Heute geht es um längst verschüttete Wasserstraßen und ihre verborgenen Folgen für die historische Bausubstanz. Archäologe, Frank Lehmann, erklärt was hinter dem herausgewetzten Mauerwerk steckt.

Hamburg. Manchmal klärt sich beim Blick nach oben so einiges. Auch am Katharinenfleet. Aufmerksame Betrachter bemerken da nämlich am Türsturz eines Backsteinbaus eine merkwürdige Ausschabung. Auch an der Unterkante des darüber liegenden, offensichtlich neu eingebauten Fensters kann man es ganz deutlich erkennen: Hier ist Mauerwerk herausgewetzt.

Eine schlüssige Erklärung findet sich auf den ersten Blick nicht. Bis man nach oben schaut. In luftigen Höhen entdeckt man dann das, was an vielen Häusern in Hamburg zu sehen ist: einen Lastenaufzug. „Dort wurden die Waren, die mit den Booten gebracht wurden, in den Speicher gehievt“, erklärt Archäologe Frank Lehmann, der auch Stadtführungen durch Hamburg anbietet. Die Lasten wurden mit einem Flaschenzug nach oben gezogen. Und der sorgte dafür, dass die Stelle am Türsturz durch den vielen Abrieb quasi ausgeschliffen wurde. Moment mal. Boote? Am Katharinenfleet gibt es doch gar kein Wasser! „Aber vor nicht allzu langer Zeit“, sagt Frank Lehmann, „waren viele heutige Straßen noch Wasserstraßen, also Fleete.“ Daher auch der Name. „Viele Häuser hatten eine Land- und eine Wasserseite. Und damit gab es ein großartiges Verkehrsnetz auf dem Wasser.“ Natürlich fuhren nicht die großen Schiffe zu den Lagerhäusern der reichen Kaufleute. „Man hat die Ladungen auf Schuten umgeladen.“

Die Fleete dienten vornehmlich dem Warenverkehr. Doch nicht nur dafür wurden Fleete genutzt, die Bevölkerung verwendete sie auch als Abwasserkanäle, was nicht unbedingt ein Gewinn für den Geruch und schon gar nicht gesund war – denn das Wasser aus den Fleeten wurde auch entnommen, um etwa Bier zu brauen. Mit der nicht allzu angenehmen Aufgabe, die Fleete zu reinigen, den Schlick zu entfernen und die Wasserstraßen schiffbar zu halten, waren seit 1555 die Fleetenkieker betraut. „Ab dem 18. Jahrhundert verstand man unter Fleetenkiekern aber Leute, die bei Ebbe in den Fleeten nach verwertbaren Abfällen suchten“, erzählt Lehmann. Seit 1994 hat sich der Verein De Fleetenkieker – Verein für Umwelt- und Gewässerschutz e.V. der Säuberung der Kanäle angenommen.

Die Fleete, die es spätestens seit dem 13. Jahrhundert in Hamburg gab, wurden bereits im 19. Jahrhundert teilweise zugeschüttet. „Nach dem Großen Brand 1842 und nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sie zur Trümmerbeseitigung aufgefüllt“, erklärt Frank Lehmann. 1842 verfüllt wurde zum Beispiel das Klosterfleet, das südlich des Alten Walls und vom Mönkedammfleet zum heutigen Rathausmarkt verlief. Das Katharinenfleet wurde 1946 zugeschüttet.

„Dass hier früher mal überall Wasser war, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, sagt Frank Lehmann. „Heute erinnern nur noch der Name und die Ausscheuerung im Türsturz daran.“ Wenn man die Geschichte kennt.