Seilbahn, Kräne, Pyramiden und ein Traumschiff – die Pläne für Hamburgs Amüsierviertel waren so schrill wie der Stadtteil. Am Ende siegte doch die Vernunft, zumindest meistens

St. Pauli gilt als Spielplatz der Architekten – und der Spielbudenplatz ist ihre Sandkiste. Seit Jahrzehnten wird an Hamburgs berühmtestem Stadtteil herumexperimentiert, herumgedoktert, herumgeplant. Viele Politiker wollten sich hier ein Denkmal setzen, viele Stadtplaner das Antlitz des Kiezes aufhübschen, viele Künstler ihre Visionen verwirklichen.

Eine der durchgeknalltesten Ideen kam im April 2003 vom damaligen Bausenator Mario Mettbach (Schill-Partei). In seiner kurzen Amtszeit wollte er Internationalität nach Hamburg bringen und verpflichtete den Pop-Künstler Jeff Koons, den Spielbudenplatz aufzumotzen. Der Amerikaner lieferte auch prompt, allerdings waren sich die Beobachter nicht einig, ob sie möglicherweise der Persiflage eines Entwurfs aufsaßen.

Koons schlug zwei gigantische Kräne mit einer Höhe von 110 Metern vor, die als Gerüst Gummi-Enten mit Schwimmring und einen Schnurrbart hielten. „Das wird ein Leuchtfeuer, ein Symbol für Hamburg wie der Eiffelturm in Paris oder die Akropolis in Athen“, lobte sich der Künstler ganz unbescheiden. Hamburg schäumte, eine Wutwelle brach los. „Hochgepustete Banalitäten“ nannte die Freie Akademie der Künste die Pläne, der „Spiegel“ sprach von einer „obskuren Skulptur“, die „Zeit“ von einem „Monument der Verblödung“. Immerhin, später stoppte Mettbach Koons wegen „der nicht vorhandenen Akzeptanz“. 97 Prozent der Hamburger sprachen sich in Umfragen gegen die bunten Kräne aus. Prof. Norbert Aust, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Schmidts Tivoli GmbH, sieht das Projekt heute nicht ganz so kritisch. 2004 hatte er den Spielbudenplatz als „Schande“ bezeichnet, die man keinem Touristen zeigen dürfe. „Die Idee, einen großen Künstler zu beauftragen, war gut – sie wurde nur schlecht umgesetzt. Statt sich mit Koons’ Idee zu befassen, hat Hamburg über Eiszapfen diskutiert, die von den Kränen herunterfallen könnten“, sagt Aust.

Die Pop-Idee des Jeff Koons aus der Spielzeugkiste passte zum Spielbudenplatz. Auf dem rund zwei Hektar großen Areal wurde in Jahrzehnten vieles ent- und bald wieder verworfen. Jahrzehntelang war der Ort im Herzen des Stadtteils eine Vergnügungsmeile mit Revuetheatern, Karussells und Varietés gewesen, bis diese in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs in Schutt und Asche fiel. 20 Jahre danach plante man als „Weltattraktion“ einen Platz, der an die alten Zeiten anknüpfen sollte und mit historischen Fachwerkhäuschen und Katen daherkam. Als diese Pläne scheiterten, sollte ein gigantisches Dach den Spielbudenplatz überwölben.

In den 70er-Jahren wurde der Ort endgültig verschandelt. Ganz nach dem Geschmack der Zeit baute man 1971 insgesamt 16 einstöckige Pavillons. Als diese in Ungnade (ver)fielen, wurden neue abstruse Ideen diskutiert – Mitte der 70er-Jahre sollte eine Pyramide mit gigantischem Vergnügungszentrum und Spielbank entstehen; 1986 kam ein weiterer skurriler Vorschlage aus der Baubehörde von Eugen Wagner (SPD): Ein Betondampfer mit 9000 Quadratmetern Fläche, vollgestopft mit Schwimmbad, Theatern, Kasino und Rockpalast, sollte auf St. Pauli festmachen. „Ein Hauch von Las Vegas“, entzückten sich Parteigänger, Norbert Aust war fassungslos: „Ein Platz ist nur dann ein Platz, wenn er ein Platz ist“, sagte er schon damals. Das Betonschiff hätte ihn endgültig zerstört.

