Hamburger Geheimnisse: Teil des Hafens ist seit 1929 tschechisches Staatsgebiet. Ein Gewinn für die Hansestadt

Veddel. Die Tür der grauen Telefonzelle geht nicht mehr auf, das Telefon ist irgendwann abgebaut worden. Am Schiffsanleger steht ein Schild mit der Aufschrift: „Nur Handkarren sind erlaubt!“ Auf Deutsch und auf Tschechisch. Auf dem Parkplatz parken ein Dutzend neue Lkw, in dem schlichten dreigeschossigen Haus können die Fahrer übernachten. Das Areal befindet sich auf dem Kleinen Grasbrook und der Veddel, mitten im Hamburger Hafen – und nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Sondern in der Tschechischen Republik.

28.540 Quadratmeter hier am Saale- und am Moldauhafen sind tschechisches Staatsgebiet. „Das ist seit 1929 so“, sagt Klaus Lübke. Der Kommunalpolitiker lebt auf der Veddel und kennt seinen Stadtteil wie kaum ein Zweiter. „Dass das Gebiet zur Tschechischen Republik gehört, ist eine Folge des Ersten Weltkrieges“, sagt Klaus Lübke. Nach der Niederlage 1918 musste das Deutsche Reich den Versailler Vertrag akzeptieren. „In den Häfen Hamburg und Stettin verpachtet Deutschland der Tschechoslowakei für einen Zeitraum von 99 Jahren Landstücke, die unter die allgemeine Verwaltungsordnung der Freizonen treten und dem unmittelbaren Durchgangsverkehr der Waren von oder nach diesem Staate dienen sollen“, heißt es in Artikel 363 des Vertrags. Doch die Detailverhandlungen mit den Tschechen zogen sich hin. Erst 1929 einigte man sich über den Vertrag, der bis 2028 gültig ist.

„Der vermeintliche Verlust war für Hamburg ein Riesengewinn“, sagt Lübke. Denn Hamburg wurde so zum Seehafen der Tschechen. Massenhaft Waren für das Binnenland wurden in Hamburg eingeführt und dann per Binnenschiff über Elbe und Moldau weitertransportiert. „Und hier in Hamburg entstanden Arbeitsplätze, auch für Deutsche“, erzählt der geschichtskundige Hamburger.

Das änderte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, obwohl die Tschechoslowakei zum Ostblock und die Bundesrepublik zum Westen gehörte. Einen Eisernen Vorhang gab es rund um den Moldauhafen jedenfalls nicht. „Im Gegenteil, es kam zu vielen Kontakten zwischen Tschechen und Deutschen“, berichtet Klaus Lübke. Damals lag die „Praha“ in Hamburg vor Anker, ein Clubschiff, auf dem die Tschechen wohnten. „Die Jungs vom Ruderclub sind da gern mal vorbeigefahren, um eine Kiste gutes tschechisches Bier zollfrei zu kaufen“, erzählt er. Und weil man das Bier aus dem „Ausland“ nicht nach Deutschland mitnehmen durfte, musste es an Ort und Stelle getrunken werden.

Die Geschäfte gingen gut in den Nachkriegsjahrzehnten. Die Tschechoslowakische Elbe-Schiffahrts-Aktiengesellschaft (ČSPLO) hatte mehr als 600 Binnenschiffe und Schuten und stellte auch viele deutsche Arbeiter ein. Die Jobs waren gut bezahlt und entsprechend begehrt. Und auf der „Praha“ wurde auch gemeinsam gefeiert.

Das langsame Aus kam mit der friedlichen Revolution 1989. Die staatliche Gesellschaft wurde privatisiert und musste Konkurs anmelden. „Gegen die Lkw und die Bahn waren die Schiffe damals nicht konkurrenzfähig“, sagt Lübke. Endgültig vorbei war es dann 2001. Jahrelang lag das Gelände brach. „Hamburg wollte das Areal den Tschechen abkaufen, doch man konnte sich nicht über den Preis einigen“, erzählt der Hanseat. Nun ist ein Prager Recycling-Unternehmen Pächter des Geländes.

Wie es weitergeht, ist unklar. „Vielleicht bleiben die Tschechen auch nach 2028“, überlegt Lübke. Denn in dem Vertrag gibt es noch einen fast vergessenen Passus: Die Prager Regierung hat eine einseitige Option auf Vertragsverlängerung – um 50 Jahre. Dann befände sich der nördlichste Teil Tschechiens bis zum Jahr 2078 auf der Veddel und dem Kleinen Grasbrook in Hamburg.