Alte Fähren und U-Bahnen lassen die Vergangenheit wieder aufleben. Das Abendblatt fuhr beim Verkehrshistorischen Tag auf der „Bergedorf“ mit

Hamburg. Für diesen Tag hat sich Helmut Cordes seine alte Kapitänsuniform wieder angezogen, die sandfarbene Jacke und die weiße Mütze sitzen perfekt. Man sieht, dass sich der 75-Jährige mit Sport in Form hält. Und wie früher, als Cordes vier Jahrzehnte lang die schweren Hadag-Fähren durch den Hafen steuerte, guckt er vor dem Ablegen von der Brückennock kurz runter auf den Ponton der Landungsbrücken.

Dann noch ein schneller Blick auf Fahnen und Wimpel, die ihm zeigen, wie der Wind weht. Ein paar Drehungen am mächtigen Steuerrad, ein rasches Kurbeln an der Motorsteuerung – und schon schiebt sich die „Bergedorf“ langsam weg vom Anleger. Normalerweise liegt die 1955 in Dienst gestellte Fähre am Museumshafen Oevelgönne als Restaurantschiff.

Sieben-, achtmal im Jahr heißt es aber bei Kapitän Cordes „Leinen los!“ Zu Charterfahren zu Silvester, zum Hafengeburtstag – oder eben wie am Sonntag zum Verkehrshistorischen Tag in Hamburg. Seit 2001 organisieren gemeinsam mit dem HVV etliche Vereine diesen Tag, an dem historische Busse, S- und U-Bahnen oder Fähren durch die Stadt rollen und/oder eben auch schippern. Eine Zeitreise für 15 Euro, auf die sich seit 14 Jahren nun schon jedes Mal Hunderte Fahrgäste begeben. Aber auch für Zaungäste ist es ein überraschendes Bild, wenn sich in die Reihe moderner Züge plötzlich so ein gutes altes Fahrzeug mischt, das von Vereinen sonst als Museumsfahrzeug am Leben erhalten wird.

So auch die „Bergedorf“, eines der letzten Typschiffe der städtischen Fährlinie, die Ende der 90er-Jahre von den heutigen Hadag-Fähren abgelöst wurden, die im Hafen wegen ihrer Form als „Bügeleisen“ bespöttelt werden. Moderne, voll drehbare Antriebe, Bugstrahlruder und eine Steuerung über Joystick machen das Handling dieser Fährschiffe so einfach, dass die Hadag damit Personal einsparen konnte. „Damit kann man tanzen“, sagt Cordes, der seinerzeit das erste Bügeleisen“, die „St. Pauli“, steuerte.

Mit der „Bergedorf“ sei das ganz anders, sagt er. Eine feste Schraube bringt den Schub, Windstärke und Strömung muss Cordes mitberechnen, nach Gefühl und mit den Elementen steuern, nicht allein mit der Technik. Wenige können dies – und schon gar nicht so gut wie er. Von den Landungsbrücken nimmt er Kurs auf den Freihafen. Der Diesel tuckert freundlich und treibt einen Generator an, der eigentlicher Antriebsmotor ist. Eine verbrauchsarme Technik. Nur 40 Liter Treibstoff pro Stunde verbraucht die „Bergedorf“, sagt Cordes. Die heutigen Hadag-Fähren kämen auf fast 500 Liter.

Cordes fährt heute am Verkehrshistorischen Tag auch eine historische Route: die legendäre Linie 7, die es schon lange nicht mehr gibt. Als noch viele Werften im Hafen ihren Standort hatten und dort Stückgutfrachter und nicht Containerschiffe lagen, brachten auf dieser Linie die Fähren täglich Tausende Werftarbeiter und Schauerleute zu den Kais im Freihafen. Viel mehr Fähren und Barkassen als heute tuckerten so durch den Hafen. „Das war richtig voll auf dem Fluss. Mit dem Auto hat sich das dann erledigt“, sagt Cordes, der 1960 nach seiner Ausbildung und Bootsmannzeit auf Seeschiffen bei der Hadag angefangen hatte, die in den 70er- und 80er-Jahren mit einem dramatischen Rückgang der Passagierzahlen zu kämpfen hatte. Erst in den vergangenen Jahren stieg die Zahl wieder stetig. So transportierte die Hadag 1958 noch mehr 20 Millionen Passagiere, heute sind es rund neun Millionen.

Die „Bergedorf“ tuckert gegen den Flutstrom voran und dreht sich schließlich in den mittleren Freihafen, der heute von der Baustelle für ein Kreuzfahrtterminal und einen riesigen Altmetallberg beherrscht scheint. „Hier war früher alles voll mit Schiffen“, sagt Cordes und lässt die „Bergedorf“ eine sanfte Schleife fahren. 1997 wurde das Schiff außer Dienst gestellt und dann zum Restaurantschiff hergerichtet. Cordes übernahm dann nach seiner Pensionierung das Ruder einer ehrenamtlichen Crew, die das Schiff fahrbar erhält

Inzwischen ist auch Michael Schleef nach oben auf die Brücke gekommen. Der 41-Jährige, eigentlich Biologe, ist in seiner Freizeit im Maritimen Museum Archivar der Hadag. Er ist einer der vielen, die diesen Tag möglich machen und den Fahrgästen über Mikrofon erklären, was sie gerade sehen und erleben. „Die Besucher können so die vermeintlich gute alte Zeit erleben“, sagt er. Klar, das Flair auf den alten Schiffen und Bahnen sei irgendwie schöner. „So viel Holz und nicht Plastik, das ist schon was“, sagt er. Aber natürlich sind moderne Fahrzeuge meist komfortabler und auch schneller

Doch darum geht es heute nicht. Der Weg ist das Ziel – dieser alte Sinnspruch gilt vor allem am Verkehrshistorischen Tag. Obgleich Kapitän Cordes und seine Kollegen in Bahnen und Bussen sich streng an den Zeitplan halten müssen, weil ihre Fahrzeuge in das HVV-Netz integriert wurden. Die „Bergedorf“ nimmt wieder Kurs zurück zu den Landungsbrücken. Noch immer schiebt der Flutstrom ein wenig. Cordes dreht wieder am großen, alten Rad, lässt das Schiff im großen Bogen Richtung Anleger gleiten. Ein Blick wieder aufs Wasser, auf die Fahnen, und langsam schmiegt sich die Fähre an den Ponton. Kein Krachen, kein Aufheulen der Motoren, kein Rucken, so als würde ein Magnet seine unsichtbaren Kräfte aussenden. Ein letzter Blick vom Kapitän, dann ein zufriedenes Lächeln. Er hat es wieder zeigen können: Ein Anlagemanöver der feinen Art, ganz ohne moderne Technik – dafür aber mit viel Gefühl.