Edgar Schneider hat als Junge die Bombardierung Hamburgs überlebt. Für seinen Enkel erinnert er sich an den Juli 1943

Juli 1943 in Hamburg. Sirenengeheul, Hektik, Panik und Angst. Schnell noch das Hab und Gut geklaubt, Kinder an die Hand genommen und schnell in den Keller gelaufen. Schlechte Luft, enge Gänge und Todesangst. Staub rieselt von der Decke. Die Wände vibrieren. Ein Kind schreit. Und mittendrin, mein Opa.

Ende Juli 1943 flogen die amerikanische und die britische Luftwaffe zahlreiche Luftangriffe auf die Hansestadt Hamburg. Während die Amerikaner den Hafen bombardierten, wollte die britische „Royal Air Force“ vor allem die Viertel, in denen die Arbeiter lebten, zerstören. Ziel war es, die Moral und die Kraft der Menschen in der für die Nationalsozialisten so wichtigen Hafenstadt Hamburg zu zertrümmern. Die Operation trug den Codenamen „Gomorrha“. Der Begriff, der bis heute mit einer besonders schlimmen Nacht Ende Juli 1943 verbunden wird: Hamburger Feuersturm. 40.000 Menschen starben in den Flammen. 125.000 Menschen wurden verletzt. Fast eine halbe Million Menschen verloren ihr Zuhause. Einer dieser Menschen war Edgar Schneider – mein Opa.

Zur Zeit der Angriffe war mein Opa neun Jahre alt und lebte mit seinem kleinen Bruder und seiner Mutter in der Sievekingsallee in einem großen Backsteinblock in Hamm. Als ich die Idee hatte, seine Erlebnisse aus dem Juli 1943 aufzuschreiben, hatte er mir viel zu erzählen.

Besonders die Sirenen haben sich in sein Gedächtnis eingeprägt. Sirenen erinnern ihn noch heute an die Schrecken jener Bombennacht. Wenn die Sirenen heulten, liefen Edgar und seine Familie schnell in den Keller. Immer dabei: Ein kleiner Lederkoffer, den seine Mutter in weiser Voraussicht für den Ernstfall gepackt war. Der Koffer stand immer an der Wohnungstür. Er enthielt die wichtigsten Dokumente der Familie – für den Fall, dass sie fliehen mussten. Mein Opa, der neunjährige Junge, hatte die Aufgabe, auf diesen Koffer aufzupassen. Wenn die Familie unversehrt mit vielen anderen Hausbewohner im Keller ankamen, wurden die zu einer Art Bunker umgebauten Räume vom Luftschutzwart verschlossen. Alle Häuser in der Sievekingsallee waren durch unterirdische Tunnel miteinander verbunden und überall hockten die Bewohner der Häuser. „Wir haben uns zu Tode geängstigt“, erzählt mein Opa.

Die britische Luftwaffe hatte für die Bombardierung Hamburgs eine spezielle Bombenmischung entwickelt. Explosive Bomben sollten die Dächer und Fenster der Häuser zerstören. Spezielle Brand- und Phosphorbomben sollten das Feuer entfachen. Phosphor entzündet sich an der Luft und kann mit Wasser nicht gelöscht werden. Eine solche Phosphorbombe fiel in das Treppenhaus des Hauses, in dem Opa lebte.

Phosphor fraß sich die Treppen in Richtung Keller hinunter. Die Hausbewohner, die im Keller Todesängste ausstanden, flüchteten durch die Gänge und krochen durch die Tunnel, die zu den anderen Häusern führten.

Mein Opa erinnert sich, dass aus der entgegengesetzten Richtung Menschen vor Phosphorbränden in die Richtung des Hauses meines Opas flüchten wollten. Er erinnert sich auch, dass er plötzlich vor seinem Klavier stand. Es war aus der Wohnung durch alle Stockwerke in den Keller gekracht.

Nach langer Suche fanden mein Opa und die Familie endlich einen Ausgang in eine Seitenstraße. Es war Mitternacht. Der Himmel war dunkel. Doch durch das Feuer war es in den Straßen taghell.

Die abgedeckten Häuser wirkten wie Kamine. Aus den Häusern loderten die Flammen und es flogen brennende Gegenstände durch die Luft.

Mein Opa wurde von einem brennenden Teil getroffen und musste sich angesichts der schrecklichen Bilder und Szenen übergeben. Durch die gigantischen Flächenbrände hatte sich ein starker Sog entwickelt. Der zog die Flammen durch die Straßen. Das war der Feuersturm. Wer flüchten konnte, versuchte, den Horner Kreisel zu erreichen. Dort gab es eine große Grasfläche, auf die sich die Leute retteten.

Am Morgen wurde es nicht hell über Hamburg. Riesige Rauchschwaden lagen über der zerstörten Stadt. Mein Opa, seine Mutter und sein Bruder, der erst sieben Jahre alt war, stiegen in den erstbesten Zug am Bahnhof Wohltorf und blieben einfach bis zur Endstation sitzen. „Hauptsache ganz weit weg von Hamburg“, erinnert sich mein Opa.

Die Familie lebte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Zwiesel im Bayerischen Wald. 1945 kehrte mein Opa nach Hamburg zurück und lebte mit bei Verwandten in Eppendorf. In dieser Zeit begannen sie mit dem Wiederaufbau ihres alten Hauses. 1948 zog mein Großvater in die ehemalige Wohnung in Hamm ein.

Heute wohnt mein Opa mit seiner Frau in Marienthal. Das einzige, was aus ihm aus den Tagen des Hamburger Feuersturms blieb, ist der kleine Lederkoffer, der unversehrt in einer Ecke seiner Wohnung steht.

Anton Rittmeister, WP Journalismus, Gymnasium Meiendorf