Die Universität stellt sich gegen die Politik des SPD-Senats. Senatorin Dorothee Stapelfeldt und Uni-Präsident Dieter Lenzen im Streitgespräch über Geld, Gebäude und die Rolle der Wissenschaft

Hamburg. Die Universität probt den Aufstand. Sie hat Protestsemester gegen die Wissenschaftspolitik des SPD-Senats ausgerufen, am 9.Dezember ist eine Großdemonstration in der Innenstadt geplant. Das Abendblatt hat aus diesem Anlass Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Universitäts-Präsident Dieter Lenzen zu einem Streitgespräch zusammengebracht über die Forderung nach mehr Geld, die maroden Gebäude auf dem Campus und die künftige Rolle der Wissenschaft in Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

Prof. Lenzen, der Akademische Senat der Universität hat ein Protestsemester gegen die Hochschulpolitik des Senats beschlossen. Setzen Sie sich wieder an die Spitze des Protestes?

Dieter Lenzen:

Diesem Beschluss haben sich mittlerweile zahlreiche andere Gremien angeschlossen, auch das Präsidium. Wir wollen deutlich machen, was die Erwartungen der Universität an die Politik sind. Das Führungspersonal dürfte in großer Zahl vertreten sein, ich selbst werde auch dabei sein.

Frau Stapelfeldt, Sie waren Ende der 70er-Jahre selbst AStA-Vorsitzende. Können Sie die Proteste nachvollziehen, um mehr Mittel für die Hochschulen und bessere Gebäude zu bekommen?

Dorothee Stapelfeldt:

Es ist selbstverständlich, dass sich die Universität und die Studentenschaft mit ihrer Situation auseinandersetzen und daraus Forderungen entwickeln – das habe ich auch getan. Hinzu kommt, dass wir derzeit mitten in den Beratungen über den Doppelhaushalt 2015/16 sind und auch die Vorboten des Wahlkampfes zu spüren sind. Wir haben unterschiedliche Interessen, Aufgaben und Blickwinkel – das ist völlig normal. Die Universität schaut auf sich selbst, der Senat muss überlegen, wie er die öffentlichen Mittel, die zur Verfügung stehen, für das große Ganze einsetzt.

Die Interessen sind in der Tat unterschiedlich: Die Hochschulen fordern mehr Geld, weil die 0,88-Prozent-Budgeterhöhung nicht ausreiche, um die Kostensteigerungen zu kompensieren.

Lenzen:

Wir möchten über unsere Finanzausstattung ins Gespräch kommen und an die Hochschulvereinbarung heran. Wir haben den Zeitraum der Vereinbarung, die von 2013 bis 2020 gilt, bewusst für uns in zwei Abschnitte geteilt und setzen den ersten Teil der aus ihr resultierenden Kürzungen bis 2016 um. In Gesprächen möchten wir erreichen, dass es anschließend nicht noch eine neue, zweite Kürzungsrunde gibt. Dafür müsste der Plan angepasst werden. Wir wollen erreichen, dass in einem Nachtragshaushalt für 2015/16 und dann im neuen Haushalt 2017/18 mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. In diesem Zusammenhang wird auch über die BAföG-Millionen zu sprechen sein, die den Hochschulen zugutekommen sollten.

Stapelfeldt:

Ich sehe für den Doppelhaushalt 2015/16, der im Dezember von der Bürgerschaft beschlossen wird, keinen Nachverhandlungsbedarf. Mit ihren Budgets und den Rücklagen in Höhe von mehr als 270 Millionen Euro kommen die Hochschulen aus. Eine andere Frage ist, ob die moderate Steigerung, die in den Hochschulvereinbarungen festgelegt ist, langfristig ausreicht. Für die Zeit nach 2017 müssen wir sehen, ob die Tarif- und Kostensteigerung weiter so hoch liegt, dass die Hochschulvereinbarungen nachverhandelt werden sollten.

Lenzen:

Grundsätzlich ist aber zu diskutieren, ob wir nicht langfristig für die Hamburger Wissenschaft ein Budget brauchen, das mit dem bayerischen vergleichbar ist. Davon hängt ab, in welcher Flughöhe wir künftig unterwegs sein möchten.

Was bekommen denn die bayerischen Hochschulen?