Aust favorisiert bis heute den Entwurf, der fast verwirklicht worden wäre. Niki de Saint Phalle, die Mutter der kunterbunten Nanas, war schon beauftragt worden, zwei begehbare Skulpturen für den Spielbudenplatz zu errichten. Sie wollte die Ein- und Ausfahrten des Parkhauses mit zwei rund 20 Meter langen und neun Meter hohen Drachenfiguren überbauen. Die Augen der Fabelwesen sollten mit einem Laserstrahl verbunden werden, um an die Tradition der Sailer zu erinnern. „Ich bedauere, dass das nicht geklappt hat“, sagt Aust. „Die Arbeit dieser Künstlerin von Weltrang wäre ein Meilenstein für die Entwicklung des ganzen Viertels gewesen.“ Nach längeren Debatten rang sich die Politik durch und gab Anfang 2002 grünes Licht und 2,5 Millionen Euro frei. „Nach mehr als 30 Jahren wurde es wirklich Zeit, diesen zentralen Platz auf St. Pauli herzustellen und vor allem wieder zu beleben. Das darf kein toter Platz werden“, sagte Senator Mettbach. Doch kurz darauf machte der Tod der Künstlerin die Planungen zunichte.

Schließlich fand sich eine Lösung, die der nächste Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (CDU) zu „einem leuchtenden Mittelpunkt, der Einheimische und Touristen gleichermaßen anziehen wird“, verklärte. Das klang nicht nur großspurig, das war es auch. Eigentlich ging es um ein besseres Provisorium, das nun aber immerhin schon lange steht: 2005 investierten die Stadt und der Großsponsor Vattenfall knapp zehn Millionen Euro für das Projekt der fahrbaren „Spielbuden“ – 2,6 Millionen Euro kamen von dem schwedischen Energieversorger, der damit für zehn Jahre die Namensrechte an den überdachten Freilichtbühnen erwarb.

Nur nannte sie nie ein Hamburger so. Aber der Platz, der lange Jahre als sandige Brache im Herzen des Kiezes steckte, bekam einen Rahmen und verwandelte sich zum Marktplatz des Stadtteils. Heute ist hier mit Santa Pauli oder dem Nachtmarkt und Ereignissen vom Winzerfest bis zur Grand-Prix-Party das Leben zurückgekehrt.

Die Stadtplaner hatten aber noch viel größere Pläne für das Vergnügungsviertel – sie wollten einen ganz anderen Stadtteil, ein „neues St. Pauli“ bauen. Das Abendblatt vom 12. September 1968 gewährt einen Einblick: „Wohnungen für 10.000 Menschen sind zwischen Nobis- und Millerntor projektiert. Am Strom soll eine Landeanlage für Passagierschiffe und von dort hinauf zur Reeperbahn, die unangetastet bleibt, eine breite Straße mit Vergnügungslokalen und einem Einkaufszentrum gebaut werden.“

