Olli Dittrich und Uwe Seeler plaudern über Idole und Ikonen

Bahrenfeld. Die Geschichte zwischen Uwe Seeler und Olli Dittrich beginnt 1967, vielleicht war es auch schon 1968, so genau weiß das keiner der Beteiligten mehr. Zweieinhalb Stunden steht der kleine Olli nun schon bibbernd an der Rothenbaumchaussee („Es lagen zwei Meter Schnee“) und wartet darauf, dass sein großes Idol aus der Kabine kommt. Dann taucht er endlich auf – warme Dampfwolken steigen um ihn hoch („vor allem um mein volles Haar...“), bis es zum großen Moment kommt: „Herr Seeler, bitte hier ein Autogramm.“ Bereitwillig zückt der HSV-Star den Schreiber, um seinen Namen in das Aral-Sammelalbum der WM 1966 zu schreiben. Doch außer ein paar tiefen Furchen ist nichts zu sehen. „Junge, kauf dir mal einen anständigen Stift“, sagt Seeler noch tröstend zu dem tief enttäuschten Buttje.

Den HSV hat Dittrich dennoch nie mehr losgelassen. Seit 40 Jahren besucht der Komödiant, Schauspieler und Musiker nun schon die Spieler der Rothosen. Zwar war er selbst ein ambitionierter Kicker („schnell, dribbelstark, kein guter Schuss“), aber zur großen Karriere reichte es nicht, obwohl er oft in Stutzen und Buffern schlief.

Und bei den vielen Treffen danach hat der heute 57-Jährige längst noch mal ein richtiges Seeler-Autogramm für das Sammelalbum abgestaubt. Und nun sitzt er gemeinsam mit seinem Idol im HSV-Museum auf einer Bühne, um über alte und neue Fußballzeiten zu klönen, über Idole und Ikonen.

Seeler feiert die Vorstellung seines Buches mit den Meistern von 1960

Für die Präsentation seiner Biografie „Uns Uwe – ein Hamburger mit Herz“ braucht Seeler kein großes Brimborium, er hat einige alte Weggefährten eingeladen. Und so gerät der Abend zu einem lauschigen Familientreffen. Jochen Meinke, der Kapitän der Meistermannschaft von 1960, Klaus Neisner und Erwin Pichowiak sind da, aber auch Harry Bähre, Klaus Zaczyk, der frühere Aufsichtsratschef Udo Bandow und Ex-Präsident Jürgen Hunke. Ehrensache, dass auch die Vorstände Dietmar Beiersdorfer, Carl Jarchow und Aufsichtsrat Thomas von Heesen vorbeischauen. Auch Hockey-Legende Greta Blunck sitzt im Publikum.

„Wenn der Dicke ruft, kommen wir, ist doch klar“, sagte Willi Schulz, der mit Seeler drei Weltmeisterschaften bestritt. Was das Phänomen Uwe Seeler ausmacht, ist für Schulz ganz einfach: „In erster Linie ist er immer der Uwe geblieben, volksnah. Wenn dazu noch die herausragenden Leistungen kommen, entsteht ein Idol.“

So wie im Buch nicht nur der Fußball seinen Raum erhält, sondern vor allem auch Vergangenheit wieder lebendig wird und man eine Vorstellung bekommt, unter welch schwierigen Bedingungen Seeler aufwuchs, so drängte es Seeler auch am gestrigen Dienstagabend inmitten seiner Liebsten, eine ganz spezielle Episode zu erzählen.

Olli Dittrich glaubt, dass auch Lahm und Neuer Idole werden können

Während seiner Kindheit waren Schuhe ein Luxusartikel, die es nur auf Bezugsschein gab. Als seine Treter, vom Straßenfußball geschunden, ihren Dienst verweigerten, und er sah, wie sich seine Jungs unten auf dem Kopfsteinpflaster zu Teams formierten, schnappte er sich kurz entschlossen die Schuhe seiner Schwester Gertrud („Purzel“): „Als ich später wieder in die Wohnung kam, hing die Sohle ein bisschen herunter, aber ich habe sie einfach wieder hingestellt. Purzel hat nichts gesagt, darüber bin ich dir sehr dankbar. Stell dir mal vor, was hätte passieren können.“ Gelächter bei seiner Schwester, die heute ebenso wie Seelers Frau Ilka zum ersten Mal in die neue HSV-Arena gekommen ist.

Wer Uwe Seeler zuhört, kann nicht glauben, dass er schon 78 Jahre alt ist. Kann es eine Ikone wie ihn in der Fußball-Moderne noch geben? „Wer fleißig und ehrgeizig ist, integer und erst seine Leistung bringt, bevor er die Klappe aufreißt, taugt auch noch in 50 Jahren zum Idol“, glaubt Dittrich, obwohl er in seiner Branche festgestellt hat, dass die Dinge immer schneller produziert und konsumiert werden. Philipp Lahm könne so einer werden, aber auch Manuel Neuer. „Jede Generation geht ihren Weg und holt sich ihre Vorbilder.“

Für Uwe Seeler ist eine Sache heute wie damals sehr wichtig, um nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch zu reifen und sich vielleicht sogar zu einem Idol zu entwickeln: „Mein erstes Vorbild war mein Vater. Vadder hat nie viel gesagt, aber wenn, dann hat es gesessen. Für die heutige Spielergeneration ist ein gutes Elternhaus fast noch wichtiger. Ab und an muss den Jungen einer mal ein bisschen auf den Hut klopfen. Nicht jeder Berater meint es gut mit den Profis.“

Bei 320 Mark Aufwandsentschädigung hat Seelers Verdienst einst gelegen. „Damit bekommen die Spieler heute noch nicht mal ihren Tank gefüllt“, sagt Dittrich. Doch wenn sich Seeler ab und an mit seinen Mitspielern von früher trifft, dann gibt es keine zwei Meinungen: „Die Zeit, die wir damals erlebt haben, kann man nicht mit Geld bezahlen.“ Schon 69 Jahre kennen sich beispielsweise Seeler und Meinke. „Unsere Freundschaft wird nie aufhören, bis zu unserem Tod“, sagt Seelers früherer Kapitän. „Ich müsste dir ja eigentlich zurufen: Dicker, bleib, wie du bist. Aber ich weiß ja, dass du so bleiben wirst.“

Spätestens jetzt ist klar: Jedes Buch hat eigentlich zu wenige Seiten, um all die kleinen Anekdoten und wertvollen Ansichten abzubilden.