In Hamburg sind immer noch viele Geheimnisse zu finden, die noch nicht verraten wurden. Wie zum Beispiel auf dem Jüdischen Friedhof Altona. Dort gibt es ein ungewöhnliches Relikt: einen Bienenkorb.

Altona. Es ist – wie so viele alte Friedhöfe – ein sehr schöner und romantischer Ort. Und er erzählt etliche spannende Geschichten, der jüdische Friedhof an der Königstraße in Altona, der von 1611 bis 1869 für Bestattungen genutzt wurde. Hier liegen viele portugiesische (sephardische) Juden, die ab dem späten 16. Jahrhundert nach Hamburg kamen, in den typischen sogenannten Zeltgräbern. In einem anderen Bereich sind deutsche Juden aus Altona und – wieder räumlich getrennt – aus Hamburg begraben. Es gibt sehr ähnliche Friedhöfe in Curaçao, aber auch in Antwerpen und Kopenhagen, weil die Familien der Portugiesen auch dort beheimatet waren und Handelszentren gegründet hatten. So ist es auch zu erklären, dass Zeltgräber und Grabplatten in Curaçao die Arbeiten der damals sehr berühmten Hamburger Steinmetzen sind. In Altona sticht eine Arbeit allerdings hervor. Nicht wegen ihrer besonderen Kunstfertigkeit, sondern wegen des Motivs: Es ist ein aus Stein gehauener Bienenkorb. „Leider wissen wir nicht genau, zu welchem Grab er gehört“, bedauert Michael Studemund-Halevy. Während des Krieges ist auch der Friedhof zerstört worden, die Bombenangriffe haben eine Zuordnung bisher unmöglich gemacht. Aber der Sprachwissenschaftler, der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Juden in Hamburg beschäftigt und viele Bücher und Schriften darüber verfasst hat, ist sich in einer Sache sicher: Es ist eine Reminiszenz an Napoleon Bonaparte (1769–1821).

Den Fleiß und die Organisation eines Bienenvolkes schätzte der Franzose

Klar ist, dass der Bienenkorb aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt, weil der Friedhof damals erweitert wurde. Hamburg war von 1806 bis 1814 von den französischen Truppen Napoleons besetzt, ab 1811 sogar offiziell Teil des französischen Kaiserreichs – für die Hamburger in vielerlei Hinsicht eine schlechte Zeit: Wegen der sogenannten Kontinentalsperre war der Handel mit Großbritannien und seinen Kolonien unterbunden, was eine große Wirtschaftskrise verursachte. Und es kam auch zu Gräueltaten der Besatzer.

Gleichzeitig aber brachte die „Franzosentid“ auch einen Modernisierungsschub. Mit dem „Code Napoléon“, dem neuen Gesetzbuch, gab es erstmals so etwas wie Rechtsstaatlichkeit. Und: Die Juden wurden allen anderen Bürgern gleichgestellt. „Das war ein gewaltiger Schritt, denn überall in Deutschland waren die Juden höchstens Bürger zweiter Klasse“, erläutert Studemund-Halevy. Sie durften – auch in Hamburg – nur in bestimmten Straßen wohnen, nicht alle Berufe ausüben, hatten kein Wahlrecht und mussten Sonderabgaben zahlen. „All das fiel nun weg, was viele Juden zu Anhängern Napoleons machte.“

Was hat das aber mit einem Bienenkorb zu tun? „Bienen waren das Symbol Napoleons“, erklärt Studemund-Halevy. „Er hat die Biene als Wappentier gewählt.“ Tatsächlich war sein Purpurmantel bei seiner Kaiserkrönung 1804 mit goldenen Bienen verziert. Dafür gibt es mehrere Gründe. So sind es der sprichwörtliche Fleiß und die gute Organisation des Bienenvolkes, die Napoleon schätzte. Außerdem gibt es eine Königin an der Spitze – auch wenn Napoleon ein König lieber gewesen wäre – und schließlich war in alten Gräbern der Merowinger aus dem 5. Jahrhundert Schmuck in Bienenform entdeckt worden. „Napoleon konnte sich also auf das erste Königsgeschlecht in Frankreich berufen“, sagt der Sprachwissenschaftler.

Diese Symbolik fand offenbar Anklang in ganz Europa. Denn es gibt nicht nur diesen einen Bienenkorb auf dem jüdischen Friedhof in Altona, andere Beispiele finden sich überall in Europa. Die Emanzipation der Juden währte allerdings nicht lange. „Als die Franzosen besiegt und abgezogen waren, wurde das wieder aufgehoben“, sagt Michael Studemund-Halevy. Es sollte noch bis 1871 dauern, bis die Juden rechtlich endlich gleichgestellt waren.