Hamburger Geheimnisse: Dass die Namen der legendären P-Liner der Laeisz-Reederei alle mit „P“ beginnen, ist einer Frisur zu verdanken

Altstadt. Was Reedersgattin Sophie Laeisz dazu gesagt hat, dass ihr Denkmal – in Form eines Pudels – hoch oben auf dem Dach der Reederei an der Trostbrücke thront, ist nicht überliefert. Vermutlich hat sie sich geehrt gefühlt, heißen die Schiffe der Reederei doch „Flying P-Liner“ und tragen alle den Anfangsbuchstaben P, weil das erste Schiff „Pudel“ hieß. Was das mit Sophie zu tun hat? „Pudel“ war der Spitzname der Reedersgattin, die sehr krauses Haar hatte und dieses bevorzugt aufgetürmt trug.

Deshalb heißen die Flying P-Liner, wie sie heißen. Und deshalb blickt der Pudel hoch oben auf dem Reederei-Gebäude an der Trostbrücke über die Stadt. Nun sieht Sophies Gatte Carl Laeisz (1828–1901), dessen Porträt in der Reederei-Zentrale hängt, so gar nicht aus wie einer, der seiner Frau Böses will. Zwar war er als bärbeißig bekannt, aber auch als einer mit einem großen Herz. Im Nachruf der Hamburgischen Börsenhalle heißt es: „Seine Bonhomie war geradezu sprichwörtlich“, zumal sich „hinter einer gelegentlich scharf erscheinenden Ausdrucksweise (...) das teilnahmsvollste und hilfsbereiteste Herz verbarg.“ Schwer vorstellbar, dass ein solcher Mann seine Frau „Pudel“ nannte, ihr ein Pudel-Denkmal aufs Dach seines Reederei-Gebäudes setzte und eine ganze Schiffsserie danach benannte, wenn sie mit dem Spitznamen nicht einverstanden gewesen wäre.

Carl ist der Sohn des Firmengründers Ferdinand Laeisz (1801–1887). Und der war eigentlich Hutmacher. 1824 beginnt er mit der Produktion von Seidenhüten, die so reißenden Absatz finden, dass er im Jahr darauf, 1825, einen Schwung Zylinderhüte nach Buenos Aires schickt. 1827 eröffnet er in Brasilien seine erste Niederlassung: „Nachdem ich so viel verdient hatte, dass ich mich auf weiterschauende Unternehmungen einlassen konnte, machte ich den ersten Versuch, ein eigenes Geschäft über See aufzusetzen, indem ich einen entfernt Verwandten namens Bonne, welchen ich für einen fähigen und zuverlässigen jungen Mann hielt, mit drei Gehilfen nach Bahia schickte und daselbst eine Faktorei etablierte, welche teils selbst Hüte anfertigte, teils die von mir hinausgesandten mit etlichen Nebenartikeln verkaufte.“

Es bleibt nicht bei Brasilien, mehrere Firmen in Übersee folgen. Inzwischen ist Ferdinand Laeisz ein wohlhabender Mann und nicht mehr „nur“ Hutmacher, sondern auch Händler im Bereich Import und Export. „Viele der Güter wurden auch mit Naturalien, also zum Beispiel Baumwolle und Zucker, bezahlt, mit denen Ferdinand Laeisz in Hamburg Handel treiben konnte“, sagt Nikolaus H. Schües, der die Reederei heute als Nachfolger seines Vaters Nikolaus W. Schües führt. Wie und wann aus dem Händler und Hutmacher ein Reeder wurde? „Seefahrt war schon immer seine Leidenschaft gewesen“, erklärt Nikolaus H. Schües. 1839 kauft Laeisz ein erstes Schiff, das er nach seinem Sohn benennt. Die Brigg „Carl“ wird nach fünf Jahren aber schon wieder verkauft. „Das Reedereigeschäft war ihm fremd und zudem zu jener Zeit äußerst schwierig“, schildert Schües.

Aber Ferdinand Laeisz wäre nicht Ferdinand Laeisz, wenn er allzu schnell aufgegeben hätte: 1847 tut er einen weiteren Schritt ins Seemannsgeschäft – und diesmal mit großem Erfolg. Gemeinsam mit anderen Hamburger Familien gründet er die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt Actien-Gesellschaft“ (HAPAG), die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zur größten Reederei der Welt wird. In den Folgejahren weiten Ferdinand und sein Sohn Carl, der seinem Vater inzwischen tatkräftig zur Seite steht, den Handel mit der Schifffahrt weiter aus, und 1857 kommt dann auch der Pudel ins Spiel: Die Laeisz haben zwei Schiffe laufen, deren Erträge so gut sind, dass sie sich zu einem Neubau entschließen. „Diese neue Bark wurde ‚Pudel‘ genannt, nach Carls Frau“, erklärt Schües. Das ist der Beginn der Tradition, die Schiffe mit dem Anfangsbuchstaben P zu taufen, die „Flying P-Liner“ werden legendär.

