Gefangenen-Projekt: In der JVA Billwerder sollen Gefangene lernen, ihre Aggressionen zu kontrollieren – mit Trainer Willy Wilkens. Wie das funktionieren kann und worauf es dabei ankommt.

Billwerder. Sie sind zu acht und treffen sich jeden Montag in einem kleinen Raum im ersten Stock in Haus 4 der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Billwerder. Vor den beiden Fenstern trüben Eisengitter den ungestörten Blick nach draußen, drinnen stehen neun Stühle im Kreis. Auf einem sitzt Willy Wilkens. Er ist der Coach. Er leitet zusammen mit Maik Semmler diesen Kreis, in dem sich acht Männer drei Stunden lang gegenübersitzen und sich davon erzählen, was schiefgelaufen ist in ihrem Leben.

Seit sieben Jahren wird in der JVA Billwerder dieses Anti-Gewalttraining für Straftäter angeboten. Woher kommt meine Wut? Warum lasse ich mich so schnell provozieren? Warum haue ich sofort zu anstatt zu reden?

Am Anfang lässt sich Willy Wilkens von den Teilnehmern erst einmal über die vergangene Woche berichten. „Gab es Vorfälle, über die ihr sprechen wollt? Brenzlige Situationen?“ Wilkens ist Deeskalations- und Anti-Gewalt-Trainer. Der Diplom-Politologe ist 54 Jahre alt, ein groß gewachsener Mann. Durchtrainierter Körper, den Kopf kahl rasiert, freundliches Gesicht. Er strahlt gleichzeitig Ruhe und Stärke aus.

In jeder Sitzung gibt es ein Schwerpunktthema. „Wir gucken uns dabei ganz detailliert die Gewalttat eines Teilnehmers an“, sagt Wilkens. Wer nicht dazu bereit ist, über seine Gewalttaten, zumeist Körperverletzungen, zu reden, kann an diesem Kurs nicht teilnehmen. Wer sich zur Teilnahme bereit erklärt, vergrößert seine Chance, dass seine Haftstrafe auf zwei Drittel der verhängten Zeit reduziert wird.

Peter* ist Mitte 40. Ein dünner Mann mit dichtem schwarzen Haar und einem leichten französischen Akzent. Er saß schon einmal dreieinhalb Jahre wegen Körperverletzung in Santa Fu. Dann hat er einmal die falsche Abbiegung genommen, als er nach der Arbeit nicht nach Hause zu seiner Frau und seinem Kind gegangen ist, sondern in die Spielhalle. Er hatte Alkohol getrunken. Er wurde von einer Gruppe als Asozialer beschimpft, es kam zur Schlägerei. „Ich wurde zwar verprügelt, aber es war mein Fehler, mich provozieren zu lassen“, sagt Peter.

Die Jugendhaft habe ihn nicht abgeschreckt

Jetzt muss er noch 20 Monate Reststrafe abbrummen und sagt, die Gespräche in der Gruppe hätten ihm viel gegeben. „Man öffnet sich, man vertraut sich. Und es hilft dir auch, wenn die anderen erzählen, was ihnen passiert ist.“ Draußen, sagt Peter, könne man mit niemandem darüber reden. Nach jeder Sitzung gehe er zurück in seine Zelle und denke darüber nach, was die anderen gerade erzählt haben.

Von Willy Wilkens haben sie allerhand Hilfsmittel an die Hand bekommen, um nicht wieder straffällig zu werden. Dabei soll in erster Linie das „Frühwarnsystem“ für eskalierende Situationen geschärft werden. „Wenn ihr Situationen eher erkennt, habt ihr mehr Zeit zum klugen Handeln“, sagt er. Zudem geht es darum, für jeden eine persönliche Stopp-Karte zu erarbeiten. „Was ist für euch der größte Nachteil eurer Straftat?“ Viele sagen, dass es am schlimmsten ist, wenn die Mutter sie im Gefängnis besucht und ihre Tränen nicht zurückhalten kann. „Dieses Bild von der weinenden Mutter ist ab sofort deine Stopp-Karte, die du ziehen musst, wenn es brenzlig wird“, sagt Wilkens.

Roman ist als kleiner Junge mit seinen Eltern und seinen Brüdern nach Deutschland gekommen. Er fing an zu dealen, war in seinem Viertel in Hamburg bald eine bekannte Größe, der auch zuschlagen konnte, wenn Leute ihre Drogen nicht bezahlten. Er handelte hauptsächlich mit Marihuana und Kokain. Wegen Drogendelikten in 145 Fällen wurde er verurteilt. Später kassierte er eine Strafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Körperverletzung. „Dabei wollte ich in der Situation nur schlichten.“ Zwei Typen wollten bei einem Freund Geld abkassieren, als er zufällig in dessen Wohnung gewesen ist. „Ich sagte ihnen, das können wir doch regeln. Aber als ich dann geschlagen wurde, habe ich die beiden verfolgt.“ Er hat sie krankenhausreif geprügelt. „Ich fühlte mich gekränkt“, sagt er, „und ich hatte ein Ansehen zu verteidigen.“ Willy Wilkens sagt, Roman habe sich draußen für unbesiegbar gehalten.

Roman saß schon im Jugendvollzug in Hahnöfersand, als er 20 Jahre alt war. „Das hat mich nicht abgeschreckt.“ Erst als er wegen schwerer Körperverletzung 18 Monate in U-Haft gesessen hat, sagt er, habe er angefangen nachzudenken. „Wenn du 23 Stunden eingeschlossen bist, ändert sich das ganze Denken. Dann fragst du dich plötzlich auch, welche Konsequenzen dein Handeln hat.“

Willy Wilkens sagt, es sei ganz wichtig, dass die Teilnehmer sich selbst sagen, was sie voneinander halten. Das habe eine ganz andere Wirkung, als wenn er das zu ihnen sage. „Wir müssen dafür nur den Raum schaffen.“

Was Peter und Roman eint, ist das Ziel, das Gefängnis in Billwerder so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Sie müssen lernen, ihre Wut unter Kontrolle zu bekommen. „Zwei Minuten Scheiße bauen, und dann wird zwei Jahre lang die Tür hinter dir abgeschlossen, das soll mir nie wieder passieren“, sagt Roman. „Es gibt nichts Besseres als die Freiheit“, sagt Peter. „Weißt du, wie weh es tut, wenn ein Beamter jeden Abend hinter dir die Tür abschließt?“ So weit will er es nicht mehr kommen lassen. Seine persönliche Stopp-Karte? „Ich gehe jetzt jedem Streit aus dem Weg. Die anderen haben recht, und ich habe meine Ruhe“, sagt er. Er würde sich dann auch nicht mehr als Verlierer fühlen. Oder feige. „Wenn ich weggehe, habe ich gewonnen.“