Der Streit entzündet sich an einer Lappalie im Straßenverkehr: Weil eine Autrofahrerin bei Grün nicht sofort anfährt, platzt zwei jungen Männern der Kragen: Fäuste fliegen ohne Rücksicht auf Verluste.

Neustadt. Das kleine Mädchen weinte bitterlich. Diese Aggressionen, das Chaos, die Wut, die die Vierjährige miterleben musste, brachten ihre heile Welt ins Wanken. Was machten die beiden fremden Männer da mit ihrem Onkel? Und warum waren die drei überhaupt in so einen massiven Streit geraten? Das Kind hatte doch nur mit seinen Verwandten ins Schwimmbad fahren und Spaß haben wollen. Doch statt Freude empfand Leonie (alle Namen geändert) nur Sorge um ihren Onkel.

Dabei war es war eine Lappalie, eine Kleinigkeit, die auf bemerkenswerte Weise demonstriert, wie alarmierend gering bei manchen Menschen im Straßenverkehr die Toleranzschwelle ist. Ein winziges Zögern beim Anfahren oder ein etwas spät gesetzter Blinker können Ungeduldige zum Explodieren bringen. So offenbar auch bei den Brüdern Farid und Murat R., die sich jetzt wegen Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten müssen. Laut Anklage gerieten sie wegen des Fahrverhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers so in Rage, dass ein Mann mit Schlägen verletzt wurde.

Zum Auftakt des Prozesses schweigen die beiden Angeklagten. Mit unergründlichen Mienen sitzen die drahtigen, 34 und 26 Jahre alten Männer neben ihren Anwälten. Und auch der Mann, der laut Anklage Opfer des Angriffs wurde, zieht es vor, nichts zu erzählen. Den Ermittlungen zufolge hatte der 49-Jährige sich offenbar im Eifer des Gefechts selber zu einer provozierenden Geste hinreißen lassen.

“Die Kleine heulte höllisch“

Seine Ehefrau indes schildert umso lebhafter die Vorkommnisse an jenem Frühlingstag des vergangenen Jahres. Sie habe an einer Ampel bei Grün nicht sofort anfahren können, weil der Wagen vor ihr sich nicht in Bewegung setzte, erzählt die 45-Jährige als Zeugin. „Hinter mir hupte es zweimal. Ein Auto drängte sich vorbei, die Insassen gestikulierten wild. Und mein Mann hat das erwidert.“ Dann hätten die anderen sie ausgebremst, zwei Männer stiegen aus und rüttelten an der Beifahrertür. „Es wirkte bedrohlich“. Sie habe darum gebeten, damit aufzuhören, weil ihre vier Jahre alte Nichte auf dem Rücksitz saß und vor lauter Angst weinte. „Die Kleine heulte höllisch, ich hatte sie im Arm. Ich flehte alle an, ruhiger zu werden.“

Doch ihre Appelle verpufften. Ihr Ehemann habe noch versucht, zu deeskalieren. „Aber als er das erste Mal geschlagen wurde, ist er ausgestiegen.“ Ihr Gatte habe versucht, einen der Angreifer auf Abstand zu halten. Plötzlich seien beide zu Boden gegangen, und auch der Bruder des Angreifers habe „irgendwie“ an ihrem Mann gehangen. „Es entwickelte sich eine Rangelei.“ Auch einer der Angeklagten wurde verletzt. Schließlich brachte ein unbeteiligter Dritter die Kontrahenten auseinander. „Wir haben keinen Strafantrag gestellt. Eine Verurteilung bringt uns auch nicht weiter“, findet die Zeugin. Ihr Mann habe einen Kratzer und eine Abschürfung abbekommen, aber keine schwereren Verletzungen. Und sie und ihr Gatte hätten das Geschehen gut verkraftet, ihre Nichte aber nicht ganz. Erst kürzlich habe die heute Fünfjährige deren Mutter gebeten, das Verdeck ihres Cabrios geschlossen zu lassen. „Weil man sonst gehauen wird.“

Insgesamt hätten die Angeklagten ein Verhalten an den Tag gelegt, „dass sich so auf keinen Fall abspielen darf“, betont der Staatsanwalt. Doch weil es sich um eine gegenseitige Rangelei gehandelt habe und „nicht um eine lupenreine Täter-Opfer-Situation“, genüge es, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Die Verteidiger sprechen vom „Ausdruck des Bedauerns und der Einsicht“ ihrer Mandanten. 750 Euro müssen die Brüder wegen ihres Angriffs nun jeweils berappen. Das Geld geht in einen Sammelfonds für Verkehrserziehung und -sicherheit.

Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall