich da nicht auf andere Verkehrsteilnehmer verlassen“, sagt Lau.

Im Fall der Stresemannstraße kommt bei dem tödlichen Abbiegeunfall noch ein pikanter Punkt hinzu, wie der Verkehrsexperte der Grünen, Till Steffen, herausgefunden hat. Die Kreuzung war im Rahmen des Busbeschleunigungsprogramms gerade erst umgebaut worden. Auch ein Radfahrstreifen an der Kieler Straße bis zur Stresemannstraße war in den ursprünglichen Planungen vorgesehen. So wie es der ADFC immer fordert, weil sich dann vor der Ampel Radfahrer deutlich sichtbar für die anderen Verkehrsteilnehmen aufstellen können. Nun hört der Radfahrstreifen aber plötzlich auf, und die Radfahrer werden wieder auf einem gemeinsamen Rad- und Gehweg geführt. „Damit verschwinden sie urplötzlich wieder aus dem Sichtfeld, das trägt nicht zur Sicherheit bei“, sagt ADFC-Sprecher Lau. Steffen hat nun eine Kleine Anfrage an den Senat gerichtet, um Hintergründe dieser Umplanung zu erfahren. Zudem will er von den Behörden genaue Ursachen für die tödlichen Radfahrunfälle im Jahr 2014 erfahren.

Zumindest für den Umbau der Kreuzung gibt es bereits eine Antwort. Der gemeinsame Geh- und Radweg stelle nur eine „Zwischenlösung“ dar, heißt es in der Verkehrsbehörde. Durch einen Radfahrstreifen, das glaubt jedenfalls ADFC-Sprecher Lau, hätte der tödliche Unfall vielleicht verhindert werden können.