In 139 Tagen, am 15. Februar 2015 werden wir in Hamburg eine neue Bürgerschaft wählen. Bereits lange vorher wird es auf Wahlveranstaltungen und Wahlplakaten um die Kernaufgaben für unsere Stadt gehen: Arbeitsplätze schaffen, Schulden tilgen, Kitas ausbauen, Rentensicherheit schaffen, Bildung für alle ermöglichen und so weiter und so fort. Doch für welche Bereiche des Lebens sollte der Staat eigentlich alleine verantwortlich sein und in welchen Bereichen müsste jeder Einzelne selbst mehr Verantwortung tragen?

Aus der Sicht der Bürger steht ganz vorn im staatlichen Verantwortungsbereich die Sicherheit. 238.019 Straftaten wurden 2013 in unserer Stadt verübt, wovon rund 43 Prozent aufgeklärt wurden. Auch wenn jede Straftat eine zu viel ist, muss positiv angemerkt werden, dass im Zehn-Jahres-Vergleich ein Rückgang von mehr als zwölf Prozent zu verzeichnen ist. Insofern leben wir heute sicherer als in der Vergangenheit. Natürlich haben sich einzelne Bereiche unterschiedlich entwickelt.

So ist im Vergleich zu 2003 beispielsweise die Anzahl an Morden, Vergewaltigungen und Diebstählen zurückgegangen. Dagegen hat u.a. die Anzahl von Straftaten im Internet besonders stark zugenommen: mehr virtueller Kreditkartenraub und -missbrauch, mehr Viren und Hackerangriffe, die ganze Unternehmens- und Stadtsysteme lahmlegen oder zunehmende und zugleich kaum mehr überprüfbare Datenspeicherungen. All dieses sind nur einige Beispiele für eine Cyber-Kriminalität, die jährlich Schäden in Milliardenhöhe verursacht und zweifellos ein Handlungsfeld darstellt, dem der Einzelne allein mit Firewall und Achtsamkeit nicht begegnen kann und wofür der Staat in der Pflicht ist.

Auch in einem gänzlich anderen Lebensbereich sehen drei Viertel der Bürger die Hauptverantwortung beim Staat: beim Ausbau der Kinderbetreuung. Fakt ist, der Stellenwert der Familie ist ungebrochen hoch. Jedoch entstehen durch den demografischen Wandel, arbeitsmarktpolitische und ökonomische Entwicklungen viele neue Anforderungen. So wünschen sich Familien und Paare eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Teilzeitangebote sowie die Gewissheit, dass Kinder nicht zum Karriereknick und zu finanziellen Einbußen führen. Andererseits beklagen mehr Unternehmen einen Fachkräftemangel, und Pessimisten befürchten gar einen Generationenkonflikt und eine Unfinanzierbarkeit der Rente. Um all diese Sorgen zu entkräften, fordern die Bürger staatliche Rahmenbedingungen, die eine konkrete Hilfe darstellen.

Daneben sieht die Mehrheit der Bürger aber auch in der Renten-, Kranken und Pflegeversicherung, bei der Schulausbildung, den Erziehungskosten oder dem Zusammenwachsen Europas vornehmlich den Staat in der Verantwortung. Als gemeinsame Pflicht werden die Themen Umweltschutz, Arbeitsplatzsuche/-vermittlung, Einhaltung der Gesetze, Berufsausbildung oder der Zusammenhang der Gesellschaft gesehen. Eigenverantwortung sieht die Bevölkerung mehrheitlich einzig in der Förderung von Nachbarschaftshilfe und bürgerlichem Engagement, Weiterbildung bzw. lebenslangem Lernen sowie für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Im Vergleich zu früher fällt auf, dass Bürger mehr Verantwortung abgeben wollen und nach einem starken Staat rufen. So stiegen beispielsweise seit 2005 die Werte für staatliche Verantwortung bei der Renten- oder Krankenversicherung, bei der Kulturförderung oder der Einrichtung von Kinderbetreuung im zweistelligen Prozentbereich. Wie passt dieser Wunsch nach dem „Übervater Staat“ zusammen mit einer geringeren Wahlbeteiligung, dem häufigen Klagen über Politiker oder deren Handlungsweise? Meiner Meinung nach nur sehr begrenzt. Auch steht für mich fest, dass die Politik allein nicht alle Herausforderungen bewältigen kann – und auch nicht sollte. In Zukunft muss vieles auf eine geteilte Verantwortung hinauslaufen, bei der der Staat die Rahmenbedingungen stellt, die Umsetzung dann aber bei jedem Einzelnen liegt. Recht gut funktioniert dies schon bei der Arbeitsplatzsuche, Schulausbildung und bei der Einhaltung der Gesetze – hier sind wir im Vergleich zu 2005 zu mehr Eigenleistung bereit. Jetzt gilt es, diese Bereiche schrittweise zu erweitern – oder um es mit den Worten von Mahatma Gandhi zu sagen: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen