Bildungssenator Ties Rabe hat Zahlen vorgelegt: 6,6 Prozent eines Schuljahrgangs in Hamburg sind Inklusionskinder. Damit gebe es weniger Kinder mit Förderbedarf als bisher behauptet und erwartet.

Hamburg. Der Streit um Zahlen beim Thema Inklusion in der Schule ist beendet. Plötzlich geht alles sehr schnell: Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat das Ergebnis der umfangreichen Begutachtung der Viertklässler, bei denen die Grundschulen einen sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE) angenommen hatten, jetzt offengelegt. Zuvor hatte die Grünen-Bildungspolitikerin Stefanie von Berg Rabe vorgeworfen, die Daten aus wahltaktischen Gründen geheim halten zu wollen.

„Die Untersuchung zeigt: Es gibt weniger LSE-Kinder als behauptet und mehr als erwartet“, sagte Rabe im Gespräch mit dem Abendblatt. Konkret: Die Schulbehörde war bislang von einem Anteil der LSE-Kinder in Höhe von vier Prozent pro Jahrgang (das entspricht 520 Schülern) ausgegangen und hatte die Schulen entsprechend mit zusätzlichen Förderstunden, also Lehrerstellen, ausgestattet. Schulleiter und das Bündnis für Inklusion hatten stets behauptet, dass die „wahre“ Quote mit etwa acht Prozent doppelt so hoch sei. Tatsächlich haben die Grundschulen im laufenden Jahr für 1012 Viertklässler Förderbedarf angemeldet, was etwa acht Prozent entspricht. Um den Streit zu beenden, hatte Rabe die Experten der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) beauftragt, jeden einzelnen Fall im Nachhinein unter die Lupe zu nehmen und zu bewerten.

Die Wahrheit liegt, wie sich jetzt herausstellt, tatsächlich in der Mitte. Von den 1012 Viertklässlern, bei denen die Grundschulen einen LSE-Förderbedarf angemeldet haben, kamen die ReBBZ-Gutachter in 868 Fällen zu demselben Ergebnis. Das entspricht einem Anteil von 6,6 Prozent am gesamten vierten Jahrgang der staatlichen Schulen. Bei 134 Jungen und Mädchen hielten die Experten die Einstufung für falsch. Zehn Fälle sind noch offen.

Senat schaffte 350 Lehrerstellen zusätzlich

Das heißt auch: Die sogenannte systematische Ressource – also die pauschale Zuweisung von Förderstunden auf der Basis eines Vier-Prozent-Anteils – reicht nicht aus. Deswegen kündigte Rabe im Abendblatt-Gespräch an nachzusteuern. „Das besondere Handlungsfeld sind die Klassen fünf und sechs der Stadtteilschulen, weil der Anteil der LSE-Kinder hier besonders hoch ist“, sagte der Senator. Im kommenden Schuljahr soll der Jahrgang fünf mit 30 zusätzlichen Lehrerstellen und im Jahr darauf Jahrgang sechs in derselben Höhe ausgestattet werden. Kosten: etwa vier Millionen Euro. „Das ist eine vernünftige Ausstattung zusätzlich zu dem, was wir ja ohnehin schon additiv an die Stadtteilschulen gegeben haben“, sagte der Sozialdemokrat. Direkt für die Gewährleistung der Inklusion an Regelschulen hat der SPD-Senat bislang 350 Lehrerstellen zusätzlich geschaffen.

Rabe betonte aber auch, dass es seiner Ansicht nach wichtig sei, dass die Schulen gute und auf die individuellen Bedingungen zugeschnittene Förderkonzepte entwickeln. „Die zusätzliche Ressource einfach nur für Doppelbesetzungen im Unterricht zu nutzen, reicht nicht aus.“ Zwei Pädagogen in der Klasse, bei denen sich der eine vorrangig um die LSE-Kinder kümmere, führe nicht immer zum Erfolg.

Zwar gibt es jetzt Klarheit in Bezug auf die Zahl förderbedürftiger Kinder, aber eine zentrale Frage bleibt: Woher kommt der starke Anstieg seit der Einführung des Rechts auf Inklusion 2010? Geht man nur von den Kindern aus, die früher eine Sonderschule besucht haben, dann dürfte es nur 439 LSE-Kinder in den jetzigen vierten Klassen geben. Das ist sogar etwas weniger als die einmal angenommene Quote von vier Prozent. Eine fast gleich hohe Zahl – 429 Kinder – ist aber plötzlich dazu gekommen. Rabe spricht von der Aufhellung eines Dunkelfelds: „Diese Kinder besuchten früher unentdeckt die Grundschulen und wurden dort seit Jahren ohne sonderpädagogische Förderung mit Bordmitteln unterrichtet.“

Im Einzelfall mag es pädagogische Fürsorge gewesen sein, so Rabe, die Lehrer früher davon abhielt, diese Kinder auf eine Sonderschule zu schicken. Andererseits könnte auch Angst vor dem Protest der Eltern gegen eine Ausgrenzung ihres Kindes eine Rolle gespielt haben. Im Grunde seien die Jungen und Mädchen also schon immer inklusiv beschult worden. „Erst durch eine genauere Diagnostik wurde diese zweite Gruppe nun erkannt“, so Rabe. Das Recht auf Inklusion – also den Besuch einer Regelschule – und die begleitende Schulreform habe aber eigentlich nur auf die Kinder gezielt, die früher eine Sonderschule besucht hätten.

Rabe betonte, er habe das Ergebnis der Gutachten immer vor der Wahl am 15. Februar veröffentlichen wollen, aber erst jetzt seien die Daten, die seit dem 19. Dezember vorliegen, gesichert.