Schleuser brachten Ahmad nach Hamburg. Er will in Deutschland ankommen – doch das ist manchmal schwierig

Ahmad war ein Kind auf der Flucht. Als gerade einmal 15-Jähriger hat er seine Eltern in Afghanistans Hauptstadt Kabul verlassen, sein Leben Schleusern anvertraut – und sieben Monate später Hamburg erreicht. Er war ein unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling. Mittlerweile ist Ahmad 20 Jahre alt und kommt jeden Tag ein bisschen mehr in Deutschland an. Er möchte vor allem eines: seine Ausbildung in der Gastronomie erfolgreich beenden, Deutsch lernen und arbeiten. Ahmad ist gekommen, um zu bleiben. Er möchte ein Teil dieser Gesellschaft sein.

„Wir hatten eine Wohnung, einen Laden und Essen. Mir ging es gut in Kabul“, sagt Ahmad auf Deutsch. Er spricht leise und ein wenig zaghaft. Er sei eben einer, der nicht stören möchte, sagt sein Betreuer Hans Kautz. Gemeinsam mit acht weiteren jungen Männern lebt Ahmad in einem Einfamilienhaus in Neugraben-Fischbek – der Sozialpädagoge Kautz betreut die Jugendlichen dort. Warum solle er fortgehen von zu Hause? Das hatte Ahmad gefragt, als sein Vater ihn dazu aufforderte, Afghanistan zu verlassen. Dem damals 15- Jährigen ging es so wie vielen jungen Männern in Afghanistan: Werden sie von den Taliban entdeckt, bedrohen diese die Familien der Jungen, wenn die jungen Männer nicht bereit sind, für die Taliban zu kämpfen. Einziger Ausweg: die Flucht aus der Heimat. Ein Schlepper brachte den Jungen mit einem Laster über Umwege nach Hamburg. Über die Flucht reden soll Ahmad nicht. Kautz: „Denn häufig sind die Fluchtgeschichten für die Jungs traumatisch.“

Er habe sich ferngehalten von den Jungs, die Ärger machen, sagt Ahmad

Seitdem er Kabul vor vier Jahren verlassen hat, hat Ahmad keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Er weiß nicht, wo seine Eltern mittlerweile leben. Das Geschäft musste der Vater, der als Müller arbeitete, verkaufen. „Meine Mutter war sehr traurig, als ich ging“, sagt Ahmad, der genauso fühlt. Spricht er von seinen Eltern, stockt seine Stimme. Seine Eltern wissen nicht, dass ihr einziger Sohn seinen Weg macht. Mehr als 6000 Kilometer entfernt von Kabul. Nach den ersten acht Monaten in der Erstversorgungseinrichtung an der Feuerbergstraße und einem fünfmonatigen Deutschkursus schaffte Ahmad seinen Hauptschulabschluss. In Afghanistan war er bis zur fünften Klasse zur Schule gegangen. Er schaffte alles, weil er ehrgeizig ist und weil er weiß, dass Bildung seine Chance ist. „Im Erdgeschoss waren die kriminellen Jugendlichen, wir anderen waren oben untergebracht, damit wir in Ruhe lernen“, erzählt er. „Ich war so kaputt von meiner Flucht und wollte nur in Ruhe schlafen können.“ Er hat sich ferngehalten von denen, die Ärger machen.

Bei der Polizei geht man davon aus, dass in diesem Jahr mehr als 1000 junge, unbegleitete Flüchtlinge nach Hamburg gekommen sind – Hunderte von ihnen, so die Schätzung von Sicherheitsexperten, lassen sich weder registrieren noch staatlich betreuen und leben an unbekannten Orten. Angaben über straffällig gewordene, minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge gibt es nicht. Bekannt ist lediglich: Rund ein Viertel der 115 bekannten, schwer kriminellen jugendlichen Intensivtäter sind unbegleitete Flüchtlinge. Nach Angaben der Sozialbehörde dagegen wurden seit 2011 lediglich zwei Prozent der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge straffällig. Egal, wie viele von ihnen kriminell werden – jeder einzelne Fall macht es Ahmad und den anderen, die ihre Flucht mit Hoffnungen auf ein besseres Leben verbinden, schwer, sich zu behaupten und sich gegen Vorurteile durchzusetzen. Für sie ist es ein Geschenk, dass sie hier zur Schule gehen können. „Sie wissen, dass sie mit einer Ausbildung in Deutschland viel anfangen können“, sagt Betreuer Kautz.

Ahmad und neun weitere junge Flüchtlinge haben im September den zweijährigen Ausbildungsgang Fachkraft im Gastgewerbe beim Beschäftigungsträger KOALA begonnen. Ahmad kocht das Essen für Kita- und Schulkinder in einer Produktionsküche. Die Flüchtlinge seien sehr engagiert, heißt es dort. Sie seien kooperativ, zuverlässig und interessiert. Für diese Ausbildung verlässt Ahmad sein Zimmer in Neugraben- Fischbek jeden Morgen gegen sechs Uhr, um pünktlich um sieben in Altona zu sein. Er ist aber auch deshalb so früh unterwegs, weil er für seine Kollegen Kaffee kocht. Das muss er nicht, aber er macht es einfach gern, weil er hilfsbereit ist.

Ahmad, der in seiner Heimat ein sehr guter Boxer war, ist bescheiden. Niemals würde er damit protzen, dass der Boxtrainer hier in Hamburg ganz begeistert von seinem Talent war, Ahmad aber mit dem Sport aufhörte, weil die anderen Boxschüler ihm seine Begabung neideten. Wenn er merkt, dass er stört oder dass es Ärger gibt, zieht sich Ahmad zurück. Er würde niemals erwähnen, dass die alten Menschen in der AWO-Begegnungsstätte in Neugraben- Fischbek ebenfalls seine Hilfsbereitschaft schätzen. Dort hat er vor seiner Ausbildung ein Praktikum gemacht, er hat den alten Menschen Getränkekisten nach Hause getragen, sie bei Ausflügen begleitet. „Er kann unglaublich gut mit alten Menschen umgehen und hat eine engelsgleiche Geduld“, erzählt Betreuer Kautz.

Ahmad ist längst Teil dieser Gesellschaft – und engagiert sich. Aber er kann auch ganz schnell wieder draußen sein. Mit 21 Jahren müssen die jungen Flüchtlinge aus der betreuten Wohnung hinaus in eine eigene Wohnung. Und diese zu finden ist schwierig. Kaum jemand möchte Flüchtlinge haben. Hans Kautz: „Die Jungs stehen unter enormem Druck: Sie haben alles richtig gemacht, auch eine Ausbildung, trotzdem droht ihnen die Obdachlosigkeit, wenn sie keine Wohnung finden.“ Ahmad hat eine Wohnung in Bergedorf in Aussicht. Ängste hat er dennoch. „Die Angst, doch abgeschoben zu werden, ist da“, sagt er. Zurück nach Afghanistan, das ist für ihn für die nächsten zehn, 20 Jahre, keine Option. Seine Träume? Eine Frau finden, eine Familie gründen. Seine eigene ist ihm ja verloren gegangen.