Lenzen:

Ich kann das nur mit der Ludwig-Maximilians-Universität München vergleichen. Die hat bezogen auf die Studierendenzahl ein um etwa 25 Prozent größeres Grundbudget als wir. Man sollte darüber reden, unseres schrittweise anzuheben. Das ist die Kernfrage, die sich nach der Wahl stellt: Will die künftige Regierung Ernst machen damit, Hamburg zu einem Wissenschaftsstandort zu entwickeln, der mit München oder Berlin vergleichbar ist? Dann könnten wir zu neuen Ufern aufbrechen.

Stapelfeldt:

Wenn man sich mit München oder Berlin vergleicht, muss man auch die jeweiligen Rahmenbedingungen im Blick haben. Berlin bekommt hohe Bundesergänzungszuweisungen, Bayern ist finanzstärkstes Bundesland. Ich bin davon überzeugt, dass man Wissenschaft auch gut entwickeln kann, ohne daraus sofort 1:1 finanzielle Forderungen abzuleiten. In den vergangenen Jahren haben die Hochschulen aus dem Hochschulpakt des Bundes jeweils 60 bis 75 Millionen Euro erhalten für zusätzliche Studienanfängerkapazitäten. Damit sollte zunächst kurzfristig die wachsende Studiennachfrage erfüllt werden, doch das Programm erstreckt sich mittlerweile von 2007 bis 2023. Mit den temporären Mitteln lässt sich aber immer nur befristet Personal einstellen. Bund und Länder sollten den Hochschulpakt deshalb verstetigen.

Weiterer Streitpunkt zwischen Ihnen ist der Zustand der Gebäude der Universität. Als Prof. Lenzen von den „Ruinen, die sich hier Universität nennen“ sprach – wie fanden Sie das?

Stapelfeldt:

Es gibt Gebäude, deren Sanierung wir jetzt ganz schnell in Angriff nehmen müssen. Das werden wir auch tun: Wir haben im Haushalt die Mittel für die Fassadensanierung in der Zoologie. Wegen der Diskussion über eine Verlagerung der Universität in den Hafen ist die Planung für die Sanierung der vorhandenen Gebäude viel zu lange in den Schubladen geblieben. Nun entsteht ein neuer naturwissenschaftlicher MIN-Campus an der Bundesstraße. Die ersten Neubauten sollten 2019 fertig sein.

Die Frage war aber, wie Sie den „Ruinen“-Satz von Professor Lenzen fanden. Er wird kaum an den MIN-Campus gedacht haben, als er das sagte.

Stapelfeldt:

Wenn man die Universität insgesamt betrachtet und sich die Baumaßnahmen der vergangenen Jahre in Erinnerung ruft – am Hauptgebäude, am Rechtshaus, am Pädagogischen Institut oder auf dem Campus Bahrenfeld–, dann ist das schon beachtlich. Nun wird es auch darum gehen, den Campus Von-Melle-Park weiterzuentwickeln. Der Philosophenturm wird von Grund auf saniert, das muss gut vorbereitet sein und könnte 2017 starten.

Prof. Lenzen, sind Sie mit diesen Perspektiven jetzt zufrieden?

Lenzen:

Mit Perspektiven kann man nie zufrieden sein, sondern erst, wenn die Gebäude fertig sind. Nach Lage der Dinge ist es das, was man im Augenblick machen kann. Nur muss jetzt gestartet werden, weil schon zu viel Zeit verloren wurde.

Frau Stapelfeldt, hatten Sie mit einer so negativen Reaktion auf Ihr Strategiepapier für die Hochschulen gerechnet?

Stapelfeldt:

Es war klar, dass es eine kritische Diskussion geben würde. Ich möchte festhalten, dass es sehr wohl Aufgabe des Staates ist, eine solche Hochschulentwicklungsplanung zu machen. Und dass er definieren muss, wie er den gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen sieht. Das ist häufig missverstanden worden. Es stimmt, dass wir unseren Entwurf nicht detailliert mit den Hochschulen abgestimmt haben.

Das war ja eine Hauptkritik. Hätten Sie das im Nachhinein anders gemacht?