Der Erfolgskurs von Vater und Sohn geht weiter: 1862 erschließt Laeisz den chilenischen Markt. „In diesem Fahrtgebiet wird die Reederei wenig später weltberühmt, sie gilt bis heute als Inbegriff für Kap-Hoorn-Reisen von Großseglern von und nach Chile“, sagt Schües. 1879 tritt auch Carl Ferdinand, Carls Sohn, in die Firma ein: Vater, Großvater und Enkel lenken nun die Geschicke. Der heute noch von der Reederei genutzte Laeiszhof an der Trostbrücke wird 1897 errichtet – mitsamt Pudel auf dem Dach.

Das 20. Jahrhundert beginnt schwierig für die Firma, 1907 gibt es eine weltweite Schifffahrtsflaute, 1910 und 1913 muss die Firma die Verluste mehrerer Schiffe durch Kollisionen mit Dampfern im Ärmelkanal hinnehmen. Die Prokuristen konzentrieren sich nun auf den afrikanischen Markt, wo Bananenplantagen aufgebaut werden. „Die Früchte sollten in Kühlschiffen nach Hamburg geliefert werden“, erzählt Nikolaus Schües. Die Zeichen stehen gut, die Reederei erwirbt mehrheitliche Anteile an der Afrikanischen Frucht-Compagnie (AFC) und ist 1913 mit ihren 18 Tiefwasserseglern die größte Privatreederei Hamburgs. 1914 sind dann auch die beiden ersten Bananenkühlschiffe fertig, allein: Der Erste Weltkrieg verhindert, dass sie Fahrt aufnehmen. Und nach dem Krieg müssen sie, gemäß Versailler Vertrag, an die Alliierten ausgeliefert werden – wie nahezu alle deutschen Handelsschiffe.

„Das wäre das Aus für die Reederei gewesen, wenn nicht Paul Ganssauge, der vor Carl Laeisz’ Tod Prokura erhalten hatte, ein Geniestreich eingefallen wäre“, sagt Nikolaus Schües. „Er ließ die Schiffe der Reederei, die noch in Chile lagen, auf eigene Rechnung mit Salpeter beladen, den man ja im Nachkriegsdeutschland ganz dringend brauchte.“ Gemeinsam mit Reedern anderer Schiffe, die in Chile lagen, und Reichsbeamten – die Zustimmung von deutscher Seite lag vor – war Ganssauge zuvor nach London gereist, wo es ihm gelang, die Zustimmung für sein Vorhaben zu gewinnen. Zusammen mit dem Reeder Emil Offen führt er nun das „Deutsche Segelschiff-Kontor“ in Hamburg an der Trostbrücke, das nur ein Ziel hat: die Rückkehr der Schiffe zu organisieren. Die Schiffe kommen heil an, der Absatz mit Salpeter ist reißend, die Firma verfügt wieder über Kapital. „Und dann hat Paul Ganssauge das mit dem Salpeter verdiente Geld benutzt, um die eben an die Alliierten abgelieferten Schiffe wieder zurückzukaufen. Genial, nicht?“, begeistert sich Nikolaus H. Schües. Auch diese Klippe ist also elegant umschifft, 1926 hat die Reederei sechs Segelschiffe. Und 1930 wird dann doch die Bananenfahrt mit Kühlschiffen aufgenommen und entwickelt sich zur Hauptaktivität der Reederei. Neben Kamerun werden Bananen aus Jamaika und Kolumbien nach Europa transportiert. Wenn auch im Zweiten Weltkrieg sämtliche Schiffe der Reederei verloren gingen oder an die Sowjetunion abgeliefert werden mussten: Bis 1972 wuchs die FL–Kühlschiffsflotte dann wieder auf über zwölf Einheiten an und gehörte damit zur Spitzengruppe der europäischen Kühlschiffsreedereien.

1973 wird Nikolaus W. Schües Partner, die Firma wird jetzt von drei Familien getragen: den Laeisz-Erben, der Familie Ganssauge und Nikolaus W. Schües. Junior Nikolaus H. Schües tritt 1993 in die Firma ein, und es werden die Schiffe der Deutschen Seereederei Rostock, der Staatsreederei der ehemaligen DDR, mit Ausnahme der Kreuzfahrtschiffe in der Reederei Laeisz zusammengeführt. 1999 übernimmt Familie Schües sämtliche Geschäftsanteile der Reederei mit einer Flotte von 40 modernen Containerschiffen, Bulkcarriern, Kühlschiffen und Fährschiffen.

Heute ist es wie damals: Nicht immer ist das Reedereigeschäft ganz einfach. Aber wenn es mal brenzlig wird, wirft Schües einen Blick auf ein großes Bild im Sitzungszimmer. Darauf sind die im Ersten Weltkrieg in Chile festsitzenden Segelschiffe zu sehen. „Das macht einfach Mut“, sagt er. Weil es mit den Schiffen ja ein gutes Ende nahm. Und dann und wann wandert Schües’ Blick auch zum Pudel hinauf, der Wind und Wetter trotzt und über die Stadt blickt – wie ein Seemann über das Meer.