Lea war sechs Jahre alt, als bei ihr Nierenkrebs festgestellt wurde. Fast anderthalb Jahre kämpfte sie ums Überleben. Heute will sie Chirurgin werden.

Mitten in der Nacht wachte ich mit Fieber, Bauchschmerzen und Übelkeit auf. Ich weckte meine Mutter, um mich über die Schmerzen zu beschweren. Sie meinte, ich hätte einen Magen-Darm-Infekt und ließ mich in ihrem Bett weiterschlafen.

Drei Stunden später krümmte ich mich vor Schmerzen. Meine Mutter rief den Notarzt. Der vermutete eine Blinddarmentzündung und wies mich sofort ins Krankenhaus ein. Meine Mutter und meine Großeltern fuhren mich mit dem Auto ins Krankenhaus. Dort wurde ich untersucht. Ich erhielt die Diagnose Magen-Darm-Infekt, bekam Medikamente und durfte wieder nach Hause.

Ich legte mich hin und schlief erneut ein. Als ich nach zwei Stunden aufwachte, hatte ich unerträglich schlimme Schmerzen. Und wieder rief meine Mutter den Notarzt.

Ich kam wieder ins Krankenhaus, diesmal mit dem Rettungswagen: Verdacht auf Blinddarmentzündung, hieß es dort. Mir wurde Blut abgenommen und ich kam auf die Kinderstation. Es wurden auch Ultraschallbilder gemacht. Ein netter Mann machte Bilder von meinem Blinddarm, von meinem Magen und von meinen Nieren. Dann musste ich mich übergeben.

Jetzt beschloss der Arzt, dass meine Lunge geröntgt werden muss. Anschließend wurde ich auf ein Krankenzimmer gebracht, wo meine Großeltern schon auf mich warteten. Der Arzt sprach mit meiner Mutter und sagt ihr, dass die Ergebnisse der Untersuchung „nicht gut aussehen“. Ich wurde ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) verlegt.

Als ich in der Notaufnahme des UKE ankam, hatte ich nur noch Angst. Es dauerte ewig, bis ich stationär aufgenommen wurde. Wieder wurde ich geröntgt. Wieder wurde mir Blut abgenommen.

In dieser Nacht erhielt ich dann die Diagnose, die mein Leben komplett auf den Kopf stellen sollte: Nierenkrebs. Als mir ein Arzt erklärte, was das ist, brach für mich eine Welt zusammen.

Es folgten vier Wochen Chemotherapie, um den Tumor zu verkleinern. Kurz nachdem die Ärzte im Krankenhaus Altona meine rechte Niere mit samt Nebenniere entfernt hatten, sagten meine behandelnden UKE-Ärzte, es könne sein, dass etwas Blut vom Tumor bei der Entfernung in meinen Körper gelangt sei. Die Folge: Ich wurde zwei Wochen bestrahlt und ein weiteres halbes Jahr mit Chemotherapie behandelt.

Ich verbrachte eine sehr lange Zeit im Krankenhaus. Damit mir nicht langweilig wurde, spielte mein Opa oft Dominoday mit mir und meine Mutter bastelte mit mir.

Es gab schöne Veranstaltungen für uns Kinder im Krankenhaus. Wir kochten oft gemeinsam. Einmal besuchte uns der inzwischen verstorbene, ehemalige HSV-Physiotherapeut Hermann Rieger. Wir feierten auch Fasching.

Die Tage und Nächte waren sehr lang. Ich hatte Kopfschmerzen, mir war übel und ich war sehr müde. Zum Ende der Chemotherapie litt ich unter Blutmangel. Deshalb erhielt ich eine Menge Bluttransfusionen. Und nach all den Monaten konnte ich das Essen im Krankenhaus nicht mehr sehen. Das Schlimmste: Durch die Chemo wurde ich sehr empfindlich. Ich konnte den Geruch von Krankenhaus oder Essen nicht mehr ertragen. Am liebsten hätte ich aufgehört zu essen.

Ich lernte während meines langen Krankenhausaufenthaltes viele Kinder kennen. Je besser wir uns anfreundeten, desto besser ging es mir. Aber dann – nach drei Monaten – bekam ich einen Virus und musste in Quarantäne behandelt werden. Diese Zeit war schrecklich. Ich hatte niemanden, mit dem ich spielen konnte.

Das Thema Schulunterricht im Krankenhaus war eine Sache für sich. Die Lehrerin im Krankenhaus konnte ich gar nicht leiden. Sie war sehr streng und wenn ich einmal einen schlechten Tag hatte, bekam ich gleich Ärger und war sehr traurig.

Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich eine Hauslehrerin. Frau Conze war die coolste und netteste Lehrerin der Welt. Durch ihren Unterricht zu Hause war ich – als ich nach der langen Zeit wieder zur Schule gehen konnte – in vielen Fächern weiter als meine Mitschüler.

Meine Klassenkameraden haben mir während meiner Zeit im Krankenhaus täglich Briefe geschrieben. In dieser schweren Zeit habe ich mich mit Philipp angefreundet. Wir wurden beste Freunde und unzertrennlich.

Ich war eine Zeit lang total am Ende und hatte keine Kraft mehr. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Ich habe geweint, weil ich all meine Freunde und meine Katze, die ich so lange nicht gesehen hatte, so sehr vermisste.

Jede freie Minute habe ich, wenn ich mal zu Hause war, mit meiner Katze, mit meinem besten Freund und unseren Familien verbracht. Während der Chemotherapie konnte ich bei einem sehr netten Musiktherapeuten Musikinstrumente spielen, um mich abzuregen und um Spaß zu haben. Lustig waren auch die Besuche von dem Clown aus dem Krankenhaus.

Nach eineinviertel Jahren bekam ich eine frohe Mitteilung, dass ich alles überstanden hätte und in ein paar Wochen wieder zur Schule gehen dürfte.

Dann war der große Tag gekommen. Ich ging mit meiner Hauslehrerin und meiner Mutter zur Schule. Frau Conze ging zuerst in den Klassenraum und alle dachten, sie wollte die Aufgaben für mich abholen. Erst nach einer Weile bin ich auch ins Klassenzimmer gegangen. Die Überraschung war gelungen.

Ich setzte mich auf einen Stuhl, vorne vor die Tafel. Meine Klassenlehrerin sagte, dass die Schüler mir Fragen stellen dürfen. Nachdem ich alle Fragen beantwortet hatte, wurde ich neben Marcus gesetzt.

In der Frühstückspause setzte sich als erstes Philipp neben mich, dann alle anderen Jungs aus meiner Klasse. Sie fragten mir Löcher in den Bauch. Mit den Mädchen aus der Klasse war ich damals nicht so sehr befreundet, da ich mit den Jungs Fußball gespielt hatte.

Und heute? All diese Monate haben mir klargemacht, dass das Leben zu kurz ist, um es zu verschwenden.

Im Krankenhaus habe ich die Ärzte beobachtet. Ich will später einmal Chirurgin werden. Jetzt bin ich 14 Jahre alt und gehe in die neunte Klasse der Stadtteilschule Lohbrügge. Ich bin Schulsanitäterin und werde im nächsten Frühjahr eine Ausbildung zur Sanitätshelferin machen.

Auch wenn meine Krankheit keine schöne Erinnerung ist – für mich war es eine besonders wichtige Erfahrung. Sie hat mich stark gemacht. Ich kann sagen, dass ich den tiefsten Punkt im Leben bereits erlebt habe. Ich glaube, schlimmer kann es nicht werden.

Lea Madina Reese, Klasse 9c Medien, Stadtteilschule Lohbrügge