Stapelfeldt:

Nein, das geht gar nicht. Die Stadt muss sagen, wie sich die Hochschulen in den kommenden Jahren entwickeln sollen. Dann können die Beteiligten ihre Stellungnahmen abgeben, die man sorgfältig prüfen muss.

Aber die Stellungnahme der Universität war kein Detailkommentar, sondern lautete: Das Strategiepapier ist so schlecht, dass Sie es zurückziehen sollten.

Stapelfeldt:

Mir ist sehr wohl klar, weshalb eine solche Haltung von den Gremien der Hochschule entwickelt wurde, nachvollziehen kann ich es aber überhaupt nicht. Mit einer solchen Anti-Haltung kommen wir nicht weiter, darüber sind wir längst hinaus. Ich ziehe mein Papier nicht zurück, gar keine Frage. In der Diskussion miteinander können wir gleichwohl zu einem guten Ergebnis kommen.

Lenzen:

Natürlich muss der Staat sagen, welche Art Hochschulen er haben will und wie groß sie sein sollen. Die Grenze wird erreicht, wenn es um Forschungsschwerpunkte geht. Eine Universität muss allein entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzen will. Denn diese ergeben sich aus der Logik des Forschungsprozesses und nicht aus der Logik von Bedarfen. Aus der Sicht der Wissenschaft darf sie sich nicht bedarfsorientiert, also utilitaristisch, ausrichten. Hier in Hamburg wird jedoch stets gefragt: Wofür braucht man das? Die Debatte, die wir im politischen Raum führen müssen, ist, ob die Stadt die Kraft hat, hier liberal zu sein.

Stapelfeldt:

Es gibt keinen einzigen Fall, wo wir beispielsweise bei der Festlegung von Zulassungszahlen bei der Universität eingegriffen haben. Selbstverständlich kann ein Staat nicht verordnen, wo Forschung stattfindet und Erkenntnisse entstehen. Aber wir sind verantwortlich dafür, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Schwerpunkte wie beispielsweise die erfolgreiche Physik weiterentwickeln können. Was wir nicht machen, ist, bis in die einzelnen Fächer hinein zu sagen, wie diese sich strategisch entwickeln sollen. Was an den Hochschulen offenbar zu Kopfzerbrechen führt, ist, dass die Bürgerschaft durch das neue Haushaltsrecht für ihre weitgehende finanzielle Ermächtigung eine ausführliche Berichterstattung mit Kennzahlen erwartet, die ihr die strategische Steuerung ermöglicht.

Lenzen:

Wir schreiben zurzeit 40 Berichte im Jahr, dafür beschäftigen wir eine ganze Abteilung. Da wird in bestimmten Bereichen eine Steigerung der Kennzahlen vorgegeben, die völlig inhaltsfrei ist. Auf Bitten des Akademischen Senats der Universität hat das Präsidium die Ziel- und Leistungsvereinbarungen für 2015/16 nicht unterschrieben. Das bedeutet nicht, dass wir nicht arbeiten wollen. Die Bürgerschaft fordert von uns die Erstellung bestimmter Produkte. Aber im Bildungsbereich führt der Produktbegriff in die völlig falsche Richtung. Wir wollen Inhalte produzieren und nicht Kennzahlen.

Stapelfeldt:

Es ist nicht inhaltsleer, wenn das Parlament beispielsweise feststellt, dass es eine bestimmte Studienerfolgsquote gibt, und sich einen deutlich besseren Erfolg wünscht. Diesen Anspruch finde ich richtig.

Welche Chance hat eine konzertierte Anstrengung für eine Stärkung des Wissenschaftsstandorts Hamburg?

Stapelfeldt:

Das Wissen darum, wie sich Wissenschaft in Hamburg entwickeln kann, liegt zuallererst bei den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wir wollen dies in einem größeren Diskurs weiterentwickeln – als Grundlage dafür, dass in Hamburg noch stärker als bisher deutlich wird, wie wichtig die Wissenschaft für die Zukunft dieser Stadt ist.

Lenzen:

Hilfreich ist, wenn von außerhalb der Wissenschaftspolitik gegenüber der Politik darauf gedrängt wird, dass die Wissenschaft eine echte Priorität wird und nicht eine unter vielen bleibt. Nur: Zu glauben, man könne oder müsse den Wissenschaftsstandort neu erfinden, ist eine absurde Idee.