Blutige Selbstjustiz: 41-Jähriger soll einen Rauschgifthändler in dessen Wilhelmsburger Wohnung zusammengeschlagen haben. Am Dienstag begann die Hauptverhandlung in zweiter Instanz

Neustadt. Als Mann, der rot sah und den Drogendealer seiner Tochter zusammenschlug, kam Senad D. groß in die Schlagzeilen. Ende Februar 2013 soll er Theobald G., genannt Gino, in dessen Wohnung in Wilhelmsburg aufgesucht und ihn mit „stabilen Halbschuhen“ getreten haben – selbst als der Dealer blutend am Boden lag. Ein Akt illegaler Selbstjustiz, doch nicht wenige Bürger zollten ihm offen oder klammheimlich Respekt. Senad D. selbst genoss das Gefühl, ein begehrter Gesprächspartner der Medien zu sein. Ein wenig „geschmeichelt“ habe er sich schon gefühlt, sagte er am Dienstag vor Gericht. Menschen hätten sich bei ihm bedankt, ihn zum Kaffee eingeladen, ihm sogar Geld schenken wollen.

Allerdings weicht die öffentlich kolportierte Version seines Angriffs auf den Schulhof-Dealer grundlegend von seiner Aussage vor Gericht ab. Im Juli 2014 hatte das Amtsgericht Harburg den 41-Jährigen bereits wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die Strafe fiel auch deshalb so deutlich aus, weil die Justiz den privaten Rachefeldzug von Senad D. durch ein mildes Urteil nicht noch zusätzlich „adeln“ wollte. Gegen das Urteil legte Senad D. Berufung ein. Am Dienstag wiederholte der bullige Angeklagte, was er schon in erster Instanz zu Protokoll gegeben hatte: Dass er bei dem Dealer aufgekreuzt sei, um ihm klar zu machen, dass er die Finger von seiner Tochter lassen solle. Jeder im Viertel habe gewusst, dass Gino auf dem Schulhof mit Drogen gedealt und sogar Schüler verprügelt habe – doch Schule und Polizei seien nicht eingeschritten. Seine 17-jährige Tochter habe nicht nur Marihuana von Gino bezogen, sondern habe auch zu dessen Clique gehört. „Mir fiel auf, dass etwas mit meiner Tochter nicht stimmte: Ihre Leistungen sackten ab, sie war ganz blass, hatte Angst vor der Schule.“ Als er Gino in dessen Wohnung zur Rede stellen wollte, habe der ihn gleich am Kragen gepackt – da habe er ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt und die Wohnung wieder verlassen.

Ganz anders klang die Geschichte aus dem Mund von Theobald G., 27. Der wegen Drogendelikten verurteilte Mann mit der leisen, kraftlosen Stimme war am Dienstag als Zeuge geladen. Er habe nie Drogen verkauft, beteuerte er. „Zur Schule und zu seiner Tochter hatte ich nie Kontakt.“ Als er an jenem Tag die Wohnungstür öffnete, habe ihm Senad D. ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen und getreten. Angezeigt habe er ihn nicht: „Aus Angst, dass er wiederkommt.“ Tatsächlich sei Senad D. Wochen später wieder vor seiner Tür aufgetaucht – in Begleitung eines Kamerateams. Der Prozess wird fortgesetzt.