In unserer Serie geht es um große und kleine Geschichten, die sich im Stadtbild verbergen. Heute: eine romantische Kachel.

St.Pauli. Der Besuch des Alten Elbtunnels ist an sich schon ein Erlebnis und die Fahrt mit den gewaltigen Aufzügen hinab ins Dunkel lohnt. Drunten fühlt man sich wie in einer anderen Welt: Geschäftiges Treiben herrscht hier, Menschen, Radfahrer und Autos drängen hindurch, Polizisten sorgen dann und wann für Ordnung. „Achtung, Auto“, ertönt zum Beispiel ein Ruf der Beamten, oder „Bitte absteigen“ in Richtung der Radfahrer. So faszinierend ist der dunkle, lange Gang, so beeindruckend die Vielzahl der Menschen, dass man die glasierte Reliefkachel, die über dem Eingang des Tunnels hängt, leicht übersieht. „Dabei“, sagt Stephanie Fleischer, Archivpädagogin des Staatsarchivs Hamburg, „ist sie äußerst bedeutend, denn sie kündet davon, mit wie viel Entbehrungen und Gefahren der Bau des Alten Elbtunnels verbunden war.“

„Die Kachel zeigt den für den Tunnelbau verantwortlichen Bauingenieur Otto Stockhausen und seine Braut, die Pfarrerstochter Elisabeth Banten“, erzählt sie. Die Abbildung auf der Kachel ist interessant: Die beiden kauern augenscheinlich in einem Tunnel und reichen sich über einen großen Berg hinweg, der den Tunnel fast ausfüllt, die Hände. Das, sagt Stephanie Fleischer, habe eine starke Symbolkraft: Otto Stockhausen sei noch sehr jung, erst 29 Jahre alt, gewesen, als die Arbeiten begannen. „Und er war sehr ehrgeizig, denn es war ein phänomenales Projekt, der erste Unterwassertunnel Deutschlands.“

1907, in dem Jahr, in dem der Tunnelbau begann, sei Stockhausen eigens nach New York gereist, um sich mit den amerikanischen Ingenieuren zu beraten. „Und seine Hochzeit hat er immer wieder verschoben, weil die Bauarbeiten so extrem gefährlich waren.“

Otto Stockhausen fürchtete anscheinend, seine Gattin schnell zur Witwe zu machen. „Die Bauarbeiter hatten aufgrund der Tiefe mit der Taucherkrankheit zu kämpfen und auch mit der Pressluft, die man brauchte, um die Wassermassen draußen zu halten. Man hatte damals noch nicht viel Erfahrung auf diesem Gebiet.“

Drei Bauarbeiter starben an der Taucherkrankheit, 800 erkrankten an den Folgen der harten Arbeit unter Tage. Und 1909 kam es zu einem Unglück in der Oströhre. „Erde und Wasser drangen in den Tunnel, über der Elbe schoss eine Wasserfontäne in die Höhe. Man befürchtete schon, dass der Tunnel einstürzen würde“, beschreibt Stephanie Fleischer. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt, doch diese Episode, sagt die Archivpädagogin, unterstrich nochmals, wie gefährlich die Arbeiten waren.

Aber trotz der Gefahren habe man keinen Arbeitermangel gehabt. Die 4400 Männer seien gut entlohnt worden. Und man habe auch bestmögliche Vorkehrungen getroffen. Der Arzt des Hafenkrankenhauses war verantwortlich, und das jüdische Ärztepaar Bornheim war ebenfalls vor Ort und forschte zum Thema Ausschleusungszeiten. „Leider wurden diese Ergebnisse von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen“, bedauert Stephanie Fleischer. „Die europäischen Nachbarn waren nicht sonderlich an Erkenntnissen aus Deutschland interessiert und in Deutschland sind die arbeitsmedizinischen Studien der Bornheims aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Vergessenheit geraten.“

Die Bauarbeiten an dem 427 Meter langen Tunnel von vier Metern Durchmesser waren nicht nur gefährlich, sie waren auch teuer. „Man hat Stück für Stück riesige Stahlringe in den Bauschacht geschoben, um ihn zu stützen, das war unendlich viel Stahl“, sagt sie. „Der Tunnel hat nicht zuletzt deshalb 10 Millionen Goldmark gekostet.“ Teuer – und gleichzeitig eine Sensation – waren auch die riesigen Aufzüge. „Man hatte damals ja noch Fuhrwerke mit Pferden und die können eine gewisse Steigung nicht bewältigen. Deshalb hätten die Rampen gigantisch lang sein müssen“, erklärt die Museumspädagogin. Also fuhren auch die Pferde mit dem Aufzug.

Zurück zu dem Mann, der das alles verantwortete: Otto Stockhausen. Er war selbst einmal von der Taucherkrankheit befallen, gesundete aber in den Ausschleusungskammern, in denen die Druckverhältnisse angepasst werden. „Bei der Taucherkrankheit sammelt sich viel Stickstoff im Körper an und es kann zu Embolien kommen“, erklärt Fleischer.

Für den jungen Stockhausen war das aber ein weiterer Grund, mit der Hochzeit lieber noch zu warten, bis der Tunnel fertig gebaut war. Und so symbolisiert der Berg, der Stockhausen und seine Braut trennt, den Berg von Sorgen und Arbeit, der zwischen ihnen stand. Warum die beiden in einem Tunnel kauern, ist unschwer zu erraten. Doch über dem Berg von Arbeit und unter der Tunneldecke reichten sie sich dann doch noch die Hände. Und sie heirateten auch, kaum dass der Tunnelbau vollendet war.

Den beiden war allerdings nicht lange Glück beschieden: Otto Stockhausen fiel bereits 1914 im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs, nur drei Jahre nach Vollendung des Elbtunnels. „Es ist eine wirklich traurige Liebesgeschichte“, findet Stephanie Fleischer. „Und irgendwie gibt sie dem Tunnel etwas Romantisches. Vor allem wenn man bedenkt, wie viele Liebespaare hier durchfahren.“