In unserer Serie geht es um große und kleine Geschichten, die sich hinter Relikten im Stadtbild verbergen. Heute: steinalte Fußball-Tradition.

Altona-Nord. Interessant ist es da, wo der Putz abgebröckelt ist (oder wurde). An der Rückseite des weiß getünchten Haupteingangs sieht man alte Mauersteine in Schwarz, Weiß und Rot. Das sind die Farben eines der traditionsreichsten Fußballvereine Deutschlands: des Altonaer Fußball-Clubs von 1893, kurz Altona 93. Und das Stadion, die Adolf-Jäger-Kampfbahn an der Griegstraße, ist wiederum eines der ältesten bundesweit. 1909 wurde es eingeweiht. Bei so viel Tradition verwundert es nicht, dass der Eingangsbereich unter Denkmalschutz steht.

Altona 93 hat sportlich zwar schon bessere Zeiten erlebt, ist aber noch immer ein sehr lebendiger Verein mit großer Anhängerschaft, für viele längst ein Kult-Club. Was aber nur wenige wissen: Er war Ausrichter der ersten deutschen Fußballmeisterschaft im Jahre 1903. Und das ist eine Geschichte von Reeperbahn-Bummeln, gefälschten Telegrammen und einem nicht vorhandenen Ball.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist gerade mal drei Jahre alt, als 1903 die erste deutsche Meisterschaft organisiert wird. Fußball ist noch nicht sonderlich populär, viele halten das Turnen für die einzig wahre deutsche Sportart und lehnen das aus England kommende Gekicke ab. Gerade einmal 68 Vereine – darunter Altona 93 und der SC Victoria Hamburg – gehören zu den Gründungsmitgliedern des DFB. Und bei der ersten Meisterschaft wollen sogar nur sechs Vereine mitmachen, die anderen scheuen die langen und teuren Reisen, für die die Spieler selbst aufkommen müssen.

Altona schied im Halbfinale beim VfB Leipzig aus, der im Endspiel gegen den DFC Prag antrat. Prag? Die Stadt gehörte damals zu Österreich-Ungarn. Aber weil in dem Verein viele deutsche Studenten spielten, durften sie an der Meisterschaft teilnehmen – und sind kurioserweise ohne Sieg ins Finale gekommen. Im Viertelfinale konnten sie sich mit dem Gegner Karlsruhe nicht über den Austragungsort einigen. Und weil die Zeit drängte, ließ man einfach beide ins Halbfinale einziehen, das in Leipzig stattfinden sollte. Doch ein Prager schickte ein gefälschtes Telegramm nach Karlsruhe, in dem von einer Spielverlegung die Rede war. Also traten die Karlsruher nicht an – und Prag zog ins Finale ein. Fair Play sieht anders aus.

Am 31.Mai 1903 standen sich also Leipzig und Prag in Altona gegenüber. Weil es in Hamburg noch kein Stadion gab, ja nicht einmal feste Fußballplätze, wurde das historische Spiel auf dem Exerzierplatz in Bahrenfeld, einem Altonaer Stadtteil, ausgetragen. Franz Behr (1875–1944), Gründungsmitglied und bester Stürmer von Altona 93, hatte eine Menge zu tun: Tore aufbauen, Spielfeld abstecken, Eintrittsgeld kassieren. Und er war der Schiedsrichter der Partie, die er um 16Uhr anpfeifen wollte. Aber nicht konnte – denn es war kein Ball da. Nachdem jemand zum Altonaer Clubheim gefahren war und einen besorgt hatte, konnte es endlich losgehen. Zur Halbzeit stand es 1:1. Doch dann stellte sich der ausgiebige Reeperbahn-Besuch der Prager am Abend zuvor als wenig leistungsfördernd heraus. Sie brachen völlig ein und verloren das Spiel mit 7:2. Ein würdiger Meister wären sie nach all den Tricksereien auch nicht gewesen.

Den Exerzierplatz gibt es längst nicht mehr, dort steht heute ein Gewerbegebiet. Seit ein paar Jahren erinnert immerhin eine Gedenktafel an das historische Spiel.

Ein Besuch beim Gastgeber der ersten deutschen Fußballmeisterschaft an der Griegstraße lohnt sich aber, und nicht nur für Fußball-Romantiker. Schon allein der schöne Eingang ist es wert. Zumal es wohl das Einzige ist, was vom Stadion übrig bleiben wird: Denn das Areal soll bebaut werden. Leider.