Wie es sich für die Zeit gehörte, wäre kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, binnen zehn Jahren sollte das neue St. Pauli stehen. „Die berühmt-berüchtigte Herbertstraße und andere Ecken, die zu den Sehenswürdigkeiten von St.Pauli gehören, mit obskuren Kneipen und dunklen Hinterhöfen, werden verschwinden“, schrieb damals der Kollege Ferdinand Gatermann. „Dieses City-Gebiet soll so dicht bebaut werden, wie es in Hamburg nach dem Krieg nirgendwo geschehen ist. Das Projekt kann mit dem Alsterzentrum, der geplanten Neugestaltung von St.Georg, verglichen werden.“ Auch andere altbekannte Wiedergänger hatte Baudirektor Dr. Ebert erdacht: An der Elbe sollte ein Großhotel entstehen, eine neue Anlage die alten Landungsbrücken ersetzen. Zudem sollten Reedereien und Hafenwirtschaft in moderne Bürogebäude ziehen. Der Baudirektor wollte zudem das Vergnügungsviertel erweitern: „Dafür ist Platz an der Breiten Straße“, die hinunter von der Reeperbahn zur neuen Landeanlage für Passagierschiffe führen sollte. Eine Fußgängerzone hätte die S-Bahn-Station Reeperbahn über den Hein-Köllisch-Platz mit dem Fähranleger verbunden.

Namhafte Architekten machten sich an die Arbeit: Der Architekt Werner Kallmorgen überplante das Elbufer mit einer Hochhauskette, bis zu 30 Stockwerke hoch; Autoverkehr und Fußgänger sollten auf verschiedenen Ebenen räumlich getrennt werden. Seine Kollegen Carl-Friedrich Fischer und Horst von Bassewitz wollten den Stadtteil mit Terrassenhäusern und punktuellen Hochhäusern aufwerten – dass „die Wohnhausformen für den sozialen Wohnungsbau zu teuer“ sind, störte kaum. Die beiden Architekten hatten schon in ihrem Gutachten den Hafenrand komplett neu gedacht. Sie wollten auf 25 Hektar die „sanierungsreife, überalterte und unhygienische“ Bausubstanz abreißen und an ihrer Stelle 26-Geschoss-Ungetüme in Fertigbauweise errichten.

Die Baubehörde überplante die Hafenstraße ihrerseits mit Terrassenhäusern und versprach baldige Genehmigungen: „Wir wollen bei diesem Projekt keine Zeit mehr verlieren.“

Das taten sie aber doch – und wie. Auf den städtischen Filetgrundstücken geschah mehr als ein Jahrzehnt nichts. Zu Beginn der 70er-Jahre erwog Tchibo, sich am Hafenrand niederzulassen – entsprechende Bebauungspläne mit 22-stöckigen Häusern und der Bernhard-Nocht-Straße als Durchgangsstraße wurden erdacht, wie ein aufgeständerter Platz an der Elbe. Doch Tchibo zog in die City Nord, auch die Überlegungen von Gruner + Jahr, hier in ein 390 Meter langes und fünf bis sechs Stockwerke hohes Gebäude einzuziehen, zerschlugen sich. Derweil ließen die Hausbesitzer und die Saga die Häuser verfallen. Unbemerkt besetzen im Herbst 1981 einige Studenten, Künstler und Autonome zwölf teilweise leer stehende Häuser. Bald hatten sie sich in zwölf Häusern eingerichtet; die Saga bemerkte das Treiben aber erst im Frühjahr 1982, als die Besetzer ein unübersehbares Transparent an der Fassade befestigten: „Besetzt – ein Wohnhaus ist kein Abrisshaus“.

Dieser Widerstandsgeist hat St.Pauli geprägt und ist bis heute ungebrochen, wie der Konflikt um die Esso-Häuser zeigt. Auf den ersten Blick erschließt es sich vielen Menschen nicht, warum mit viel Herzblut für die inzwischen abgerissenen Plattenbauten am Spielbudenplatz gekämpft wurde. Die Antwort aber liegt nur einen Steinwurf entfernt auf dem ehemaligen Bavaria-Brauerei-Gelände, in dem ein Ufo mit Hotel, Büros und Wohnungen auf St.Pauli gelandet ist. „Vermutlich dachten einige: Nicht schon wieder, wir brauchen kein zweites Bavaria-Quartier“, sagt Aust. „Die Neubebauung muss anknüpfen an die Interessen der Bewohner, der Gewerbetreibenden und der Besucher der Viertels.“