Abendblatt-Kolumnist Peter Schmachthagen hat sein neuestes Buch „Hamburger Wortschatz“ herausgebracht: 4000 Schnacks und Begriffe

Hamburg. Der kleine Heini, Sohn eines Steuermanns, betrachtete verblüfft das soeben geborene Schwesterchen und rief enttäuscht: Vadder, dat is ja ’n lütt Schlitzmatroos! Heini wuchs vor vielen Jahren am Rande des Hamburger Hafens auf, und selbst bei der Suche nach dem, was Jungs haben, Mädchen aber nicht, mischte sich nautisches Vokabular in seine drastische, aber treffende Geschlechtsbestimmung. Anders in den Walddörfern zwischen Farmsen und Schmalenbeck – anders im Hinblick auf den Begriff, aber nicht auf die Enttäuschung, wenn sich Vater und Großvater einen Stammhalter wünschten und das wieder nicht geklappt hatte. Sie betrachteten den Säugling und grummelten mit ’n füünschen Gesicht: Schiet ook, al wedder ’n Grasmieger!

Ohne dieses Thema überstrapazieren zu wollen, sei kurz erklärt, dass Jungs eine gewisse Tätigkeit stehend am Baum durch den Hosenschlitz erledigen konnten, wozu die Mädchen sich hinter dem Busch hinhocken mussten, um ins Gras zu miegen. Ich zögere, ob ich miegen ganz einfach mit „pinkeln“ übersetzen darf. Wer an dieser Stelle die Reputation des Abendblatts gefährdet sieht, dem sei es hochsprachlich und trocken erklärt: miegen bedeutet „urinieren“.

Rund 4000 solcher heimischer Ausdrücke habe ich gesammelt und in meinem soeben erschienenen Buch erklärt, sachbezogen, aber häufig mit einem Augenzwinkern dargereicht. Auch ein Wörterbuch liest sich leichter, wenn es uns nicht gar so staubtrocken daherkommt. Mein neues Werk, das ich Ihnen hier selbst vorstellen darf, ist so umfangreich geworden, dass wir es wagen durften, es „Hamburger Wortschatz“ zu nennen. Der Inhalt der ersten beiden Bestseller „Sprechen Sie Hamburgisch?“ wurde überarbeitet und eingearbeitet, jedoch um Tausende neuer Stichwörter erweitert, sodass Sie neben einigem Bekannten viel Neues entdecken werden. Der „Wortschatz“ erscheint im zweispaltigen Lexikonformat auf 576 Seiten und enthält eine ausführliche Einleitung, in der ich die Quellen der Mundart aus der Stadt Hamburg und dem Umland aufzuzeigen versuche, wie Großmutter sie sprach, als sie noch ’n lütt Deern weer.

Die Quelle des Hamburgischen, Holsteinischen und Nordniedersächsischen ist das Niederdeutsche, das den Eigennamen „Plattdeutsch“ führt. Plattdeutsch war die Mutter- und Umgangssprache in unserer Region bis ins letzte Jahrhundert hinein. Das Hochdeutsch Martin Luthers kam als Fremdsprache mit der Reformation in den Norden, wurde in der Kirche und der Schule (dort allerdings lange Zeit recht mangelhaft) gesprochen, aber nicht auf der Straße oder in der Nachbarschaft. Der „Wortschatz“ ist auf Hochdeutsch geschrieben, enthält aber eine Fülle von plattdeutschen Zitaten, Schnacks und Döntjes. Wer kein Platt beherrscht, sollte sich nicht abschrecken lassen: Allen schwierigen Passagen ist eine hochdeutsche Übersetzung beigeordnet.

Der bebilderte Lexikonteil von A-a (Kindersprache für „großes Geschäft“) bis Zwutsch (Zug durch die Gemeinde) wird aufgelockert durch Kurzbiografien Hamburger Originale (etwa Aalweber, Hummel-Hummel, Oskar vom Pferdemarkt oder der Zitronenjette). Hamburger Dichter (Otto Ernst, Hans Leip, Rudolf Kinau und mehr), Hamburger Volksschauspieler (zum Beispiel Heidi Kabel, Walter Scherau oder Henry Vahl) sowie Hamburger Humoristen und Sänger (Hein Köllisch, Charly Wittong oder die Gebrüder Wolf). Überhaupt beziehen sich die Stichwörter nicht nur auf Sprache und Mundart, sondern auch auf das Leben, Essen, Trinken, Wohnen und Sterben in Stadt und Land.

Die Hamburger hatten einen festen Glauben, vor allem jedoch einen festen Aberglauben. Wissen Sie, was ein Liekdoorn ist? Ein Liekdoorn ist ein Hühnerauge, das auch den Hamburgern den Tag verderben und das Gehen zur Tortur machen konnte. In den Vierlanden gab es deshalb einen festen Kanon von Abwehrmaßnahmen: Zuerst besorgte man sich ein Liekdoornplaaster (Hühneraugenpflaster) beim Kräuterweib (half nichts), dann ging man zum Liekdoornsnieder. Das war ein lebens- und hühneraugenerfahrener Altenteiler, der die Zeckenzange ansetzte (tat weh). Die letzte Möglichkeit war, mit einer Speckschwarte dreimal über das Hühnerauge zu streichen und sie dann einem Toten in den Sarg zu legen, damit mit dem Leichnam auch der Hühneraugenschmerz begraben werde. Das half erst recht nichts, aber was versucht man nicht alles?

Der „Hamburger Wortschatz“ konnte sich auf rund 20.000 Anregungen, Vorschläge und Hinweise der Abendblatt-Leser stützen, die sie seit 2008 für die tägliche „Hamburgisch“-Rubrik eingereicht hatten. Der „Wortschatz“ soll mehr sein als ein Wörterbuch, eher ein Heimatbuch für Hamburger, für Bewohner des Umlandes, für die Freunde in aller Welt – ein Buch für alle Leute, die Hamburg lieben.

Das Buch: Peter Schmachthagen: „Hamburger Wortschatz“. Schnacks und Begriffe aus Stadt und Land. 576 Seiten im Lexikonformat. ISBN: 978-3-95856-002-4. 24,95 Euro. Bezugsquelle über das Abendblatt: www.abendblatt.de/shop, Bestelltelefon: 040/333 66 999.