Zwischen Sonnenblumen und Kräuterbeet die eigene Krankheit vergessen: Das Angebot des Deutschen Roten Kreuzes hilft Menschen, die Traumata erlitten haben.

Lohbrügge. Lisbeth, 48, pflegt das Kräuterbeet, gerade hat sie Pfefferminze gezupft und hält die Blätter in ihren Händen. Dann zeigt sie auf Thymian und Basilikum und fährt mit der Handfläche über den Rosmarin. Vielleicht kocht sie aus der Minze später einen Tee. Aus den Johannisbeeren wurde bereits Gelee gemacht. Lisbeth (Name geändert) leidet unter einer Traumaerkrankung, mehr möchte sie nicht erzählen. Und das muss sie hier im Kleingarten in Lohbrügge auch nicht.

Die individuellen Krankheitsgeschichten stehen nicht im Vordergrund. Was Lisbeth mag und was ihr guttut, das ist, mit anderen psychisch Erkrankten im Garten zu arbeiten, sich um die Pflanzen zu kümmern, in der Erde zu wühlen. Mit der Parzelle 159 geht der Dienst Psychiatrische Hilfen des Deutschen Roten Kreuzes in Bergedorf neue Wege. „Ich kann bei der Gartenarbeit abtauchen und mir mehr Gedanken über das Unkraut machen als über alles andere“, sagt Lisbeth. Sie mag diese Rundgänge durch den Garten, bei denen sie entdeckt, wo etwas blüht, wo etwas Neues wächst.

Die Garten- und Handwerksgruppe, die sich zweimal in der Woche für jeweils zwei Stunden trifft, ist für sie und die anderen eine Übung, um wieder mit Menschen in Kontakt zu treten. Jeder in seinem eigenen Tempo. Die, die hier arbeiten, haben Depressionen, Ängste, Traumata oder sind schizophren. Sandra beispielsweise leidet an Depressionen und Angststörungen. Als Krankengymnastin kann sie nicht mehr arbeiten. Das Kleingartenprojekt ist eingebettet in eine Reihe von Angeboten der psychiatrischen Hilfen des DRK. In der ambulanten Sozialpsychiatrie werden die Klienten, so nennen die Betreuer ihre Schützlinge, zu Hause betreut – einzeln und in verschiedenen Gruppen.

Das Ziel aller Angebote ist es, die Klienten in den Alltag und in die Gesellschaft zu integrieren. Der Umgang mit Harke, Gießkanne und Spaten in dem rund 360 Quadratmeter großen Kleingarten mit Laube gehört seit dem Frühsommer mit zur Therapie. Viele haben bereits langjährige Behandlungen hinter sich. „Hier können sie mithelfen, aber sie können auch einfach mal sitzen und den Garten genießen, je nach Tagesverfassung“, sagt Christa Kurz vom Ambulanten Sozialen Dienst. Es kommt immer auf das Miteinander an, jeder muss sich bemühen und Toleranz zeigen. Manchmal gibt es auch Diskussionen über die Gestaltung des Gartens in den morgendlichen Runden. Susanne (Name geändert) kümmert sich als gelernte Floristin am liebsten um die Blumen, um die Rosen, Fingerhut, Tränendes Herz oder die Fette Henne. Sie leidet so stark unter Depressionen und einer Persönlichkeitsstörung, dass sie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten kann, nicht mehr belastbar genug dafür ist.

Seit zwei Jahren ist die 32-Jährige „deprifrei“, wie sie es formuliert, und der Weg in die Normalität geht Schritt für Schritt voran. Ihre Arbeit in der Kreativ- und Frühstücksgruppe und hier im Gartenprojekt geben ihr die nötige Tagesstruktur.

„Viele Klienten kommen beim ersten Mal mit ihrem Bezugsbetreuer in die Gartengruppe“, sagt Heike Marquis, Bereichsleiterin beim DRK. So groß ist für einige die Überwindung, mit fremden Menschen allein wieder in Kontakt zu treten. Der Garten tue der Seele jedoch sehr gut.

Gegenüber ihren kranken Nachbarn haben die Kleingärtner keine Bedenken

„Die Arbeit mit und in der Natur, das Säen und die ‚Früchte‘ der geleisteten Arbeit ernten zu können, fördert nicht nur die Aktivität und das Selbstbewusstsein der Teilnehmer, es trägt auch zu einer Stimmungsverbesserung bei“, sagt Frau Marquis. Zum Genießen des Gartens gehöre es auch, einfach mal sein zu können, ohne dass die Defizite im Vordergrund stehen. „Über die gemeinsamen Garten- und Handwerksarbeiten werden nicht nur die sozialen Kontakte gefördert, sondern es kann auch positive Selbstbestätigung erlebt werden.“ Dass ein Teil der acht Klienten, die beim Gartenprojekt dabei sind, im Sommer sogar mit den anderen Kleingärtnern gemeinsam die WM geguckt haben, ist ein großer Fortschritt in dem Streben, sich wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Vorbehalte gegenüber den Kleingärtnern mit ihren psychischen Problemen gibt es nicht, die Nachbarn seien sehr offen.

Sandra fühlt sich im Garten gut aufgehoben, obwohl sie noch den Kontakt zu anderen meidet: „Das Miteinander funktioniert, weil alle ähnliche Erkrankungen haben.“ Die Gartenarbeit lenkt sie ab. „Die Gedanken sind freier, hier dreht sich nicht immer alles um Probleme, sondern um etwas ganz Handfestes.“