Der Chaos Computer Club tagt mit mehr als 12.000 Teilnehmern bis zum Dienstag im CCH. Ihnen geht es um Mündigkeit im digitalen Zeitalter – und um Spaß und Kreativität.

St. Pauli. Es geht darum, Sicherheitslücken aufzudecken, aber auch um philosophische, ethische und politische Debatten, um das Manipulieren von Hardware und Software, um Spaß und den Austausch mit Gleichgesinnten. Im Congress Center Hamburg (CCH) tagt von Sonnabend bis Dienstag der Chaos Computer Club (CCC).

Der Chaos Communication Congress gilt als Highlight der Hacker-Szene und findet seit 31 Jahren statt – seit drei Jahren wieder in Hamburg, wo er 1984 auch gegründet wurde. Die Zahl der Teilnehmer steigt kontinuierlich. Waren es vor vier Jahren noch etwas mehr als 3000, kamen im vergangenen Jahr 9000 und in diesem schon insgesamt mehr als 12.000 Besucher.

Nicht wenige sind darunter, die ein wenig wunderlich aussehen: Sie tragen bunt gefärbtes Haar, Piercings und trotz der Minusgrade draußen keine Schuhe. Andere wiederum sehen ganz normal aus, viele haben ihre Kinder mitgebracht. Das ganze CCH gleicht einem großen Camp. Während es für die Kleinen den „Kid Space“ mit Lego, elektrischer Eisenbahn und Videospielen gibt, sitzen die Großen in Gruppen um zusammengestellte Tische herum, tüfteln und debattieren, löten Platinen und zeigen sich gegenseitig ihre Erfindungen.

Dekokünstler haben dem sonst nüchternen Gebäude mit nostalgischen Telegrafiegeräten, Flipperautomaten mit freigelegtem Inneren, einem aus Stereorekordern gebauten Roboter und anderen Installationen das entsprechende Ambiente verpasst.

„Es geht bei uns vor allem um Kreativität“, sagt Falk Garbsch, einer der CCC-Sprecher. Beim Hacking, einem Ausdruck aus den 1960er-Jahren, gehe es um den experimentellen Umgang mit Technologie, den Versuch, die Grenzen des Machbaren zu erkunden. Das technische, politische und künstlerische Programm bietet mehr als 120 Vorträge und Workshops. Unter dem Kongress-Motto „A new dawn – ein neuer Anfang" wollen die Hacker auch Antworten auf die Spionage-Enthüllungen von Edward Snowden finden. „Sie haben selbst die Fachleute der Hacker-Szene schockiert und uns gleichzeitig in unseren Warnungen bestätigt“, sagt Garbsch. „Wir müssen uns das Internet und die digitale Welt zurückerobern.“

Fiona Krakenbürger will die Voraussetzungen schaffen, dass sich möglichst viele Menschen daran beteiligen können. Deshalb hat die 24-jährige Berlinerin vor zwei Jahren die „Chaos-Paten“ mitgegründet. Für Neulinge veranstaltet sie Führungen auf dem Kongressgelände und will vor allem Frauen die Scheu vor dem Hackertreffen nehmen – mit Erfolg. Gab es im vergangenen Jahr noch zehn Patinnen, kümmern sich beim diesjährigen Kongress mehr als 30 Patinnen für neue Besucher. Besonders erfreut ist Fiona darüber, dass der Anteil der weiblichen Neulinge deutlich gestiegen ist. Gerade ihnen will sie „das Wissen über die Technik und die Begeisterung am Programmieren zugänglicher machen“, sagt Fiona, die darüber im Internet bloggt. Maßgeblich zur Gründung der Chaos-Paten beigetragen hat Sam Becker. Die 34-jährige Autistin aus dem Ruhrgebiet hatte sich nach dem Chaos Communication Congress 2012 beim CCC dafür bedankt, weil sie sich „so gut aufgehoben“ gefühlt habe – „ohne Vorurteile, aber mit Respekt“. Sie habe erfahren, dass sie dort über ihre speziellen Bedürfnisse – nämlich, alle Informationen über Autismus zusammenzutragen – mit etlichen Gleichgesinnten sprechen konnte. „Vorher hatte ich mich trotz meines großen Interesses zehn Jahre lang nicht getraut, an dem Kongress teilzunehmen“, sagt Sam, die mittlerweile selber als Patin Autisten und andere Besucher mit Handicaps betreut. „Das ist es, was uns auszeichnet“, sagt Falk Garbsch. „Themen wie die Geschlechterdebatte oder Homosexualität werden bei uns anders gehandhabt. Man darf hier anders sein und wird trotzdem akzeptiert.“

Damit Neulinge sich schnell in der Community der Hacker und Kreativen zurechtfinden, bekommen sie von den Chaos-Paten bestimmte Aufgaben gestellt: Sie müssen unter anderem ein Bad in einem Behältnis mit Hunderten bunten Kunststoffbällen nehmen, einmal verloren gehen, ihr Smartphone verlieren und ein neues finden – und einen völlig Fremden nach seiner Erfindung fragen. „Das gibt ungefähr das wieder, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben“, sagt Fiona. „Nämlich, sich nicht mit dem zufrieden geben, was man vorfindet, sondern zu hinterfragen und mitzugestalten.“

Hacken sei eine Lebenseinstellung, viel politischer und alltagsnäher als alle denken. „Wir drücken die Knöpfe, die man nicht drücken soll, und wenn etwas kaputt geht, klären wir die Unternehmen über die Sicherheitslücke auf.“ Nur so könne man im digitalen Zeitalter seine Mündigkeit erreichen.